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Faktencheck: Fakes zur fatalen Explosion an Klinik in Gaza

19. Oktober 2023

Israelische und palästinensische Stellen beschuldigen sich gegenseitig, die Rakete abgefeuert zu haben, die ein Krankenhaus in Gaza getroffen hat. Auf Social Media kursieren angebliche Beweise, doch die sind falsch.

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Gaza-Stadt: Zerschmetterte Fenster, ausgebrannte Autos und Trümmerteille am Krankenhaus Al Ahli Arab am Morgen nach dem Raketeneinschlag
Nicht nur der Urheber der Rakete ist noch unklar, sogar die Zahl der Opfer ist umstritten und nicht verifizierbarBild: Ali Jadallah/Anadolu/picture alliance

Es kursieren viele Theorien darüber, wie es zu der verheerenden Explosion am Krankenhaus Al-Ahli kam. Als sicher gilt: Am Dienstagabend schlug auf dem Krankenhausgelände eine Rakete oder ein Raketenteil ein. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza, das von den militant-islamistischen Hamasgeführt wird, kamen dabei und bei dem folgenden Brand rund 500 Menschen ums Leben. Jedoch ist die Anzahl der Opfer umstritten und nicht verifizierbar.

In den sozialen Medien überschlagen sich die Spekulationen über die Urheberschaft der Explosion. Die gängigsten Theorien: Hat die israelischeArmee das Krankenhaus absichtlich bombardiert? Hat sich eine fehlerhafte Rakete der Hamas - von der EU, Deutschland und weiteren Staaten als Terroristenorganisation eingestuft - oder der Islamisten des Islamischen Dschihads in das Krankenhaus verirrt? Oder hat eine israelische eine palästinensischeRakete abgefangen, deren Trümmer die tödliche Explosion ausgelöst haben?

Auch für das DW-Faktencheck-Team ist es unmöglich zu beurteilen, welche Seite Recht hat. Deshalb beschränken wir uns darauf, einige der angeblichen Beweise zu prüfen.

Screenshot eines Tweets, der wiederum einen Screenshot zeigt. Darauf postet angeblich die israelische Armee, dass es das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza bombardiert habe.
Der hier auf X gepostete Facebook-Screenshot zeigt nicht - wie behauptet - einen Account der Israelischen Verteidigungskräfte IDFBild: X

Behauptung: Die israelische Armee soll sich damit gebrüstet haben, das Krankenhaus in Gaza bombardiert zu haben, weil die Menschen dort wegen mangelnder medizinischer Ausstattung ohnehin nicht überlebt hätten. 

DW Faktencheck: Fake

Als "Beweis" wird ein Screenshot angeführt, der angeblichen von der arabischsprachigen Facebook-Seite der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF) stammt, der aber inzwischen gelöscht worden sei. Dort heißt es übersetzt: "Aufgrund des Mangels an medizinischer Ausrüstung und medizinischem Personal wurde beschlossen, das Baptistenkrankenhaus in Gaza zu bombardieren und ihnen durch Euthanasie den Tod zu schenken."

Durch die Verbreitung des Screenshots über mehrere Accounts und Medien unter anderem auf dem X-Account der palästinensischen Nachrichtenagentur Quds News Network und Reddit, war der Screenshot mehrere 100.000 Mal angezeigt worden.

Tatsächlich unterhält die IDF seit 2011 Facebook-Seiten unter anderem auf Hebräisch und  Englisch und auch eine auf Arabisch. Alle diese Facebook-Seiten tragen den weißen Haken auf blauem Grund, der anzeigt, dass ein Account tatsächlich der angegebenen Person oder Entität gehört. Auch die offizielle Webseite der IDF verlinkt auf diese Profile.

Der Facebook-Account von dem der fragliche Screenshot stammt, trägt dieses Siegel nicht und der Name des Accounts ist ein anderer als der des offiziellen. Dem Faktencheckportal "Check your facts", einem Mitglied des "International Fact-Checking Network" bestätigte ein IDF-Sprecher, dass der Account nicht den israelischen Streitkräften gehöre.

Videos als Beweis für den Ursprung der Rakete?

Zahllose Userinnen und User versuchen anhand verschiedener Videos auszumachen, ob die Verwüstung am Al-Ahli-Krankenhaus durch einen gezielten Angriff oder durch eine verirrte Rakete ausgelöst wurde. Da der Vorfall sich jedoch bei Dunkelheit ereignete, ist auf keinem der Videos zu erkennen, was genau dort einschlägt und die folgende Feuersbrunst auslöst. Deshalb argumentieren die Spekulierenden unter anderem mit der Flugbahn der Rakete.

Welche Videos authentisch sind, ist sehr schwer zu verifizieren. Sicher ist, das dieses vielfach geteilte Video (s. Screenshot) keinen Aufschluss über den Vorfall von Dienstag geben kann.

Ein Screenshot von einem X-Account zeigt einen Tweet mit einem Video einer Querschlägerrakete, das von August 2022 stammt, führt es aber als Beweis für die Urheberschaft des Raketeneinschlags vom 17. Oktober 2023 in einem Krankenhaus in Gaza an
Dieser Raketeneinschlag wurde bereits im August 2022 in Sozialen Medien gepostet Bild: X

Behauptung: Auf einem der Videos, die angeblich den Einschlag von Dienstag zeigen, ist eine Rakete zu sehen, die in einem weiten, eher horizontalen Bogen fliegt, bevor sie einschlägt. Der sechs Sekunden lange Clip wird mit der Behauptung geteilt, hier sei zu sehen, wie das Krankenhaus von einer fehlgeleiteten Hamasrakete getroffen wurde. Allein ein Tweet, der das behauptet, wurde mehr als 400.000 Mal aufgerufen, ein weiterer, fast identischer fast 90.000 Mal.

DW Faktencheck: Falsch

Das Video hat definitiv nichts mit der Explosion vom Dienstagabend im Al‑Ahli-Krankenhaus zu tun. Es wurde nämlich bereits 2022 über zahlreiche Social-Media-Kanäle geteilt, zum Beispiel über Tiktok, wie wir über eine Bilderrückwärtssuche feststellen konnten.

Wussten Augenzeugen von Al Jazeera sofort Bescheid?

Der katarische Sender Al Jazeera gehörte zu den ersten Medien, die über die Explosion berichteten, und meldete zunächst, es habe sich um einen israelischen Luftangriff gehandelt. Dabei zitierte der Sender offizielle Stellen aus Gaza. Auch westliche Agenturen berichteten dies zunächst. Erst im weiteren Verlauf der Berichterstattung ließen Al Jazeera, Reuters und Co die Urheberschaft des Raketeneinschlags offen und zitierten die gegenseitigen Schuldzuweisungen beider Seiten - der palästinensischen und der israelischen.

Screenshot eines X-Profil, das behauptet einer Al-Jazeera-Reporterin zu gehören.
Dieses mittlerweile gelöschte X-Profil ist vermutlich ein Troll-Account, einer Al-Jazeera-Reporterin gehörte es jedenfalls nichtBild: X

Behauptung: Eine angebliche Al-Jazeera-Reporterin bezichtigte ihren eigenen Sender kurz nach dem Einschlag der Lüge und behauptete, sie habe eine Ayyash-250-Rakete der Hamas erkannt, die ins Krankenhaus eingeschlagen sei.

DW-Faktencheck: Fake

Die Behauptung stammt von einem X-Account mit dem Profilnamen Farida Khan und der Selbstbeschreibung "Journalist @AJEnglish, Reporting Truth from Gaza and Palestine" (dt.: "Journalist von Al Jazeera Englisch, berichtet die Wahrheit aus Gaza und Palästina").

In der Nacht auf Mittwoch wurde der Account gelöscht. Eine archivierte Version zeigt aber, dass das Profil erst im September angelegt worden war und in den wenigen Wochen seiner Existenz mehr als 5000 Posts abgesetzt hatte - das ist typisch für Troll-Accounts. 

Der letzte Tweet war der über den Raketeneinschlag am Al-Ahli-Krankenhaus. Zu dem Zeitpunkt der Archivierung, rund drei Stunden nach Veröffentlichung, hatte er immerhin mehr als 210.000 Views. Al Jazeera postete zeitnah eine Gegendarstellung auf X und erklärte: "Dieser Account hat keine Verbindung zu Al Jazeera, seinen Ansichten oder Inhalten."

Mitarbeit: Joscha Weber und Uta Steinwehr

Jan Walter Autorenfoto
Jan D. Walter Jan ist Redakteur und Reporter der deutschen Redaktion für internationale Politik und Gesellschaft.