Weckruf für europäische Firmen in China
14. Januar 2021Während die beiden größten Volkswirtschaften der Welt, die USA und China, politisch und wirtschaftlich im Clinch liegen, sorgen sich europäische Firmen in China zunehmend um die Auswirkungen auf ihr Geschäft.
Das geht aus einem Bericht hervor, den die Berliner Denkfabrik Mercator Institute for China Studies (MERICS) gemeinsam mit der Europäischen Handelskammer in Peking erstellt hat, die 1700 EU-Unternehmen in China vertritt.
"Unsere Studie soll ein Weckruf sein", sagt Handelskammer-Präsident Jörg Wuttke der DW. Die Lieferketten europäischer Firmen seien in Gefahr, besonders bei Software und elektronischen Bauteilen. "Wenn die USA darauf bestehen, dass bei einem Produkt US-Software zum Einsatz kommt, und die Chinesen auf ihre Software bestehen, dann sitzen die Europäer zwischen den Stühlen und können nicht produzieren."
Lieferketten in Gefahr
Die Studie untersucht die Auswirkungen eines Phänomens, das Ökonomen Entkopplung nennen (engl. decoupling). Gemeint ist, dass sich die USA und China zunehmend voneinander abschotten, bei Konjunktur und Handel ebenso wie im Finanzwesen, bei Normen oder im Digitalen.
"Die USA wollen chinesische Technologien aus ihren Lieferketten verbannen, während China mit staatlicher Hilfe nationale Champions aufbaut, die eigenständige Ökosysteme einheimischer Technologien dominieren", heißt es im Bericht.
Beispiele sind das noch unvollständige "Saubere Netze"-Programm, mit dem die USA chinesische Tech-Firmen wie Huawei vom Ausbau ihrer digitalen Infrastruktur ausschließen, oder das chinesische Gegenstück CII, das ausländischen Herstellern die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen verwehrt, wenn deren Technik für nicht ausreichend "autonom und kontrollierbar" befunden wird.
Diese Entwicklung habe nicht erst mit US-Präsident Donald Trump begonnen und werde auch nicht mit ihm enden, heißt es in der Studie. In den USA gebe es einen "parteiübergreifenden Konsens, China als strategischen Wettbewerber" zu sehen. Es sei daher "unwahrscheinlich", dass die Globalisierung aus der Zeit vor Donald Trump unter seinem Nachfolger Joe Biden einfach neu aufgelegt werde.
Zumal es nicht nur die USA sind, die durch Strafzölle und Sanktionen gegen einzelne Firmen wie Huawei und Tiktok zur Entkopplung beitragen. "Tatsächlich ist die Entkopplung ein längerfristiger Trend, der in die frühen Tage von Chinas Öffnung und Reformen zurückreicht", die Ende 1978 ihren Anfang nahmen, heißt es im Report.
Seit dieser Zeit habe die chinesische Führung genaue Vorstellungen entwickelt, wo sie auf internationalen Wettbewerb setzt und wo auf Abschottung. Schon 2015, also vor Trumps Make America Great Again, präsentierte sie die Initiative "Made in China 2025", die das Land in vielen Industriebereichen technologisch führend machen soll - unter anderem durch strategische Unternehmenskäufe im Ausland.
Seit 2018, als der Handelsstreit mit den USA eskalierte, hat China seine Anstrengungen, vom Rest der Welt so unabhängig wie möglich zu werden, noch verstärkt. "Europäische Firmen in China berichten, dass diese Kampagne anders und radikaler ist als früher", so die Studie.
Zu den Methoden gehören Einfuhrverbote, wie zuletzt gegen australische Kohle, verstärkte und langwierige Sicherheitsprüfungen gegen einzelne Firmen, die Pflicht zur Partnerschaft mit chinesischen Firmen oder Abweichungen von internationalen Standards und Normen.
Zwischen den Stühlen
Im Dezember 2020 legte die chinesische Führung auf ihrer Zentralen Wirtschaftskonferenz für das laufende Jahr schließlich zwei Ziele fest: den Aufbau wissenschaftlicher und technologischer Stärke und die Entwicklung größerer Autonomie bei Lieferketten. Wirtschaftspolitische Entscheidungen werden künftig daran gemessen, ob sie diesen Zielen dienen.
Und die Europäer? Die schauen dem Treiben etwas hilflos zu - wissend, dass Neutralität zunehmend unmöglich wird. Außerdem nehmen auch in Europa die Vorbehalte gegenüber China zu, nicht zuletzt wegen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang und dem harten Vorgehen gegen die Demokratiebewegung in Hongkong.
Europäische Firmen könnten letztlich gezwungen sein, bei Lieferketten doppelte Strukturen aufzubauen, heißt es im Bericht. "Eine Lieferkette samt Forschung und Entwicklung exklusiv für China, und eine weitere für die restliche Welt." Bei digitalen Systemen würde das, auch wegen der europäischen Datenschutzbestimmungen, noch einmal komplizierter.
Die Alternative wäre allenfalls ein flexibles System, das weltweit gleiche Komponenten mit Sonderanfertigungen für China kombiniert. In jedem Fall wären die Kosten beträchtlich, so der Report: "Jeder Schritt in Richtung Entkopplung ist ein weiterer Schaden für Innovationen, Effizienz, Einsparungen und Größenvorteile."
Bitte anschnallen!
Einige europäische Firmen gaben an, ihre Präsenz in China wegen dieser Entwicklungen vielleicht ganz aufgeben zu müssen. Das im Dezember zwischen der EU und China auf den Weg gebrachte Investitionsschutzabkommen sei zwar gut, so Wuttke, aber nicht geeignet, um das Gesamtbild grundlegend zu verbessern.
Die Autoren der Studie von MERICS und der Europäischen Handelskammer raten den Firmen daher, "sich anzuschnallen und auf das Schlimmste vorzubereiten". Dazu gehören Notfallpläne und das ständige Prüfen von Alternativen. "Unsere Studie zeigt, dass wir uns nicht zurücklehnen dürfen", sagt Handelskammer-Präsident Wuttke.
Wichtig wäre auch, dass der Westen an einem Strang zieht. "Die USA und Europa müssen zusammenarbeiten, damit China als guter Teamplayer nach internationalen Regeln spielt, anstatt zu versuchen, seine eigenen Regeln durchzusetzen", so Wuttke.
Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es laut Studie dennoch. Bei den Regierungen scheine langsam die Erkenntnis zu reifen, dass ein zunehmende Entkopplung für alle Seiten gleichermaßen "schmerzhaft" wird.