Pandora: EU will Steuervermeidung beschneiden
4. Oktober 2021Die Sprecherin der EU-Kommission, Dana Spinant, gab sich in Brüssel ahnungslos. "Wir haben das genau so wie Sie mit Interesse in den Zeitungen gelesen", sagte Spinant auf entsprechende Fragen von Reportern. "Im Moment sind keine Aktionen in einzelnen Fällen gegen einzelne Personen geplant, die in den Papieren genannt werden", so die Sprecherin.
Besonders interessant sollte für die EU-Kommission dabei der Fall des ehemaligen EU-Kommissars John Dalli aus Malta sein, der nach Verwicklungen in einen Lobby-Skandal rund um Tabakprodukte 2012 von seinem Posten als Gesundheits-Kommissar zurücktreten musste. Dalli hat nach Angaben des internationalen Rechercheverbundes ICIJ, an dem die Deutsche Welle beteiligt ist, 2006 eine Briefkastenfirma auf den britischen Jungferninseln gegründet. Der maltesische Politiker, der eine Pension als ehemaliger EU-Kommissar empfängt, erklärte gegenüber dem Journalistenverbund ICIJ, er habe die Firma nie genutzt und sie deshalb auch nicht dem maltesischen Parlament angezeigt, wie das eigentlich empfohlen wird.
Die EU-Kommission bestand in Brüssel am Tag nach den Enthüllungen in den sogenannten Pandora Papers darauf, dass in der EU in den vergangenen fünf Jahren viel unternommen worden sei, um aggressive Steuervermeidung zu unterbinden. Das Bankgeheimnis sei faktisch abgeschafft worden, Informationen über Steuersparmodelle würden grenzüberschreitend ausgetauscht, gegen Geldwäsche werde konsequenter vorgegangen, sagte der Sprecher der EU-Kommission, Daniel Ferrie. Ein weiteres Gesetz zur Einschränkung von Briefkastenfirmen, die oft als Vehikel für Steuervermeidung dienen, sei bis zum Ende des Jahres geplant. "Wir haben keinen Grund nachlässig zu werden."
"Kampf gegen Steueroasen bleibt Stückwerk"
Allerdings führt die aktuelle Liste der Steueroasen, die von der Europäischen Union geführt wird, nur einen Staat auf, der in umfangreichen Quellen der Pandora Papers auftaucht - und zwar Panama. Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben sich deshalb am Montag zu Wort gemeldet und eine Ausweitung der Liste der Steueroasen gefordert. "Die EU-Liste der Steueroasen taugt kaum etwas im Kampf gegen Steuerflucht. Die Liste ist schlechtes Stückwerk, es fehlen eine Reihe wichtiger Steueroasen", sagte der finanzpolitische Experte der Grünen im Europaparlament Sven Giegold. Es müssten außerdem schärfere Kriterien her, um Staaten als Steueroasen auszuweisen. Nicht nachzuvollziehen sei, dass die EU-Finanzminister gerade dabei seien, weitere Staaten von der Liste zu streichen.
Die Liste der Steueroasen wurde 2017 von der EU eingeführt, nachdem zuvor das Journalistennetzwerk ICIJ die Panama Papers veröffentlicht hatte, die in großem Umfang die Steuervermeidungsstrategien von Politikern, Sportlern, Prominenten und Milliardären offenlegten. Die am Sonntag veröffentlichten Pandora-Papiere, die noch umfangreicher sind, sind so etwas wie die Fortsetzung der Enthüllungen und zeigen, dass aggressive Steuergestaltung auch heute noch möglich ist.
Für nicht ausreichend hält auch der finanzpolitische Sprecher der Christdemokraten im Europäischen Parlament, Markus Ferber, die bisherigen Maßnahmen der EU. Die Liste der Steueroasen sei ein "Papiertiger" geblieben. Die Finanzminister der EU würden zu viel Rücksicht nehmen, so Ferber. "Am Ende des Tages wird man Steueroasen nur mit harten Sanktionen beikommen können. Wir brauchen einen neuen Anlauf bei der schwarzen Liste, die dann tatsächlich alle üblichen Verdächtigen umfassen und sanktionsbewährt sein muss. Andernfalls machen die einschlägigen Steueroasen einfach weiter wie bisher."
Dalli, Blair, Babis in der Pandora-Büchse
Die geplante Einführung einer globalen Mindeststeuer für Unternehmen, die Ende Oktober vom G20-Gipfel der großen Industrie- und Schwellenländer beschlossen werden soll, wird zunächst keine schnelle Abhilfe schaffen. Die geplante Mindeststeuer, die von 2023 auch in bisherigen Steueroasen gelten soll, wird nur für große Unternehmen angewendet. Einzelne Anleger wie zum Beispiel der ehemalige EU-Kommissar John Dalli, der ehemalige britische Premierminister Tony Blair oder der amtierende tschechische Ministerpräsident Andrej Babis würden von dieser Steuer wohl nicht erfasst. Blair und Babis tauchen wie Dalli in den Pandora Papers auf.
Tony Blair und seine Frau Cherie sollen beim Kauf einer Immobilie in London über eine Briefkastenfirma über 300.000 Pfund an Steuern gespart haben. Cherie Blair wies alle Vorwürfe zurück und verwies darauf, dass die Geschäfte nicht rechtswidrig waren. Besonders scharf reagierte der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis auf die Veröffentlichung der "Pandora-Enthüllungen".
Der Zeitpunkt der Veröffentlichung sei sehr interessant, sagte er. Am kommenden Wochenende wird in Tschechien ein neues Parlament gewählt. Babis möchte gern Regierungschef bleiben und bestreitet jegliches Fehlverhalten. Das Geld, mit dem er über Briefkastenfirmen ein Schloss in Südfrankreich für 15 Millionen Euro erworben hatte, sei von tschechischen Bankkonten gekommen und voll versteuert worden. "Ich habe nichts geklaut. Ich habe nichts Falsches getan", erklärte Andrej Babis im tschechischen Fernsehen. Ehemalige Ermittler der tschechischen Steuerbehörden werden in der Süddeutschen Zeitung allerdings mit dem Vorwurf der Geldwäsche an den Regierungschef zitiert. Hinter den Veröffentlichungen witterte Babis die "tschechische Mafia", wie er auf einer Wahlkampfveranstaltung sagte.
Der Milliardär Babis stand in Brüssel schon vor den Pandora Papers im Fokus. Als Ministerpräsident soll er immer noch entscheidenden Einfluss in seiner Firma "Agrofert" ausüben, die er formal an Treuhänder übergeben hat. Die Rechnungsprüfer der Europäischen Union bescheinigten Babis Interessenkonflikte, weil die Firma "Agrofert" Beihilfen aus dem EU-Haushalt erhielt, den Babis als Regierungschef selbst mit aushandelt. Die EU-Kommission stellte Beihilfe-Zahlungen an "Agrofert" ein.
Steuervermeidung ist nicht illegal
In den neusten Enthüllungen des ICIJ-Netzwerkes werden noch weitere prominente Europäer genannt, unter anderen der Präsident Montenegros, Milo Dukanovic, und der niederländische Finanzminister Wopke Hoeskstra. Dukanovic besaß mehrere Offshore-Firmen auf den britischen Jungferninseln, die er vor Antritt eines Regierungsamtes an seinen Sohn überschrieben hat. Gegenüber dem Journalistenverbund bestritt Dukanovic jedes Fehlverhalten. Der niederländische Finanzminister gibt an, seine Beteiligungen an Briefkastenfirmen kurz bevor er im Jahr 2017 Minister wurde, verkauft zu haben.
Die Steuersparmodelle und die aggressive Steuergestaltung, die in den meisten Fällen wohl hinter den Aktivitäten von wohlhabenden Prominenten in den Steueroasen steckt, sind nicht illegal. Darauf weist auch das Journalistennetzwerk ICIJ hin. Ob wirklich Steuern hinterzogen wurde, ist mit Pandora Papers nicht nachzuweisen. Oft werden Gesetzeslücken und Steuerschlupflöcher genutzt, über die sich zum Beispiel der ehemalige britische Premier Tony Blair öffentlich empörte. Auch Bekenntnisse Steuervermeidung bekämpfen zu wollen, klingen aus dem Munde mancher Politiker hohl, denn auch innerhalb der EU gibt es Staaten wie Malta und Zypern, die daran kräftig mitwirken. Eine der größten Steueroasen für Holdings, Trusts und Briefkastenfirmen sind wohl die USA, der engste Verbündete der EU, wenn man den Pandora Papers Glauben schenkt.