Ukraine aktuell: "Wir vergessen niemanden"
13. November 2022
Das Wichtigste in Kürze:
- Selenskyj: Setzen Befreiung besetzter Gebiete fort
- Lage in Donezk "die reine Hölle"
- Minenräumung in Region Cherson angelaufen
- Moskau und Teheran planen engere Kooperation
- Verlängerung von Getreide-Abkommen ungewiss
Nach der Rückeroberung der südukrainischen Gebietshauptstadt Cherson hat Präsident Wolodymyr Selenskyj die Befreiung weiterer derzeit von Russland besetzter Regionen angekündigt. "Wir vergessen niemanden, wir werden niemanden zurücklassen", sagte Selenskyj. Auch auf der bereits 2014 von Russland annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim werde irgendwann wieder die ukrainische Flagge wehen, versprach der Staatschef.
Russland hatte die Region Cherson kurz nach Beginn seines Angriffskriegs Ende Februar weitgehend erobert und im September - ebenso wie die Gebiete Saporischschja, Luhansk und Donezk - völkerrechtswidrig annektiert. Unter dem Druck ukrainischer Gegenoffensiven zog der Kreml jedoch in den vergangenen Tagen seine Truppen aus allen Teilen Chersons ab, die nordwestlich des Flusses Dnipro liegen - darunter auch aus der gleichnamigen Großstadt Cherson.
Minenräumung in Region Cherson angelaufen
Nach dem Rückzug russischer Truppen haben ukrainische Sicherheitskräfte mit der Räumung von Minen in Cherson begonnen. 2000 Sprengsätze seien bereits entschärft worden, so Präsident Selenskyj. Er berichtete von massiven Zerstörungen in der Region: "Vor der Flucht aus Cherson haben die Besatzer die ganze kritische Infrastruktur zerstört - Kommunikation, Wasserversorgung, Heizung, Strom."
Rund 200 Polizisten seien nach Cherson entsandt worden, um Straßensperren zu errichten und "die Verbrechen der russischen Besatzer" zu dokumentieren, so Polizeichef Igor Klymenko.
Russland berichtet über Vorrücken im Gebiet Donezk
Russlands Verteidigungsministerium meldet einen kleineren Erfolg im ostukrainischen Gebiet Donezk. Man habe den Ort Majorsk bei der Stadt Horliwka erobert, sagte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow. Von ukrainischer Seite gibt es dazu noch keine Angaben. Präsident Selenskyj hatte bereits in seiner Videoansprache von derzeit besonders heftigen russischen Angriffen in Donezk gesprochen. "Dort ist es die reine Hölle", sagte er.
Russlands Armee hält Donezk in größeren Teilen besetzt und im September - ebenso wie das Nachbargebiet Luhansk sowie Saporischschja und Cherson im Süden - völkerrechtswidrig annektiert.
Volksbund: Kriegsverbrechen werden Russland belasten
Im Rahmen des Volkstrauertags an diesem Sonntag wird in Deutschland der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. Aus diesem Anlass weist der Präsident des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Wolfgang Schneiderhan, darauf hin, welche Langzeitfolgen der Angriffskrieg gegen die Ukraine für die russische Gesellschaft haben wird.
"Man sagt, es sei Putins Krieg", sagte Schneiderhan dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. Das stimme zwar; dennoch seien es auch russische Männer, die in diesem Krieg Verbrechen begingen. "Damit ist das Problem der zukünftigen russischen Gesellschaft angesprochen, die mit dieser Verantwortung fertig werden muss", sagte der frühere Bundeswehr-General. "Die deutsche Geschichte ist eine Lehrmeisterin, was das bedeutet und wie lange es dauert."
London: Russische Schulen üben die Wehrbereitschaft
Das britische Verteidigungsministerium sieht Anzeichen für eine Militarisierung der russischen Gesellschaft. So ziele der geplante verpflichtende Militärunterricht an russischen Schulen darauf ab, die Bereitschaft zu Mobilisierung und Wehrdienst bei jungen Menschen zu erhöhen. Schüler, die sich dem Wehrpflichtalter nähern, sollten bereits militärische Fähigkeiten besitzen.
"Diese Initiative ist wahrscheinlich auch Teil eines umfassenderen Projekts, um der russischen Bevölkerung eine Ideologie des Patriotismus und des Vertrauens in öffentliche Institutionen einzuflößen", heißt es unter Berufung auf Geheimdiensterkenntnisse. Das britische Verteidigungsministerium veröffentlicht täglich Informationen zum Kriegsverlauf in der Ukraine. Moskau sieht darin eine Desinformationskampagne.
Sunak findet deutliche Worte gegen Putin
Vor dem G20-Gipfel in Indonesien hat der neue britische Premier Rishi Sunak den russischen Präsidenten Wladimir Putin scharf kritisiert. "Putins Krieg hat weltweit für Verwüstung gesorgt, Leben zerstört und die internationale Wirtschaft in Turbulenzen gestürzt", betonte Sunak. Das Gipfeltreffen auf der Insel Bali werde kein "business as usual" sein, prognostizierte der Regierungschef. "Wir werden Putins Regime zur Rede stellen und dessen völlige Verachtung für internationale Zusammenarbeit und den Respekt für Foren wie die G20 offenlegen."
Russland und Großbritannien sind beide Mitglieder der Gruppe der großen Wirtschaftsmächte (G20). Putin selbst kommt jedoch nicht persönlich zum Gipfel, er lässt sich von seinem Außenminister Sergej Lawrow vertreten.
Lawrow attackiert USA - keine G20-Gespräche über "Krieg und Frieden"
Zum Abschluss des Gipfels des südostasiatischen Staatenbundes ASEAN gab Russlands Außenminister schon mal den Ton für den anstehenden G20-Gipfel vor. Sergej Lawrow warf dem Westen in scharfer Form eine Militarisierung Südostasiens vor. "Die Vereinigten Staaten und ihre NATO-Verbündeten versuchen, diesen Raum zu beherrschen", sagte er in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh. US-Präsident Joe Biden beabsichtige "die Militarisierung dieser Region mit einem offensichtlichen Fokus auf der Eindämmung Chinas und der Eindämmung russischer Interessen im Asien-Pazifik-Raum". Russland will als Reaktion auf die westlichen Sanktionen wegen des Ukraine-Kriegs die Beziehungen nach Asien ausbauen.
Lawrows Ministerium machte in einer Mitteilung auch deutlich, dass Russland nicht gewillt ist, mit den G20 über Sicherheitsthemen zu reden. Soziale und wirtschaftliche Probleme seien eher relevant für die 20 führenden Industrie- und Schwellenländer (G20), heißt es in einer Mitteilung des russischen Außenministeriums. Viele Staaten wollten aber über Krieg und Frieden reden, was nicht angebracht sei. "Das wäre ein Eingriff in das Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen." Bei den G20-Beratungen würde dies die Atmosphäre stören und eine Zusammenarbeit erschweren, heißt es in Moskau.
Scholz fordert von Vietnam eine klare Haltung
Bundeskanzler Olaf Scholz hat Vietnam aufgefordert, sich eindeutig gegen den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu stellen. Er wünsche sich eine "klare Positionierung" der Regierung in Hanoi in dieser Frage, sagte der SPD-Politiker nach einem Gespräch mit Ministerpräsident Pham Minh Chinh in der vietnamesischen Hauptstadt. "Es handelt sich bei dem russischen Angriffskrieg um einen Bruch des Völkerrechts mit gefährlicher Präzedenzwirkung. Kleine Länder können nicht mehr sicher sein vor dem Verhalten ihrer größeren, mächtigeren Nachbarn."
Der Kanzler sagte das auch mit Blick auf China, das im Südchinesischen Meer mit Vietnam, Malaysia, Brunei und den Philippinen um Inseln, Riffe und Meeresgebiete streitet. "Auch in der Region des Indopazifiks muss die Stärke des Rechts gelten, nicht das Recht des Stärkeren", betonte Scholz. Vietnam hat den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine anders als die große Mehrheit der UN-Mitglieder bisher nicht verurteilt, sondern sich in Abstimmungen dazu enthalten.
Habeck warnt im Umgang mit China vor Naivität
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will einmal gemachte Fehler nicht wiederholen. Nach einem Treffen mit seinem Kollegen aus Singapur warnte er davor, im Umgang mit China naiv zu sein. Deutschland habe vielleicht zu viel Vertrauen gehabt, dass immer alles gut gehe, sagte der Grünen-Politiker mit Blick auf die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen und den Krieg gegen die Ukraine.
Nun habe man unter furchtbaren Umständen lernen müssen, dass dies manchmal naiv und gefährlich sei. Solche Fehler sollten im Umgang mit China nicht gemacht werden. Habeck äußerte sich am Rande einer Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft.
Moskau und Teheran planen engere Kooperation
Russlands Präsident Putin und sein Kollege Ebrahim Raisi aus dem Iran haben über den weiteren Ausbau der Beziehungen ihrer Länder gesprochen. Schwerpunkt eines Telefonats sei "eine Intensivierung der Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Handel" gewesen, teilte der Kreml mit.
Der Iran unterhält gute Beziehungen zur Regierung in Moskau und war zuletzt für die Unterstützung des russischen Angriffs auf die Ukraine in die Kritik geraten. Vor rund einer Woche hatte die Führung in Teheran erstmals zugegeben, an Russland auch Kampfdrohnen geliefert zu haben. Dies sei jedoch vor Kriegsbeginn geschehen, hieß es. Laut Medienberichten ist auch die Lieferung iranischer Boden-Boden-Raketen an Russland geplant. Der Iran hat dies dementiert.
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Verlängerung von Getreide-Abkommen ungewiss
Eine Woche vor dem Auslaufen des Abkommens zum Export ukrainischen Getreides zeichnet sich keine Verlängerung des für die globalen Lebensmittelpreise wichtigen Vertrages ab. Zwar seien die Gespräche mit Vertretern der Vereinten Nationen in Genf nützlich gewesen, aber die Frage einer Verlängerung sei weiter offen, zitierte die russische Nachrichtenagentur TASS den stellvertretenden Außenminister Sergej Werschinin. Er forderte, die staatliche russische Rosselchos-Bank müsse von den westlichen Sanktionen ausgenommen und wieder an das internationale Zahlungssystem SWIFT angeschlossen werden. Vorher könne es keine Fortschritte geben.
Nach UN-Angaben wurden zehn Millionen Tonnen Getreide und andere Lebensmittel seit Inkrafttreten des Abkommens im Juli exportiert. Dadurch sei die globale Lebensmittelkrise gedämpft worden. Die Ukraine zählt zu den größten Getreideexporteuren weltweit. Durch das von den Vereinten Nationen und der Türkei vermittelte, bis zum 19. November befristete Abkommen können Getreide-Frachter das von der russischen Marine kontrollierte Schwarze Meer passieren.
Türkei: Moskau beschränkt Verkehr durch Meerenge
Russland wird es im Ausland beladenen Schiffen nach türkischen Informationen nicht länger erlauben, die Straße von Kertsch in Richtung des Asowschen Meeres zu durchqueren. "Die Durchfahrt von Schiffen, die außerhalb des russischen Territoriums beladen worden sind, ist durch die Straße von Kertsch nach Norden verboten", teilte die zuständige Stelle des türkischen Verkehrsministeriums mit. Der Hinweis sei von der russischen Seite gekommen, sagte ein Ministeriumssprecher - ohne weitere Einzelheiten zu nennen.
Das Asowsche Meer ist ein Binnenmeer zwischen Russland und der Ukraine und ist nur durch die Straße von Kertsch mit dem größeren Schwarzen Meer verbunden. Wichtige ukrainische Seehäfen am Asowschen Meer - etwa in Mariupol und Berdjansk - hat Russland während des Krieges unter seine Kontrolle gebracht.
Anfang Oktober war eine strategisch wichtige Brücke, die über die Meerenge von Kertsch zur Halbinsel Krim führt, durch eine Explosion schwer beschädigt worden. Russland sprach von einem "Terrorakt" und machte den ukrainischen Geheimdienst dafür verantwortlich.
rb/hf/wa/AR (AFP, AP, dpa, epd, KNA, Reuters)
Dieser Artikel wird am Tag seines Erscheinens fortlaufend aktualisiert. Meldungen aus den Kampfgebieten lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
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