G20-Staaten wollen Steueroasen austrocknen
10. Juli 2021Alle Mitglieder der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer sowie die EU haben sich noch einmal förmlich auf die Einführung eines neuen Steuersystems auf Unternehmens-Gewinne für die Welt festgelegt. Alle G20-Mitglieder seien an Bord, erklärte der deutsche Bundesfinanzminister Olaf Scholz in Venedig. "Das ist ein wirklich großer Fortschritt. Ich bin sehr, sehr glücklich." Dass die Entscheidung historisch sei, sehe man daran, dass die G20-Ministerinnen und Minister im Saal sich selbst applaudiert hätten. "Das ist schon äußerst selten." Jetzt gehe es darum, die neue Regeln bis 2023 in nationales Recht umzusetzen. "Das ist nur sehr, sehr wenig Zeit." Scholz zeigte sich nach den Beratungen mit den wichtigsten Finanzministern der Welt aber zuversichtlich, dass dies gelingen wird.
Vor den G20 hatten schon 131 Länder im Rahmen der UN-Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) den neuen Steuer-Deal unterstützt. Treibende Kraft hinter den Verhandlungen ist die neue amerikanische Finanzministerin Janet Yellen, die anders als die Vorgänger-Regierung von Präsident Donald Trump auf internationale Zusammenarbeit setzt. Sie will drohende Handelskriege auch mit der EU wegen der Steuerfragen abwenden. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit Bundesfinanzminister Scholz sagte Janet Yellen, der "Wettbewerb nach unten" um immer niedrigere Gewinnsteuern zwischen den Staaten könne beendet werden. Die G20 nennen die Entscheidung in ihrem Kommuniqué selbst "historisch".
Steuerflucht verhindern
Die globale Steuerreform besteht aus zwei Säulen. In der ersten Säule werden hoch profitable Unternehmen erfasst, die einen weltweiten Umsatz von mehr als 20 Milliarden Euro erwirtschaften. Sie sollen ihre Gewinne nicht mehr in Niedrigsteuerländer verschieben können und dort Steuern zahlen, wo sie auch ihre Waren oder Daten verkaufen. Dies zielt auf die großen Internet-basierten US-Konzerne wie Google oder Apple. Aber auch deutsche oder chinesische Konzerne müssten in Zukunft Steuern eher in ihren "Marktländern" entrichten und nicht mehr dort, wo sie ihren Sitz anmelden, zum Beispiel im Niedrigsteuerland Irland. Steuervermeidung, die heute legal ist, soll auf diese Weise unterbunden werden. Die seit 100 Jahren geltende Besteuerung im "Sitzland" wird verändert. Im Laufe der Jahre sollen die Umsatzschwellen abgesenkt werden, so dass immer mehr Unternehmen in die erste Säule fallen.
Mindeststeuer 15 Prozent
In der zweiten Säule wird eine Steuer auf Unternehmensgewinne von mindestens 15 Prozent vorgeschrieben. Damit soll eine Verlagerung von Gewinn und Sitz in "sichere Steuerhäfen" verhindert werden. Der neue Trick ist, dass Staaten die Steuern von Unternehmen kassieren können, auch wenn sie in anderen Staaten bereits niedrigere Steuern gezahlt haben. Wer im Land x nur zwei Prozent zahlen musste, kann im Land y noch mit 13 Prozent zusätzlich zur Kasse gebeten werden.
Bei der Steuerreform handelt es sich nicht um eine gesetzliche Vorschrift, die in den G20-Staaten unmittelbar Recht würde, sondern um einen internationalen Vertrag, der die Staaten verpflichtet, die Vorschriften in nationales Recht umzusetzen.
Die Besteuerung der Unternehmen soll auf einer international anerkannten Definition der Gewinne beruhen. Verhandelt wird noch über Ausnahmeregelungen, die es Staaten erlauben würde, auf die Mindestbesteuerung zu verzichten, wenn Unternehmen Investitionen tätigen oder Arbeitsplätze schaffen.
Widerstand bei manchen EU-Staaten
In der Europäischen Union sind Irland, Estland, Ungarn und Zypern noch nicht von dem Steuer-Plänen überzeugt. Sie haben Widerstand angekündigt. International haben weitere Länder wie Nigeria, Kenia, Barbados sowie St. Vincent und die Grenadinen der Steuervereinbarung im Rahmen der OECD nicht zugestimmt. Das sei auch gar nicht nötig, meinten dazu Bundesfinanzminister Scholz und die US-Finanzministerin Janet Yellen. Die Sorgen der ablehnenden Staaten sollten bis zum Oktober, wenn sich die G20-Staats- und Regierungschefs treffen, noch einmal diskutiert werden. "Wir werden versuchen, das zu tun, aber ich möchte betonen, dass es nicht entscheidend ist, dass jedes Land an Bord ist", sagte Yellen in Venedig. "Die Übereinkunft enthält eine Art Mechanismus, um sie durchzusetzen. Wir stellen sicher, dass widerstrebende Staaten nicht in der Lage sein werden Steuermodelle zu verwenden, die dieses weltweite Abkommen untergraben", erklärte die US-Finanzministerin. Bundesfinanzminister Olaf Scholz zeigte sich überzeugt, dass auf Dauer kleinere Staaten wie Irland oder Estland nicht in der Lage sein würden, sich den G20 zu widersetzen. Eine Einstimmigkeit ist in der EU in dieser Frage nicht notwendig.
Yellen in der Euro-Gruppe
Janet Yellen reist am Montag nach Brüssel weiter, um dort mit den Finanzministern und Finanzministerinnen der Euro-Gruppe zu beraten. Sie will versuchen, den irischen Finanzminister Paschal Donohue, der auch Präsident der Euro-Gruppe ist, zu überzeugen. Außerdem drängen die USA darauf, dass die EU-Kommission Pläne für eine eigene Digital-Steuer fallen lässt. Auch Großbritannien, Frankreich, Italien und andere Staaten, die bereits ein Digitalsteuer hauptsächlich für US-Konzerne eingeführt haben, sollen diese Steuern wieder abschaffen. Im Gegenzug wären die USA bereit, die Drohungen mit Sanktionen gegen diese Staaten zurückzunehmen. Nach Auffassung der meisten G20-Steuerexperten in Venedig ist eine eigene Digitalsteuer mit dem Zwei-Säulen-Modell der OECD überflüssig.
Widerstand im US-Senat
Das neue Steuerabkommen muss vom amerikanischen Senat gebilligt werden, was angesichts der Opposition der Republikaner gegen den Deal schwierig werden dürfte. Die US-Finanzministerin gab sich in Venedig optimistisch, eine Mehrheit zustande zu bringen.
Ohne die USA als größter Volkswirtschaft der Erde würde das neue Steuersystem kaum funktionieren. Die OECD schätzt die möglichen steuerlichen Mehreinnahmen auf 150 Milliarden Euro jährlich. Nach dem Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie brauche man auch neue Geldquellen, so Bundesfinanzminister Scholz: "Es ist absolut nötig, dass wir diesen Schritt tun."
Wie viel in seiner Kasse landen könnte, wollte Scholz allerdings öffentlich nicht sagen. Einige Steuerexperten gehen davon aus, dass die bisherigen Steueroasen ihre Geschäftsmodelle ändern müssen, aber sicher werde es auch in den neuen Steuergesetzen für kreative Steueranwälte Lücken geben können, meinte ein G20-Diplomat in Venedig.
Mindestpreis auch für CO2?
Die G20-Runde vereinbarte außerdem, bei der Finanzierung der Folgen des Klimawandels enger zusammen zu arbeiten. Es sollte vermieden werden, dass sich Staaten untereinander Konkurrenz machten, wenn es um den Verkauf von Verschmutzungsrechten mit Kohlendioxid gehe, heißt es im Abschluss-Dokument des Finanz-Gipfels. Es soll verhindert werden, dass Industrieunternehmen, die viel klimaschädliche Gase ausstießen oder billigen Strom brauchten, in Länder abwandern, die keine strengen Umweltauflagen hätten. Der französische Finanzminister Bruno Le Maire schlug vor, einen Mindestpreis für den Ausstoß von CO2 weltweit festzulegen. Ein ähnliches Modell wie bei der Steuerreform. Die Diskussion hat begonnen.