Aktuell: CIA-Chef trifft russischen Kollegen in Ankara
14. November 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Gespräche zwischen Geheimdientschefs der USA und Russlands
- Staatschef ohne Helm und schusssichere Weste in Cherson
- Selenskyj: 400 "Kriegsverbrechen" dokumentiert
- Bund verstaatlicht frühere Gazprom-Tochter Sefe
- USA verhängen Sanktionen gegen Unterstützer Russlands
- Russland verhängt Sanktionen gegen Hollywoodschauspieler
Der Chef des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, hat seinen russischen Kollegen Sergej Narischkin in der türkischen Hauptstadt Ankara getroffen. Bei dem Gespräch habe Burns den Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR vor den "Konsequenzen eines russischen Atomwaffeneinsatzes" in der Ukraine gewarnt, wie mehrere US-Medien unter Berufung auf einen Sprecher der US-Regierung übereinstimmend berichteten. Kremlsprecher Dmitri Peskow bestätigte der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass, dass es ein Treffen zwischen Narischkin und Burns gegeben habe. Details nannte er nicht.
Das letzte offiziell bestätigte Treffen zwischen Vertretern Washingtons und Moskaus hatte es Mitte Januar - vor Russlands Einmarsch in die Ukraine - gegeben. Der Sprecher der US-Regierung betonte laut den Medienberichten, dass es bei den Gesprächen nicht um Verhandlungen zum Kriegsende in der Ukraine gegangen sei. Die ukrainische Regierung sei im Voraus über die Reise von Burns in die Türkei informiert worden. Die USA hielten entschieden an ihrem Grundsatz fest, nicht ohne die Ukraine über die Ukraine zu entscheiden, wird der Sprecher zitiert.
Burns habe auch andere Konflikte angesprochen, wie eine Fortsetzung des befristeten Abkommens zur Ausfuhr ukrainischen Getreides, die Wiederbelebung des Vertrages zur Begrenzung der Atomwaffen, die Lage in Syrien und den Austausch von Häftlingen. In den USA wird in diesem Zusammenhang ein Fall besonders aufmerksam verfolgt: Der der Basketball-Spielerin Brittney Griner. Sie wurde zu neun Jahren in einer Strafkolonie wegen des Besitzes von Drogen verurteilt.
Selenskyj besucht befreite Großstadt Cherson
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat die nach dem Rückzug russischer Truppen wieder ukrainisch kontrollierte Stadt Cherson im Süden des Landes besucht. Selenskyj war in militärisch anmutender Kleidung in den Straßen der Stadt unterwegs. Er war dabei von schwer bewaffneten Leibwächtern umgeben, wobei er selbst weder Helm noch schusssichere Weste trug.
"Wir kommen voran", sagte der Staatschef einem Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters zufolge vor Soldaten. "Wir sind bereit für den Frieden, Frieden für unser ganzes Land." Selenskyj bedankte sich zugleich bei der NATO und anderen Verbündeten für ihre Unterstützung im Kampf gegen Russland. Die russischen Truppen waren in der vergangenen Woche aus der Stadt im Süden der Ukraine abgezogen, was die Regierung in Kiew als Erfolg verbuchte.
Der Kreml reagierte erbost auf den Besuch in der strategisch wichtigen Stadt. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow kommentierte den Besuch direkt zwar nicht, hob aber hervor, dass Cherson russisches Staatsgebiet sei.
Hilfsgüter erreichen Cherson
Ein erster humanitärer UN-Konvoi hat am Montag die Menschen in der befreiten ukrainischen Großstadt Cherson erreicht. An Bord waren unter anderem Nahrungsmittel, Trinkwasser, Hygieneartikel, Küchenutensilien sowie Bettzeug, warme Decken und Solarlampen, wie das UN-Nothilfebüro OCHA in Genf mitteilte. Insgesamt seien mehr als 6000 Menschen versorgt worden. Eine Klinik erhalte Medikamente und Material zur Behandlung von mehr als 1000 Patientinnen und Patienten.
Nach ukrainischen Angaben sind noch etwa 80.000 von ehemals rund 280.000 Einwohner in der Stadt. Es war der erste UN-Konvoi, der die Menschen in Cherson erreichte, seit Russland die Stadt Anfang März überfallen und eingenommen hatte. Die russischen Truppen waren nach erfolgreichen ukrainischen Gegenoffensiven vor wenigen Tagen abgezogen.
Selenskyj: 400 "Kriegsverbrechen" dokumentiert
Selenskyj hatte zuvor von "Gräueltaten" der russischen Soldaten in der Region berichtet. "Die Leichen von Getöteten wurden gefunden: von Zivilisten und Soldaten", sagte Selenskyj in einer Videobotschaft am Sonntagabend. In der Region Cherson habe die russische Armee die gleichen Gräueltaten begangen "wie in anderen Teilen unseres Landes, in die sie eindringen konnte".
Der Staatschef kündigte an, "jeder Mörder" werde gefunden und vor Gericht gestellt. 400 russische"Kriegsverbrechen" seien dokumentiert worden, fügte Selenskyj hinzu. Ob er diese Zahl allein auf die Region Cherson bezog, blieb unklar.
Seinen Landsleuten sprach Selenskyj Mut zu: "Wir alle spüren, wie unser Sieg naht", erklärte er. Zugleich bedankte sich der Präsident bei Soldaten, Ärzten und Diplomaten, die seit Kriegsbeginn rund um die Uhr im Einsatz seien. "Es gibt immer Menschen, die kämpfen und arbeiten für unseren Sieg", sagte Selenskyj.
Bund verstaatlicht frühere Gazprom-Tochter Sefe
Die frühere deutsche Gazprom-Tochter Securing Energy for Europe (Sefe) wird verstaatlicht. Die Überschuldung und dadurch drohende Insolvenz des Unternehmens gefährde die Versorgungssicherheit in Deutschland, teilte das Bundeswirtschaftsministerium mit. Sefe sei "ein Schlüsselunternehmen für die Energieversorgung in Deutschland", betonte das Ministerium. Im Zuge der Verstaatlichung sollen demnach milliardenschwere staatliche Darlehen in Eigenkapital umgewandelt werden; hinzu kommen knapp 226 Millionen Euro an frischem Geld.
Sefe hieß früher Gazprom Germania. Das Unternehmen wird bereits seit April von der Bundesnetzagentur treuhänderisch verwaltet, nachdem der staatlich kontrollierte russische Mutterkonzern Gazprom den Verkauf mitgeteilt hatte, die neuen Eigentumsverhältnisse aber unklar blieben. Die nach Beginn der Treuhandverwaltung in Sefe umbenannte Firma ist unter anderem in den Bereichen Energiehandel, Gastransport und Betrieb von Gasspeichern tätig.
Polen stellt Gazprom-Tochter unter Zwangsverwaltung
Die polnische Regierung hat eine Gazprom-Tochter, die Anteile an dem Betreiber der Jamal-Pipeline, hält, unter Zwangsverwaltung gestellt. Dies sei notwendig, um "die Sicherheit der kritischen Infrastruktur" zu wahren, erklärte das polnische Entwicklungsministerium. Eine Enteignung sei laut Verfassung nicht möglich, weshalb man sich für eine Zwangsverwaltung entschieden habe. Bislang hält die Gazprom-Tochter einen Anteil von 48 Prozent an dem Unternehmen EuRoPol Gaz, das den 684 Kilometer langen polnischen Teils der Jamal-Gasleitung betreibt. Die übrigen 52 Prozent gehören dem polnischen Staat.
Die Gasleitung führt ausgehend von Sibirien durch Belarus und Polen bis nach Deutschland. Allerdings liefert Russland bereits seit April kein Gas mehr durch die Pipeline. Im Mai verhängte die russische Führung zudem Sanktionen gegen EuRoPol Gaz und weitere Energiefirmen in Reaktion auf die westlichen Sanktionen gegen Moskau wegen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine. Als Reaktion auf diesen hatte das polnische Innenministerium bereits im April Gazprom mit Sanktionen belegt und die Rechte des Anteilseigners eingefroren.
USA verhängen Sanktionen gegen Unterstützer Russlands
Die USA haben neue Sanktionen gegen eine Reihe von russischen Unternehmen verhängt. Die US-Regierung wirft ihnen vor, Moskau bei der Beschaffung von Waffen zu helfen und damit den Angriffskrieg in der Ukraine zu unterstützen. Konkret geht es um ein russisches Unternehmen, das auf die Herstellung und Produktion von Mikroelektronik spezialisiert ist sowie um drei mit der Firma in Verbindung stehende Firmen – in Armenien, Taiwan und der Schweiz. Weitere Sanktionen richteten sich gegen „ein globales Netzwerk“, das in Verbindung mit zwei Kreml-nahen russischen Geschäftsmännern stehe, die ihr Vermögen oder zumindest Teile davon im Westen verwalten lassen, teilte das US-Finanzministerium am Montag weiter mit.
Insgesamt hätten die USA gegen 14 Personen und 28 Einrichtungen Sanktionen verhängt, darunter auch gegen zwei Schweizer Staatsangehörige sowie mehrere Unternehmen in der Schweiz und in Frankreich. Als Folge der Sanktionen werden etwaige Vermögenswerte in den USA der Betroffenen eingefroren. Geschäfte mit ihnen werden US-Bürgern untersagt. Auch internationale Geschäfte werden durch die Sanktionen für Betroffene meist deutlich schwieriger.
Russland verhängt Sanktionen gegen Schauspieler Carrey und Schriftstellerin Atwood
Russland hat 100 kanadische Politiker, Wissenschaftler, Künstler und Unternehmer wegen ihrer proukrainischen Haltung mit Sanktionen belegt. Auf der Strafliste, die das russische Außenministerium veröffentlichte, stehen auch der Hollywood-Schauspieler Jim Carrey und die Schriftstellerin Margaret Atwood. Allen Betroffenen wird vorgeworfen, an der „Herausbildung des aggressiven antirussischen Kurses“ in Kanada beteiligt zu sein.
Carrey hat mehrfach seine Solidarität mit der Ukraine bekundet. Atwood hat an Protesten gegen den Krieg teilgenommen. Viele der Kanadierinnen und Kanadier auf der Liste sind ukrainischer Abstammung und arbeiten in Exilorganisationen mit. Für die 100 Personen wie für andere Kanadier, die früher bereits mit Sanktionen belegt wurden, gilt unter anderem ein Einreiseverbot nach Russland.
Kanada ist international einer der stärksten Unterstützer der Ukraine. Ministerpräsident Justin Trudeau sagte am Montag weitere 500 Millionen US-Dollar (484 Millionen Euro) an Militärhilfe zu.
Wallace warnt vor verfrühtem Jubel
Angesichts der Jubelszenen nach der Befreiung der südukrainischen Gebietshauptstadt Cherson hat der britische Verteidigungsminister Ben Wallace zur Vorsicht gemahnt. "Die Geschichte lehrt, dass Russland sehr brutal gegen seine eigenen Menschen sein kann", erklärte er in London. "Falls sie mehr Kanonenfutter brauchen, werden sie es sich holen", sagte Wallace mit Blick auf die jüngste Teilmobilmachung in Russland. Er verwies auch auf die geplanten Militärübungen an russischen Schulen. "Das ist die Art und Weise des Regimes, mit dem wir es zu tun haben."
Kiew entzieht westlichen Journalisten Akkreditierung
Das ukrainische Militär hat mehreren westlichen Journalisten nach ihrer Berichterstattung aus dem Gebiet Cherson die Akkreditierung entzogen. "In jüngster Zeit haben einige Medienvertreter die bestehenden Verbote und Warnungen ignoriert und ohne Zustimmung der Kommandeure und zuständigen PR-Abteilungen des Militärs ihre Berichterstattung aus Cherson aufgenommen, noch bevor die Stabilisierungsmaßnahmen abgeschlossen waren", begründete der Generalstab auf Facebook die Zwangsmaßnahme.
Aus dem Eintrag geht nicht hervor, welche Journalisten betroffen sind. Medienberichten zufolge jedoch sollen mindestens sechs Korrespondenten der Fernsehsender CNN und Sky News ihre Akkreditierung verloren haben. Die russische Armee hat Ende vergangener Woche den nordwestlichen Teil der Region Cherson geräumt. Das ukrainische Militär ist aus Vorsichtsmaßnahmen erst langsam in die Gebiete eingerückt. Als eine der wichtigsten Sofortmaßnahmen nannte Präsident Selenskyj die Minenräumung.
Polen bereitet sich auf Ukraine-Flüchtlinge vor
Angesichts des herannahenden Winters bereitet sich Polen auf die Aufnahme weiterer Flüchtlinge aus der Ukraine vor. Für den sofortigen Einsatz habe man "deutlich mehr als 100.000 Plätze" in Sammelunterkünften vorbereitet, sagte Integrationsministerin Agnieskza Scigaj dem Sender Radio Plus. Derzeit gebe es an der polnisch-ukrainischen Grenze noch keine Anzeichen dafür, dass die Zahl der Flüchtlinge wieder zunehme.
Polens Vize-Innenminister Bartosz Grodecki sagte, aus den Gesprächen mit der ukrainischen Regierung gehe hervor, dass Kiew bestrebt sei, möglichst viele Flüchtlinge aus umkämpften Gebieten im eigenen Land zu behalten. Polen helfe im Nachbarland mit dem Aufbau von Containerdörfern, die mit eigenen Strom- und Wärmeaggregaten ausgestattet seien. Nach Angaben Grodeckis leben derzeit rund 1,3 Millionen Ukraine-Flüchtlinge im Land. Polen und die Ukraine verbindet eine mehr als 500 Kilometer lange Grenze.
Weiter heftige Kämpfe in Region Donezk
Im Osten der Ukraine dauern die Gefechte nach Angaben von Präsident Wolodymyr Selenskyj mit unverminderter Härte an. "Die Kämpfe in der Region Donezk sind genauso intensiv wie in den vergangenen Tagen", berichtete der Staatschef. "Die Wucht der russischen Angriffe hat nicht abgenommen." Zugleich betonte er: "Wir werden nicht zulassen, dass sie unsere Verteidigung durchbrechen."
Scholz: Putin hätte nach Bali kommen sollen
Bundeskanzler Olaf Scholz hat die Entscheidung des russischen Präsidenten Wladimir Putin bedauert, nicht am G20-Gipfel auf der indonesischen Insel Bali teilzunehmen. "Es wäre gut gewesen, wenn Präsident Putin sich zum G20-Gipfel begeben hätte", sagte Scholz. "Dann hätte er sich allerdings aussetzen müssen all den Fragen und all der Kritik, die von vielen Ländern der Welt formuliert worden ist. Vermutlich ist er deshalb nicht da", meinte der Kanzler bei seinem Besuch in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi.
Die Abwesenheit Putins werde die anderen Staaten nicht davon abhalten, den Angriffskrieg zu kritisieren und Russland aufzufordern, seine Truppen aus der Ukraine zurückzuziehen, fügte Scholz hinzu. Wenn die Weltgemeinschaft klar zum Ausdruck bringe, "dass eine militärische Eskalation aus unserer Sicht inakzeptabel ist, dann muss es auch Bewegung geben - auch von der russischen Regierung, vom russischen Präsidenten - in Richtung auf Vorschläge, die eine Friedensbildung ermöglichen". Die Bundesregierung sei im intensiven Gespräch mit allen Beteiligten. "Deshalb arbeiten wir sehr unverdrossen daran, eine Meinungsbildung zustande zu bringen, die klarstellt, (...) dass das Recht vor der Macht gehen muss", betonte Scholz. Er sei "sogar vorsichtig zuversichtlich", dass dies gelinge.
Start von EU-Ausbildungsmission rückt näher
Die Außenminister der EU-Staaten wollen an diesem Montag in Brüssel formell grünes Licht für die geplante Trainingsmission ukrainischer Soldaten geben. Sie soll dabei helfen, dass sich die Ukraine noch besser gegen russische Angriffe zur Wehr setzen kann.
Vorgesehen ist, dass in den nächsten beiden Jahren rund 15.000 Ukrainer in mehreren Ländern der Europäischen Union geschult werden, darunter auch Deutschland. Für die Mission stehen zunächst 106 Millionen Euro zur Verfügung. Das Geld kommt aus dem europäischen Friedensfonds, mit dem die EU auch Waffenkäufe für die Ukraine finanziert.
sti/nob/wa/mak (dpa, afp, rtr)
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