Krimbrücke: Was ist echt, was ist fake?
13. Oktober 2022Mit einem gewaltigen Feuerball wurde am Samstag die Krimbrücke beschädigt. Bilder und Videos der Explosion auf der Brücke, die Russland mit der Stadt Kertsch auf der völkerrechtswidrig annektierten Krim verbindet, gehen viral. Doch längst nicht alle Aufnahmen sind echt. Einige Videos und Fotos sind alt oder manipuliert - auf manche fielen auch Medien herein. Die DW hat einige Beispiele überprüft.
Ein LKW, dessen Räder verschwinden?
Einige Falschmeldungen geben vor, die Verursacher der Explosion zu zeigen. In Russland, das den Vorfall auf der Brücke als Terroranschlag einstuft, haben die Ermittler des Inlandsgeheimdienstes FSB den ukrainischen Militärnachrichtendienst HUR für verantwortlich erklärt und lieferten auch einen angeblichen Beweis: einen verdächtigen LKW.
Behauptung: "Ein Video zeigt die Inspektion eines Lastwagens, der einen Sprengsatz transportiert", berichtet die russische Nachrichtenagentur "Ria Novosti" unter Verweis auf den Geheimdienst FSB. Eine Art Röntgen-Bild des LKW soll dessen explosive Fracht zeigen.
DW-Faktencheck: Falsch.
Die beiden abgebildeten LKW sind nicht identisch, wie ein Vergleich eines Screenshots aus dem Überwachungsvideo mit dem Röntgenbild deutlich macht. Bei dem Video handelt es sich angeblich um die Aufnahmen der Überwachungskamera, auf denen die Durchsuchung eines Lastwagens bei einem Zollposten in Taman zu sehen ist. Das Bild, so FSB laut russischen Medien, zeigt die Röntgenaufnahme des LKWs, in dem angeblich der Sprengstoff zwischen den mit Filmrollen beladenen Paletten versteckt wurde.
Auffälligste Unstimmigkeit: die unterschiedliche Anzahl der Räder bzw. Achsen. Auf dem Röntgenbild fehlt das zweite Rad vorne rechts. Die Zugmaschine in dem Überwachungsvideo hat insgesamt drei Achsen, der LKW auf dem Röntgenbild hat nur zwei.
Das Reserverad am Ende des Anhängers befindet sich jeweils an einer anderen Position. Außerdem fehlt in dem Röntgenbild eine Art Schutzgitter unter dem Sattelzug, das auf dem Überwachungsvideo zu erkennen ist. Video und Bild zeigen also zwei unterschiedliche Lastwagen.
Nur vier Tage nach der Explosion auf der Krimbrücke wurde damit in russischen Staatsmedien wie RIA Novosti unter Berufung auf den Geheimdienst FSB eine Spur zu den Tätern veröffentlicht, die keine ist - und die den russischen Ermittlern viel Spott einbrachte.
Ein Boot, das keiner sehen kann?
Andere Behauptungen sehen die Ursache für die Explosion nicht auf, sondern unter der Brücke.
Behauptung: Aufnahmen einer Überwachungskamera zeigen angeblich ein Boot unter der Krimbrücke wenige Sekunden vor der Explosion, schreibt unter anderem dieser Twitter-User: "Inzwischen ist klar, dass diese Explosion nicht vom sogenannten Kamikaze-Truck stammt, sondern von einer Unterwasserdrohne oder einem kleinen Boot, das mit Sprengstoff gefüllt ist."
DW-Faktencheck: Unbelegt.
Das gepostete Video einer Überwachungskamera zeigt die Krimbrücke aus einem anderen Winkel, so dass man die Autobrücke in Richtung Kertsch rechts im Bild erkennen kann. In Sekunde 00:03 ist auf dem Wasser eine Wellenbewegung zu sehen. Es ist aber nicht zu erkennen, was genau die Wasserbewegung verursacht, da schon eine Sekunde später die Explosion die Sicht nimmt.
Auch viele andere Nutzer in sozialen Medien nutzen den Videoausschnitt, um ein Boot als Explosionsursache zu begründen. Hier beispielsweise wird behauptet, dass bei einer verlangsamten Ansicht ein Boot erkennbar sei. Das DW-Faktencheck-Team fand keine Hinweise auf ein Boot zum Explosionszeitpunkt. Auch Nick Waters, Experte für digitale Bildanalyse bei "Bellingcat", kann auf dem Bild kein Boot erkennen. In seinem Twitter-Thread zur Krimbrücke schreibt Waters: "Einige haben behauptet, ein Boot sei in diesem Standbild zu sehen. Wenn ja, kann ich es nicht sehen. Ich kann einige Wellen sehen, die auf etwas hindeuten können oder auch nicht, aber ich kann kein Boot sehen."
Die verbreiteten Überwachungskamera-Aufnahmen können nicht belegen, dass es sich ein Boot zum Zeitpunkt der Explosion unter der Krimbrücke befand.
Eine Dashcam, die die Explosion filmt?
Behauptung: "Der Moment, der den Angriff auf die Krimbrücke zeigt", schreibt ein Nutzer zu einem Video, das sich auf Twitter schnell verbreitete.
DW-Faktencheck: Falsch.
Die 12-sekündige Aufnahme einer Autofahrt auf der Krimbrücke zeigt wie das befahrene Auto scheinbar von einer Explosionswelle erfasst wird. In der Sekunde 00:05 sieht man eine Rauchwolke im Hintergrund aufsteigen. Viele Nutzer zweifeln an der Echtheit dieses Videos, da die Lichtverhältnisse auf dem Video (ein heller Tag) mit denen während der Explosion um 6 Uhr morgens am 8. Oktober 2022 (noch dunkle Morgenstunden wie das Video der Überwachungskamera zeigt) nicht übereinstimmen. Es ist nicht die einzige Ungereimtheit: Bei der Bilderrückwärtssuche einzelner Keyframes des Videos stoßen wir auf ältere Versionen diese Videos. Wir finden unter anderem dieses Video in einem Tweet vom 9. Mai 2022.
Auch damals wurde die Aufnahme als Explosion auf der Krimbrücke präsentiert - mit Erfolg: Führende russische Medien wie die staatliche Nachrichtenagentur TASS und die Wochenzeitung "Argumenty i Fakty" haben die Explosion mit Berufung auf die Augenzeugen gemeldet. Doch noch am gleichen Tag wurde die Aufnahme von der selbsternannten Regierung der von Russland anektierten Krim zum Fake erklärt.
Die Echtheit der Aufnahme bezweifeln auch Experten für digitale Forensik. So fand Hany Farid von der University of California bei der Analyse der Aufnahme im Auftrag der AP einige Indizien für Manipulation: Zwei einzelne Frames des Videos sind beinahe identisch, was bei der Bewegung im Video sehr unwahrscheinlich ist. Spuren der Manipulation der Tonspur erkannte laut AP auch Catalin Griigoras vom National Center for Media Forensics der University of Colorado.
Was auf jeden Fall fest steht: Das Video zeigt nicht die Explosion auf der Krimbrücke vom 8. Oktober.
Ein Ausweis, der den Täter verrät?
Auch das Bild eines ukrainischen Personalausweises, der angeblich von einem Selbstmord-Attentäter stammen soll, verbreitete sich schnell in den sozialen Netzwerken. Medien wie die spanische Zeitung "EuroWeekly News" haben die Hypothese samt Bild veröffentlicht. Was steckt dahinter?
Behauptung: "Berichten zufolge haben russische Beamten den Täter hinter der Explosion der Kertsch-Brücke auf der besetzten Krim gefunden", so einTwitter-Nutzer.
DW-Faktencheck: Falsch.
Alles spricht für eine Fälschung: Die Nummer des Ausweises unten rechts besteht ausschließlich aus Nullen - genauso wie bei einem Ausweismuster, das unter anderem auf Wikipedia zu finden ist. Auch die Unterschrift und das Gültigkeitsdatum sind bei den beiden Ausweisen identisch. Außerdem ist auf Ausweisfoto ein nackter Oberkörper zu erkennen, was wohl kaum eine Behörde akzeptieren würde. Auch die Schreibweise des Nachnamens in englischer Sprache entspricht nicht dem ukrainischen Gesetz über die Transliteration der Eigennamen ins lateinische Alphabet.
Die Bilderrückwärtssuche führt zu älteren Beiträgen in sozialen Netzwerken, die das Bild in anderen Zusammenhängen nutzten. Mal soll das offensichtlich gefälschte Ausweisbild einen gefallenen Asow-Anführer zeigen, mal wird der Fake-Ausweis in Verbindung mit dem Tod von Daria Dugina, der Tochter des russischen Ideologen Alexander Dugin gebracht. Viele Treffer führen auf Meme-Seiten.
Und so ist es auch im aktuellen Fall: Auf dem Foto ist der US-Comedian Sam Hyde zu sehen. Sein Name und seine Bilder wurden schon oft von Internet-Trollen genutzt, zum Beispiel bei Amokläufen, um ihn als angeblichen Täter zu inszenieren. Unter dem Namen Samuyil Hyde wurde der Amerikaner im Frühjahr 2022 auch als der so genannte"Geist von Kiew" , ein angeblicher ein ukrainischer Pilot, der besonders viele russische Flugzeuge abgeschossen haben soll, vorgeführt.
Der offensichtlich gefakte Ausweis im Zusammenhang mit der Explosion der Krimbrücke spricht für eine weitere Troll-Aktion. Viele Nutzerprofile, die das Bild geteilt haben, sind der "North Atlantic Fellas Organization", kurz NAFO, zuzurechnen. Diese kämpft als globale Internetarmee mit witzigen Hunde-Memes gegen russische Desinformation im Netz.
Wie man Trolle im Internet erkennt, zeigt ein weiterer DW-Faktencheck.