Der lachende Dritte heißt Putin
22. Juli 2021"Die Vereinigten Staaten und Deutschland unterstützen mit Nachdruck die Souveränität der Ukraine, deren territoriale Unversehrtheit, Unabhängigkeit und den von ihr eingeschlagenen europäischen Weg. Wir bekennen uns heute erneut dazu, gegen russische Aggression und russische destruktive Aktivitäten in der Ukraine und darüber hinaus vorzugehen". So steht es am Anfang der gemeinsamen Erklärung, die den jahrelangen Streit zwischen Berlin und Washington um das deutsch-russische Gaspipelineprojekt Nordstream 2 beilegen soll.
Die US-Administration verzichtet auf weitere Sanktionen, um das fast fertige Projekt doch noch zu stoppen; die Bundesregierung ihrerseits verspricht dafür zu sorgen, dass die Ukraine weiterhin Transitland für das russische Gas nach Europa bleibt. Und sie verpflichtet sich dazu, Maßnahmen zu ergreifen für den Fall, dass der Kreml die Energielieferungen über Kiew als Waffe oder politisches Druckmittel nutzen sollte. Ist damit der jahrelange Streit, der die transatlantischen Beziehungen nicht nur in der Trump-Zeit belastet hat, endgültig beigelegt?
Merkel: Ukraine muss Gas-Transitland bleiben
Die Kanzlerin ist da vorsichtig. "Die Einigung mit der US-Regierung überwindet nicht alle Differenzen." Das habe man gestern an den Reaktionen gesehen, sagt Angela Merkel auf ihrer jährlichen Pressekonferenz am 22 Juli. "Es ist der Versuch zwischen der amerikanischen Regierung und uns, bestimmte Konditionen festzulegen, um deutlich zu machen, dass gerade uns von deutscher Seite aus sehr wichtig ist, dass die Ukraine Transitland bleibt".
Die Kanzlerin betont auch, dass die Vereinbarung bislang nur mit der amerikanischen Regierung getroffen wurde; der US-Kongress sei nochmal eine "davon zu trennende Institution", so "wie meine Absprachen mit anderen Ländern ja auch nicht automatisch dazu führen, dass der gesamte Deutscher Bundestag sagt, das findet er jetzt richtig und gut".
Kritik im Bundestag
Tatsächlich gibt es im Abgeordnetenhaus auch deutliche Kritik am Pipeline-Projekt. "Die Regierung Angela Merkels hinterlässt einen Scherbenhaufen in den Beziehungen zwischen Deutschland und seinen östlichen Nachbarn", sagt etwa Renata Alt, die für die FDP im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages sitzt. "Polen, die baltischen Länder und die Ukraine fühlen sich durch die gestern vereinbarte Einigung zurecht hintergangen und im Stich gelassen", so Alt. Sie meint, dass die Bundesrepublik sich nun den schwerwiegenden Vorwurf gefallen lassen muss, innerhalb der EU unsolidarisch und egoistisch gehandelt zu haben.
Nach Ansicht des stellvertretenden FDP-Fraktionsvorsitzenden Alexander Graf Lambsdorff hat die russische Regierung mit dem Bau der Pipeline ein Ziel bereits erreicht. "Sie hat den Westen gespalten. Der US-Kongress und das EU-Parlament sind dagegen, Frankreich, Skandinavien, die Balten und Polen auch, nur Deutschland und Österreich sind dafür." Die Einigung mit den USA erinnere ihn daher "an ein Heftpflaster auf einem Beinbruch: Es überdeckt die Schramme nach außen, aber dahinter ist viel mehr kaputtgegangen - gerade in der EU", so Graf Lambsdorff im Interview mit dem "Münchner Merkur".
Nicht minder scharf fiel die Kritik der Grünen aus: Deren außenpolitischer Sprecher Omid Nouripour machte auf Twitter keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen den gefundenen Kompromiss.
SPD: Gut, dass das Streitthema endlich vom Tisch ist
Ganz anders kommentiert Klaus Ernst, der wirtschaftspolitische Sprecher der Linken im Bundestag: "Nord Stream 2 wird ohne weitere Sanktionsdrohungen der USA fertiggebaut. Das ist ein Erfolg!" Mögliche Sanktionen gegen Russland hält er allerdings für falsch: "Dass Deutschland als Gegenleistung dafür eine noch aggressivere Haltung gegenüber Russland einnehmen soll, widerspricht allerdings dem Gedanken der Souveränität Deutschlands und Europas. Extraterritoriale Sanktionen sind und bleiben völkerrechtswidrig".
Die Haltung der Regierungsfraktionen liegt irgendwo dazwischen. Der mögliche politische oder auch militärische Missbrauch der Energielieferungen durch den Kreml liegt auch ihnen schwer im Magen. CDU/CSU-Vize-Fraktionschef Johann Wadephul kann der Einigung dennoch etwas Positives abgewinnen: "Die Nachkriegsordnung in Europa und das Selbstbestimmungsrecht aller Völker … darf von niemandem gewaltsam - militärisch oder ökonomisch - infrage gestellt werden. Diese Zusicherungen haben wir mit dieser Vereinbarung auch gegenüber der Ukraine erneuert".
Es sei "deutlich geworden, dass die US-Administration das Streitthema endlich beilegen möchte. Dies ist gelungen, und das begrüßen wir", hieß es aus der SPD-Fraktion gegenüber der DW.
Experten: Deutschland hat einen hohen Preis bezahlt und gewonnen hat Putin
Andreas Umland, Politologe am Institut für Euro-Atlantische Kooperation in Kiew, glaubt nicht, dass "die Geschichte schon zu Ende ist, weil diese Vereinbarung im Grunde eine Rechnung ohne den Wirt ist". Gemeint sind damit die osteuropäischen Länder, die zwar unmittelbar betroffen, aber keine Teilnehmer der Vereinbarung sind. Umland erinnert auch daran, dass der Hauptgegner des Gasprojektes nicht das Weiße Haus, sondern der US-Kongress ist. Die Pipeline werde zwar zu Ende gebaut, so Umland. Dennoch könne er sich "nicht vorstellen, dass sie ohne weiteren Widerstand in Betrieb gehen wird".
Auch Janis Kluge von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sagt, dass man erst die Reaktion der Demokraten und Republikaner im US-Kongress abwarten müsse. "Die Frage ist, wie viel Widerstand gegen Biden nach dieser Einigung noch kommt". Berlin habe einen sehr hohen Preis für die Übereinkunft zahlen müssen, so Kluge, weil "sehr viel politisches Vertrauen verloren gegangen ist - vor allem in Ost- und Mitteleuropa".
Dieses Vertrauen wiederherzustellen werde von der nächsten Bundesregierung sehr viel abverlangen. Für die Ukraine sei die Einigung ein "schwerer Schlag", weil in der Übereinkunft nur wenig Konkretes stehe und die Zusagen sehr weich formuliert seien. Im Endeffekt, meint Janis Kluge, könne sich "Gasprom" und der russische Präsident persönlich als Sieger im Tauziehen um Nord Stream 2 fühlen, weil "Gasprom dem langfristigem Ziel, den Gastransit durch die Ukraine hinter sich zu lassen, sehr nah gekommen ist".