Nahost: Offenbar zwei weitere Geiseln freigelassen
23. Oktober 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- Offenbar zwei weitere Geiseln freigelassen
- Israels Militär trainiert für Bodenoffensive
- UN fordern umfangreichere Hilfslieferungen für Menschen in Gaza
- EU-Außenminister uneins über Waffenstillstand für Gazastreifen
- Ex-Botschafter Stein: Zweistaatenlösung im Auge behalten
Die Hamas hat zwei weitere Geiseln freigelassen. Es soll sich um zwei von der palästinensischen Terrororganisation aus Israel verschleppte ältere Frauen handeln. Nach Angaben von staatsnahen ägyptischen Medien sollen sie inzwischen an Gazas Grenzübergang zu Ägypten eingetroffen sein. Auch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) bestätigte die Freilassung von "zwei Frauen", die es aus dem Gazastreifen herausgebracht habe, ohne aber Einzelheiten über deren Identität zu nennen. Eine offizielle Bestätigung - etwa aus Israel - stand an diesem Montagabend noch aus. Auch über die Nationalität der beiden Frauen ist noch nichts bekannt.
Israels Militär trainiert für Bodenoffensive
Die Soldaten und Kommandeure seien "entschlossen und hochmotiviert", teilte das israelische Militär mit. Auch Reservisten seien an den Übungen beteiligt, die die Bereitschaft und die Fähigkeiten der Streitkräfte für die Einsätze am Boden im Gazastreifen verbessern sollen. In den vergangenen Tagen hätten sich zudem Kommandeure der Luftwaffe und der Bodentruppen getroffen, um eine "optimale Zusammenarbeit" zu planen.
Die Armee sei "vollständig auf eine Bodenoffensive im Gazastreifen vorbereitet", zitierten israelische Medien das Militär. Die Armee glaubt demnach, sie könne die gesetzten Ziele auch unter der Gefahr schwerer Verluste und angesichts wiederholter Angriffe der Hisbollah im Norden erreichen.
Den Berichten zufolge bereiten sich die Streitkräfte auch auf Rettungsaktionen der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln vor. Das Militär geht demnach davon aus, dass eine Bodenoffensive die im Gazastreifen herrschende Hamas unter Druck setzen könnte, weitere Geiseln freizulassen.
Israel: Krieg gegen Hamas könnte Monate dauern
Der Krieg gegen die terroristische Palästinenserorganisation Hamas, die 2007 die Macht im Gazastreifen an sich gerissen hatte, könnte nach den Worten des israelischen Verteidigungsministers Joav Gallant mehrere Monate lang dauern. "Es wird einen Monat dauern, zwei Monate, drei Monate, und am Ende wird es keine Hamas mehr geben", sagte Gallant auf einem Luftwaffenstützpunkt. Dies sollte der letzte Krieg im Gazastreifen sein.
Israel hat wiederholt angekündigt, die auch von den USA, Deutschland, der Europäischen Union und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestufte Hamas zu "vernichten". Die Hamas erkennt nach eigenen Angaben den Staat Israel nicht an und will ihn beseitigen.
Reicht Militäreinsatz im Kampf gegen die Hamas?
Nach Einschätzung des früheren Soldaten Benzi Sanders kann Israel die Hamas "nicht allein mit militärischer Gewalt besiegen". Der heutige Jerusalemer Programmdirektor der Nichtregierungsorganisation EXTEND sagte der DW, dass Israel zwar "gegen die Hamas und den Terrorismus kämpfen und sich verteidigen" müsse, dies aber nicht ausreiche. "Ich denke, dass wir, um die Hamas zu besiegen, Hoffnung auf eine Zukunft schaffen müssen, in der Palästinenser und Israelis Seite an Seite leben."
Dabei zitierte Sanders einen früheren israelischen Geheimdienstchef mit den Worten, dass "der einzige Weg, die Hamas wirklich zu besiegen und die Terroristen zu besiegen, darin besteht, den Palästinensern Hoffnung zu geben".
UN fordern umfangreichere Hilfslieferungen für Menschen in Gaza
Die Vereinten Nationen dringen auf größere Lieferungen von Hilfsgütern in den abgeriegelten Gazastreifen. Millionen Menschen in Gaza brauchten viel mehr Unterstützung, erklärte der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths laut einer in Genf veröffentlichten Mitteilung.
Am Sonntag hatte ein Konvoi aus 14 Lastkraftwagen mit Lebensmitteln, Wasser und medizinischen Hilfsgütern den Grenzübergang Rafah passiert und Gaza erreicht. Der Konvoi habe aber nur etwa drei Prozent des täglichen Durchschnittsvolumens an Waren geladen, die vor dem aktuellen Krieg nach Gaza gelangt seien.
Das Hilfswerk für die Palästinenser, UNRWA, der größte Anbieter humanitärer Unterstützung in Gaza, werde seine Treibstoffreserven innerhalb der nächsten drei Tage aufbrauchen. UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini rief dazu auf, sofort Treibstofflieferungen zuzulassen und fügte hinzu, dass ein Ausbleiben des Treibstoffs die Menschen in Gaza weiter strangulieren werde.
Sunak: Explosion an Klinik in Gaza wohl durch palästinensische Rakete
Nach britischen Erkenntnissen ist die Explosion am Al-Ahli-Krankenhaus in Gazastadt wahrscheinlich durch eine palästinensische Rakete verursacht worden. Die britische Regierung komme auf der Grundlage einer Analyse des britischen Geheimdienstes zu dem Schluss, dass die Detonation "wahrscheinlich von einer Rakete oder einem Teil davon verursacht wurde, die aus dem Gazastreifen gegen Israel abgefeuert wurde", sagte Premierminister Rishi Sunak im Parlament in London. Zu einer ähnlichen Erkenntnis war zuvor auch das kanadische Verteidigungsministerium gekommen.
Sunak kritisierte, falsche Berichterstattung über den Vorfall habe "negative Auswirkungen auf die Region" gehabt, darunter auch auf diplomatische Bemühungen der USA, sowie Spannungen in Großbritannien gefördert. "Wir müssen die Lehren daraus ziehen und sicherstellen, dass es in Zukunft keine übereilten Urteile gibt", sagte Sunak.
Die islamistische Hamas hatte direkt nach der Explosion Israel beschuldigt, das Krankenhaus beschossen zu haben. Israel spricht dagegen vom Einschlag einer fehlgeleiteten Rakete der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad.
Skepsis bei Forderung nach Waffenstillstand
Deutschland stellt sich in der Europäischen Union gegen Forderungen nach einem humanitären Waffenstillstand für den Gazastreifen. Die Bekämpfung des Terrorismus sei essenziell, sagte Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Treffen mit ihren EU-Kollegen in Luxemburg. Man sehe, dass weiterhin massiv Raketen auf Israel abgeschossen würden.
"Es wird nur Frieden und Sicherheit für Israel und die Palästinenserinnen und Palästinenser geben, wenn der Terrorismus bekämpft wird", sagte die Grünen-Politikerin mit Blick auf das Vorgehen der militant-islamistischen Hamas gegen Israel. Ähnlich wie Deutschland positionierten sich bei dem EU-Treffen auch Österreich und Tschechien.
Zuvor hatte unter anderem UN-Generalsekretär António Guterres zu einem sofortigen humanitären Waffenstillstand aufgerufen. Seitdem wird auch in der EU offen darüber diskutiert, ob man sich dieser Forderung anschließen sollte. Regierungspolitiker aus Ländern wie Spanien, Belgien, den Niederlanden und Irland haben sich zuletzt klar in diese Richtung positioniert.
Auch der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell zeigte sich in Luxemburg offen für den Vorstoß für eine Angriffspause. "Der UN-Generalsekretär hat dazu aufgefordert", so Borrell. "Wie könnten wir nicht darüber diskutieren."
Westliche Staaten wollen "dauerhaften Frieden" in Nahost
Die USA, Deutschland und vier weitere westliche Staaten wollen mit koordinierten diplomatischen Initiativen auf "eine politische Lösung und einen dauerhaften Frieden" im Nahen Osten hinarbeiten. In einer "gemeinsamen Erklärung zu Israel" versichern die Staats- und Regierungschefs, sich eng auch mit wichtigen Ländern in der Region auszutauschen, um eine Ausweitung des Konflikts zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas zu verhindern und die Stabilität zu erhalten. Sie bekräftigen zudem ihre Unterstützung für Israel und das Recht des Landes, sich gegen den Terrorismus zu verteidigen.
US-Präsident Joe Biden, Bundeskanzler Olaf Scholz sowie Kanadas Premierminister Justin Trudeau, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni und Großbritanniens Premierminister Rishi Sunak fordern in der Stellungnahme ferner die Einhaltung des humanitären Völkerrechts, einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung.
Sie begrüßen die Freilassung von zwei Geiseln der Terrororganisation Hamas und rufen zur sofortigen Freilassung aller übrigen Geiseln auf. Die Länder wollen außerdem eng zusammenarbeiten, um ihren eigenen Staatsangehörigen die Ausreise aus dem Gaza-Streifen zu ermöglichen.
Shimon Stein erinnert an Zweistaatenlösung
Israels früherer Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, hat sein Land und internationale Partner dazu aufgerufen, eine Zweistaatenlösung mit den Palästinensern wieder auf die politische Tagesordnung zu setzen. "Sie ist momentan in weiter Ferne. Aber sie muss im Auge behalten werden", sagte Stein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Die gegenwärtige israelische Regierung hat das von ihrer Tagesordnung gestrichen. Das war ein Fehler", sagte er.
Der frühere Diplomat wies darauf hin, eine militärische Operation ohne eine politische Perspektive wäre eine verpasste Chance. Zunächst sei es das Ziel, die militärische Bedrohung aus dem Gazastreifen zu eliminieren. Er hoffe, dass Israels geplante Bodenoffensive "mit der Neutralisierung der militärischen Gefahr" durch die Hamas erfolgreich sein werde. "Und dann stellen wir die Frage: Was passiert am Tag danach? Und hoffentlich werden uns die USA, Deutschland, die Europäische Union dabei helfen", so Stein. Es werde eine sehr schwierige Aufgabe sein. Die Frage sei, ob der Westen dazu in der Lage sein werde, wenn gleichzeitig Russland Krieg gegen die Ukraine führe. Und ob es genügend Ressourcen geben werde, Gaza zu stabilisieren.
Stein geht von einem "relativ langen Krieg" aus. Die Terrororganisation Hamas habe seit Jahren ihre militärischen Fähigkeiten ausgebaut und unter Gaza-Stadt ein riesiges Tunnelsystem errichtet. "Ein Krieg inmitten einer Stadt ist schwierig. Ich habe das als Soldat 1967 selbst erlebt, als ich in Gaza war. Es war verdammt blutig", machte Stein deutlich. Weiter sagte der ehemalige Botschafter, er hoffe, dass die deutsche Solidarität durch die israelische Bodenoffensive nicht bröckeln werde.
Stein hatte Israel von 2001 bis 2007 in Deutschland diplomatisch vertreten.
Israel zerstört zwei Hisbollah-"Zellen"
Israelische Kampfjets haben in der Nacht zum Montag nach Militärangaben zwei "Zellen" der pro-iranischen Hisbollah im Libanon getroffen. Von den beiden Stellungen aus sollten Panzerabwehrraketen und Raketen auf Israel abgefeuert werden, erklärte die Armee. Nach ihren Angaben befand sich eine "Zelle" in der Nähe der israelischen Stadt Mattat, etwa 13 Kilometer südwestlich von Aitaroun. Die andere befand sich weiter nördlich im umstrittenen Gebiet der Shebaa-Farmen. Die Hisbollah wird von Israel, Deutschland, den USA und einigen sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation gelistet.
Biden: Humanitäre Hilfe wird fortgesetzt
Nach einem Telefonat von US-Präsident Biden mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hofft die Regierung in Washington auf regelmäßige Hilfslieferungen für die palästinensischen Zivilisten im Gazastreifen. Biden und Netanjahu hätten bekräftigt, dass es jetzt einen "kontinuierlichen Fluss dieser entscheidenden Hilfe nach Gaza geben wird", teilte das Weiße Haus mit.
Die Hilfe für die notleidende Bevölkerung in dem Küstenstreifen war am Samstag angelaufen - nach zwei Wochen kompletter Grenzschließung nach dem verheerenden Terrorüberfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober. Über den ägyptischen Grenzübergang Rafah brachten bislang insgesamt 34 Lastwagen Hilfsgüter, darunter Medikamente und Nahrungsmittel. Der Grenzübergang Rafah ist der einzige Zugang zum Gazastreifen, über den im Moment Hilfsgüter transportiert werden können.
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
se/wa/sti/nob/rb/AR/uh/ehl (dpa, afp, ap, rtr, kna, ARD)