Mindestens 300 Tote durch massive Angriffe auf Israel
Veröffentlicht 7. Oktober 2023Zuletzt aktualisiert 7. Oktober 2023Bei den schweren Angriffen aus dem palästinensischen Gazastreifen auf Israel wurden nach Angaben mehrerer israelischer Medien mindestens 300 Menschen getötet. Fast 1600 Menschen wurden demnach verletzt. Und die Kämpfe mit bewaffneten Angreifern aus dem Gazastreifen dauern in dieser Nacht weiter an.
Bei den Kampfhandlungen war zuvor auch der Präsident des Regionalrats der israelischen Grenzorte nordöstlich des Palästinensergebiets getötet worden. Ofir Liebstein sei "bei einem Schusswechsel mit Terroristen" tödlich getroffen worden, teilte der Regionalrat von Shaar Negev mit.
Auch in der Küstenmetropole Tel Aviv gab es Raketenalarm. Nach Armeeangaben wurde ein Haus getroffen. Der Rettungsdienst rief wegen eines Mangels an Blutkonserven zu dringenden Blutspenden im Ichilov-Krankenhaus in Tel Aviv auf. Sanitäter berichteten außerdem von Verletzten bei den Raketenangriffen im Bereich der Ortschaften Aschkelon, Gedera und Javne.
Ein Sprecher des israelischen Militärs teilte mit, es seien 2500 Raketen auf Israel geschossen worden. Als Reaktion bombardierte die israelische Luftwaffe Ziele im Gazastreifen. Dutzende Kampfflugzeuge seien an dem Angriff beteiligt gewesen, so der Sprecher. Es seien 17 Militäranlagen und vier Kommandozentren der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas angegriffen worden. Drei Hochhäuser mit mehr als zehn Stockwerken wurden in Gaza durch Kampfflugzeuge zerstört, wie AFP-Journalisten beobachteten. Die palästinensischen Behörden melden mindestens 232 Todesopfer und über 1700 Verletzte im Gazastreifen.
Hamas: "Militäroperation" gestartet
Die militante Palästinensergruppe Hamas, die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestuft ist, sprach vom Beginn einer "Militäroperation" gegen Israel. Der bewaffnete Arm der Hamas erklärte, die "Operation Al-Aksa-Flut" gegen Israel gestartet zu haben. 5000 Raketen seien abgefeuert worden, sagte der hochrangige Hamas-Kommandeur Mohammed Deif im Rundfunk der Organisation.
Hamas nimmt israelische Geiseln
Anwohner im Gazastreifen berichteten über bewaffnete Zusammenstöße am Grenzzaun zu Israel. Die Hamas veröffentlichte auf ihren Social-Media-Kanälen am Samstagmittag ein Video, das drei israelische Männer zeigen soll, die von ihren Kämpfern in den Gazastreifen verschleppt worden sein sollen.
Berichte über mutmaßliche Entführungen von Israelis wurden von Seiten der israelischen Armee über Stunden nicht bestätigt. Inzwischen teilte ein israelischer Militärsprecher mit, Hamas-Kämpfer hätten israelische Zivilisten und Soldaten im Gazastreifen als Geiseln genommen. Angaben zur Zahl der Entführten machte die Armee nicht.
Netanjahu: "Wir sind im Krieg"
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wandte sich in einer Videobotschaft an die Bevölkerung. Im Militärhauptquartier in Tel Aviv sagte er: "Bürger Israels, wir sind im Krieg und wir werden gewinnen." Netanjahu werde in den kommenden Stunden führende Beamte der Sicherheitsdienste treffen, teilte sein Büro mit.
Nach dem Überraschungsangriff versetzte das israelische Militär das Land in Kriegsbereitschaft. Dies ermöglicht es, außergewöhnliche Schritte zu ergreifen und Reservisten zu mobilisieren. Verteidigungsminister Joav Galant gab umgehend grünes Licht für die Mobilisierung und sagte: "Die Hamas hat heute morgen einen schweren Fehler begangen und einen Krieg gegen den Staat Israel begonnen."
Itamar Ben-Gvir, Israels rechtsextremer Minister für Nationale Sicherheit und zuständig für die Polizei, rief den nationalen Notstand aus. Er soll am Samstagabend landesweit in Kraft treten, wie israelische Medien berichteten. Ben-Gvir ordnete demnach an, alle freiwilligen Polizeibeamten zu rekrutieren und alle Sicherheitskräfte vollständig zu bewaffnen.
Militante Palästinenser seien über die Luft mit Gleitschirmen, über das Meer und am Boden nach Israel eingedrungen, sagte Armeesprecher Richard Hecht. Die eigenen Soldaten kämpften an mehreren Orten im Umkreis des Gazastreifens. Dazu zählten zwei Militärbasen, der Eres-Übergang zum Gazastreifen sowie mehrere Ortschaften. Die Armee rief die Einwohner der südlichen und zentralen Landesteile auf, in geschützten Bereichen zu bleiben.
Opposition bietet Notstandsregierung an
Der israelische Oppositionsführer Jair Lapid hat Ministerpräsident Netanjahu die Bildung einer Notstandsregierung angeboten. Er habe Netanjahu angeboten, eine gemeinsame professionelle Koalition zu bilden, "die den harten, komplexen und langen Krieg führen kann, der uns bevorsteht". Netanjahu wisse, dass er "mit der nicht funktionierenden und extremistischen Zusammensetzung der Regierung keinen Krieg führen kann", so Lapid.
Warnung des deutschen Botschafters
Der deutsche Botschafter Steffen Seibert forderte deutsche Bürger in Israel auf, sich angesichts des Raketenbeschusses aus Gaza in die Nähe von Schutzräumen zu begeben. Auf der Plattform X (früher Twitter) schreibt er: "An alle Landsleute in Israel: Der Raketenbeschuss aus Gaza dauert an, es besteht insgesamt erhöhte Gefahr." Wichtig sei, sich über die Lage zu informieren und den Anweisungen der Sicherheitskräfte zu folgen. "Passen Sie auf sich auf!"
Unerwarteter Angriff
Israel feiert gerade das jüdische Fest Simchat Tora (Freude der Tora). Der massive Angriff aus dem Gazastreifen kam offenbar unerwartet. Die Lage besonders im besetzten Westjordanland hatte sich allerdings zuletzt wieder zugespitzt. Seit Donnerstag waren dort vier Palästinenser bei eigenen Anschlägen oder Konfrontationen mit der Armee getötet worden. Die Sicherheitslage in Israel und im Westjordanland ist seit langem angespannt. Seit Jahresbeginn wurden 27 Israelis, eine Ukrainerin und ein Italiener bei Anschlägen getötet. Im selben Zeitraum kamen mehr als 200 Palästinenser bei israelischen Militäreinsätzen, Konfrontationen mit israelischen Soldaten oder nach eigenen Anschlägen ums Leben.
An der Gaza-Grenze war es im vergangenen Monat mehrfach zu gewaltsamen Protesten gekommen. Dabei wurden auch Sprengsätze auf Soldaten geworfen, mehrere Palästinenser wurden durch Schüsse verletzt. Die israelische Luftwaffe griff angesichts der Vorfälle mehrmals Posten der im Gazastreifen herrschenden militanten Palästinenserorganisation Hamas an.
Im Gazastreifen leben nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als zwei Millionen Menschen unter sehr schlechten Bedingungen. Die militante Hamas hatte dort 2007 gewaltsam die Macht an sich gerissen. Israel verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten mitgetragen wird.
kle/se/fab/qu/jj/pg (dpa, afp, rtr)