Fuest: Steuervermeidung wird schwerer
9. Juli 2021DW: Die Finanzminister der G20-Staaten verhandeln in Venedig die letzten Einzelheiten, um internationale Konzerne abschöpfen zu können und Steueroasen auszutrocknen. Das Verschieben von Gewinnen und Steuervermeidung in großem Stil soll mit dieser globalen Steuerreform verhindert werden. Glauben Sie, dass dies gelingen wird mit dem Modell, über das verhandelt wird?
Clemens Fuest: Wir werden uns in die Richtung bewegen, dass vor allem Extremfälle von Steuervermeidung und Verschiebung zurückgedrängt werden. Es wird noch dauern, bis das wirklich konkrete Folgen hat, weil so vieles noch offen ist. Aber von der Richtung her wird das sicherlich die Praxis der Steuervermeidung erschweren.
Aber es gibt eine Menge an Ausnahmen. Es betrifft zunächst nur Firmen, die hochrentabel sind und einen Umsatz von über 20 Milliarden Euro jährlich machen. Das sind ja eigentlich nur wenige?
Jetzt müssen wir aufpassen, denn es geht ja um zwei Dinge: Erstens die Verlagerung von Besteuerung in Absatz-Länder. Heute werden Unternehmen nach den international geltenden Regeln dort besteuert, wo sie ihren Sitz haben, wo sie ihre Forschung oder ihre Produktionsstätten haben, aber nicht dort, wo sie ihre Produkte verkaufen. Dort wo sie Produkte absetzen, fällt nur Umsatzsteuer an, aber keine Gewinnsteuer. Das wird jetzt geändert. Und das gilt nur für Unternehmen mit einem Umsatz über 20 Milliarden Euro. Es sind wegen der Profitabiltätsschwelle von zehn Prozent aber nur wenige Unternehmen betroffen. Trotzdem ist das die größte Veränderung in unserem Steuersystem.
Die zweite Geschichte ist die Mindeststeuer. Das muss man davon unterscheiden. Die Mindessteuer von 15 Prozent gilt schon für Unternehmen ab 750 Millionen Euro weltweitem Umsatz. Da sind viel mehr Unternehmen betroffen.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz spricht davon, dass das Steuersystem gerechter werden soll und mehr Steuereinnahmen generiert werden sollen. Da gibt es Schätzungen, dass 150 Milliarden Euro mehr in die Kassen der Staaten gespült werden. Glauben Sie solchen Schätzungen?
Mit solchen Schätzungen muss man sehr vorsichtig und sehr kritisch umgehen. Die muss man sich sehr genau anschauen. Die beruhen auf sehr vielen Prämissen. Ich denke, dass vor allem in den ersten Jahren sehr viel weniger herauskommt. Trotzdem denke ich schon, dass man ganz extreme Fälle von Steuervermeidung hier angehen kann, so dass der Staat durchaus ein bißchen mehr Geld einsammelt. Nur wird es nicht so viel sein. Das hat damit zu tun, dass es Ausnahmen geben wird, dass es natürlich Reaktionen geben wird, zum Beispiel Umstrukturierungen von Unternehmen. Und weil das ganze ziemlich kompliziert ist, wird es auch neue Steuervermeidungs-Möglichkeiten geben.
Brauchen bisherige Niedrigsteuer-Länder und Länder mit günstiger Steuergestaltungsmöglichkeit, wie Irland, Luxemburg, Ungarn oder Estland in der EU, neue Geschäftsmodelle?
Die werden sie wohl brauchen. Sie werden neue Instrumente entwickeln und einsetzen müssen. Ein Beispiel: Man zahlt Unternehmen Subventionen statt Steuerermäßigung zu gewähren. Subventionen sind nur begrenzt möglich innerhalb der EU. Es ist zum Beispiel möglich, dass man, statt den Firmen selbst ihren Angestellten Steuerermäßigungen gibt, also Einkommenssteuern reduziert. Das kann dann auch Kosten für die Unternehmen sparen, weil ein hohes Netto-Einkommen, ein niedrigeres Bruttoeinkommen möglich macht.
Den Wettbewerb um die Ansiedlung von Unternehmen, Jobs und Investitionen, die nun einmal international mobil sind, wird man nicht ausschalten. Das wäre auch gar nicht wünschenswert. In der Tat sind diejenigen, die sich am meisten umstellen müssen, die Länder, die niedrige Steuern haben und eher an der Peripherie liegen. Die brauchen dieses Modell eigentlich, um attraktiv zu sein. Wenn man mitten in Europa liegt, wie Deutschland, dann muss man nicht ganz so niedrige Steuern haben und ist trotzdem attraktiv.
Die Briten und die Franzosen haben schon sogenannte Digitalsteuern eingeführt, um hauptsächlich amerikanische Internet-Konzerne ein wenig zur Kasse zu bitten. Die EU hat ähnliche Pläne vorgelegt. Braucht man das noch, wenn man auf das G20-Modell geht?
Das war schon vorher ein fragwürdiges Instrument. Wir müssen ja sehen, Steuervermeidung ist nicht nur eine Angelegenheit der 'Digitalfirmen', sondern das geht weit darüber hinaus. Deshalb ist eine 'Digitalsteuer' eigentlich nicht geeignet, dagegen vorzugehen. Es besteht die Gefahr, dass man mit solchen Steuern einen Handelskrieg auslöst, denn die richten sich ja hauptsächlich gegen amerikanische Unternehmen.
Die US-Regierung hat schon gesagt, dass es Sanktionen, Strafzölle geben wird – teilweise schon eingeführt - wenn die Europäer mit diesen Digitalsteuern hantieren. Jetzt sollte eigentlich diese neue Kooperation auch seitens der amerikanischen Regierung Anlass sein, diese Steuern wieder zurückzunehmen.
Professor Clemens Fuest (52) ist Präsident des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo in München und Experte für internationale Steuerfragen. Der Volkswirt ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Bundesfinanzministeriums.