Schluss mit Steuervermeidung
1. November 2021Nach Jahren des diplomatischen Stillstands haben die G20-Staaten zu gemeinsamem Handeln zurückgefunden. Bei ihrem Gipfeltreffen am Wochenende in Rom einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf eine Reihe gemeinsamer Positionen: Konkretestes Ergebnis war der Beschluss zur Einführung einer globalen Mindeststeuer für Unternehmen.
Als "historischen Erfolg" feierten die G20-Länder in ihrer Abschlusserklärung die Einführung der Mindestunternehmensbesteuerung ab 2023, die zu einem "gerechteren internationalen Steuersystem" führen werde. Die Neuregelung soll verhindern, dass sich beispielsweise große Digitalkonzerne in Niedrigsteuerländern ansiedeln, wo sie kaum Steuern zahlen müssen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach in Rom von einem einem "Gerechtigkeitssignal" und einem "Meilenstein in der globalen Zusammenarbeit".
Steuervermeidung als Geschäftsprinzip
Viele Unternehmen - besonders die Internet-Riesen - haben in Ländern, in denen sie prächtig Geld verdienen, keine physische Präsenz mehr. Oft haben sie ein Netzwerk aus Tochtergesellschaften in Niedrigsteuerländen, an die Gewinne über Patent-, Software- und Lizenzeinnahmen fließen. Am Ende zahlen die Firmen so insgesamt nur sehr wenig Steuern.
Davon profitieren vor allem Internet-Riesen wie Amazon, Facebook oder Apple. Digitalfirmen zahlen nach Schätzungen der EU-Kommission im Schnitt nur etwa neun Prozent an Unternehmenssteuern, klassische Betriebe dagegen mehr als 20 Prozent. Außerdem gehen die Länder, in denen der Umsatz generiert wurde, weitgehend leer aus. Auf diese Weise entgehen nicht nur Industriestaaten Steuereinnahmen, sondern auch Ländern wie Indien oder Brasilien, die wegen ihrer riesigen Bevölkerung wichtige Märkte für solche Konzerne sind.
Steuern da bezahlen, wo der Umsatz gemacht wird
Künftig sollen zwei Regelungen eine solche Steuervermeidung schwieriger machen. Zum einen sollen Konzerne mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro einen globalen Mindeststeuersatz bezahlen. Das bedeutet: Es wird auch weiterhin jede Regierung eigene Steuersätze festlegen, aber zahlt ein Konzern in einem Niedrigsteuerland beispielsweise nur zehn Prozent, könnte das Heimatland des Unternehmens die Differenz zur Mindeststeuer verlangen.
Außerdem sollen Unternehmen, die einen weltweiten Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro erwirtschaften, Steuern in den "Marktländern" bezahlen, also dort, wo sie ihre Waren oder Dienstleistungen verkaufen und nicht dort, wo sie den Firmensitz angemeldet haben. Dies zielt auf die großen Internet-basierten US-Konzerne wie Google, Amazon, Facebook oder Apple. Damit wird die seit 100 Jahren geltende Besteuerung im "Sitzland" verändert. Bei dieser Regel sollen in den folgenden Jahren die Umsatzschwellen abgesenkt werden, so dass sie künftig für immer mehr Unternehmen gilt.
Experten der Industriestaaten-Organisation OECD gehen davon aus, dass von der Mindeststeuer weltweit 7000 bis 8000 Firmen betroffen sein werden, einige Hundert davon aus Deutschland. Weltweit dürfte das den Staaten einen Geldsegen von bis zu 150 Milliarden Dollar pro Jahr führen. Deutschland könnte nach Berechnungen des Ifo-Instituts auf Einnahmen von fünf bis sechs Milliarden Euro hoffen.
Finanzbranche wurde ausgeklammert
Natürlich gilt auch hier: Keine Regel ohne Ausnahme. So sind internationale und gemeinnützige Organisationen, bestimmte Pensionsfonds und Investmentfonds von Großkonzernen von der Mindeststeuer ausgenommen. Auch Gewinne aus dem Geschäft mit Containerschiffen werden ausgeklammert.
Ausnahmen gibt es auch für Länder, die eine gewisse Substanz an Unternehmensaktivitäten vorweisen können, also bestimmte Wirtschaftsgüter vor Ort haben und Beschäftigte im Land. Für Steueroasen reichen die Ausnahmen Insidern zufolge nicht, wohl aber für einige bislang skeptische EU-Länder. Ausnahmen für die Finanzbranche sind bei der Mindeststeuer nicht vorgesehen.
Was die Besteuerung in den Marktländern angeht, sind Rohstoffe ausgenommen, weil Unternehmen hier immer auch Wirtschaftsaktivitäten vor Ort haben. Außerdem wurde auf Druck von Großbritannien die Finanzbranche ausgenommen. Experten argumentieren, anders als die großen Internetfirmen werden Banken vor Ort etwa in China und Indien bereits streng reguliert und damit auch besteuert. Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus findet die Ausnahmen für die Finanzbranche besonders ärgerlich. "Gerade Banken sind in den letzten Jahren immer wieder negativ durch Gewinnverschiebung aufgefallen."
Ab 2023 sollen die neuen Regeln gelten
Die Einigung auf eine weltweite Steuerreform war im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erfolgt. Von den 140 Ländern, die zuletzt unter dem OECD-Dach am Verhandlungstisch saßen, haben vier nicht unterschrieben: Kenia, Nigeria, Pakistan und Sri Lanka. In Europa waren bis zuletzt Irland, Ungarn und Estland skeptisch, tragen die Pläne nun aber mit. Insidern zufolge wurden sie mit Ausnahmen und Übergangszeiten geködert.
Geplant ist, das die einzelnen Länder die globale Steuerreform 2022 in nationale Gesetze übersetzen. Die Neuregelung würde dann ab 2023 gelten. Digitale Strafsteuern, die etwa Großbritannien und Frankreich eingeführt hatten und in der EU geplant waren, müssen abgeschafft werden. Dieser Zeitplan gilt allerdings als sehr ambitioniert und könnte noch nach hinten verschoben werden.
iw/hb (rtr, dpa)