Oscar-Verbot hilft Hongkongs Widerstand
21. April 2021Wenn am Sonntag (25. April) in Los Angeles die Academy Awards 2021 verliehen werden, wird Anders Hammer Pandemie-bedingt nicht im Dolby Theatre in Hollywood sitzen, sondern in einem Fernsehstudio in der Nähe seines Hauses in Oslo. Der norwegische Regisseur ist mit seinem Film "Do Not Split" über die Pro-Demokratie-Proteste in Hongkong für einen Oscar als bester Dokumentar-Kurzfilm nominiert.
"Ich habe meinen Anzug in die Reinigung gebracht, ich werde mich schick machen", sagt Hammer im Gespräch mit der DW. "Die Leute haben mich gefragt, ob ich enttäuscht bin, dass ich nicht anwesend sein kann. Ich bin einfach nur dankbar für die ganze Aufmerksamkeit, die unser Dokumentarfilm bekommen hat und die Debatte, die er ausgelöst hat über das, was in Hongkong passiert."
Diese breite Aufmerksamkeit war mehr, als Hammer sich erhofft hatte, als er 2019 nach Hongkong reiste, um dort die Straßenproteste der Demokratie-Bewegung zu dokumentieren. Die hatten ihren Ursprung in einem Auslieferungsgesetz der Zentralregierung, das seit seines Inkrafttretens ermöglicht, in Hongkong Angeklagte zum Prozess aufs chinesische Festland zu bringen.
Die Zensur schlägt zu
Hammers halbstündiger Film folgt einer Handvoll Demonstranten auf die Straße und bis an die Frontlinie der Proteste, wo die Hongkonger Polizei mit zunehmender Brutalität reagiert. "Es gab damals eine Menge Berichterstattung über die Demonstrationen, überall in den Medien", sagt Hammer. Er habe dazu eine Ergänzung liefern wollen.
Stattdessen geriet "Do Not Split" - der Titel stammt von einem Slogan der Demonstranten, eine einheitliche Front zu bilden - ins Zentrum der Diskussion. Nach der Oscar-Nominierung soll Peking Medien angewiesen haben, die Filmpreisverleihung entweder zu boykottieren oder herunterzuspielen. Daraufhin sagte der Hongkonger Fernsehsender TVB, der die Oscar-Verleihung seit mehr als 50 Jahren übertragen hatte, die diesjährige Ausstrahlung ab. TVB bezeichnete die Entscheidung als "rein kommerziell". Kritiker sehen dagegen staatliche Zensur am Werk.
Neben Anders Hammers Dokumentarfilm dürfte sich die Zentralregierung in Peking auch an der Aufmerksamkeit für die aus China stammende Regisseurin Chloé Zhao stören, deren US-Drama "Nomadland" bereits bei den Golden Globes und den BAFTA Awards die Preise für den besten Film und die beste Regie gewann und bei den diesjährigen Oscars zu den Favoriten zählt.
Chloé Zhao sah "überall Lügen"
In den sozialen Medien wurde Zhao in China kürzlich für Kommentare aus einem Interview im Jahr 2013 angegriffen. Darin sagte sie, als Teenager habe sie Festland-China als Land erlebt, "wo es überall Lügen" gegeben habe.
Anders Hammer und seinem Film hat der chinesische Boykott der Oscar-Verleihung nicht geschadet. Internationale Medien fragen seitdem für Interviews an. "Es hat den gegenteiligen Effekt gehabt: Unser Film hat mehr Aufmerksamkeit bekommen, und es gibt sogar noch mehr Debatten über die Demonstranten und die Unterdrückung der demokratischen Rechte in Hongkong."
Als die Coronavirus-Pandemie Ende 2019 Hongkong traf, hatte sie einen unmittelbaren Einfluss auf die Protestbewegung. Demonstrationen, an denen sich vorher Tausende beteiligt hatten, waren nun verboten. "Plötzlich durften nur noch vier Leute an einer Demonstration teilnehmen", erinnert sich Hammer. "Die Regierung nutzte die Pandemie, um den Protest zu unterbinden."
Im Sommer 2020 erließ die Regierung Festland-Chinas schließlich ein neues Sicherheitsgesetz - "Pekings endgültige Antwort auf die Demonstranten", sagt Hammer. Die Regierung räumte sich weitreichende Befugnisse ein, um gegen regierungsfeindliche Aktivitäten in Hongkong vorzugehen.
Hoffnung: Druck auf China
Anders Hammer glaubt, das neue Gesetz habe auf der Insel "eine Menge Angst" ausgelöst, weil unklar sei, "was erlaubt ist und was illegal". Daraus resultiere Selbstzensur. Neben dem Oscar-Gewinn hofft Hammer darauf, dass das internationale Publikum von "Do Not Split" Druck auf die lokalen Regierungen ausübt, damit diese Chinas Vorgehen missbilligen.
"Die Dinge sehen im Moment nicht hoffnungsvoll aus", räumt der Regisseur allerdings ein. Die Regierungen würden befürchten, vom chinesischen Markt ausgesperrt zu werden. "Aber wenn ich etwas von den Demonstranten in Hongkong gelernt habe, dann dass man nicht aufgeben darf."
Deutsche Adaption: Torsten Landsberg