Merkel bei der Presse: "Es war mir eine Freude"
22. Juli 2021Irgendwann kommt Angela Merkels Redefluss ins Straucheln. Wo sie denn am 26. September um 18 Uhr sei, am Abend der Bundestagswahl, wird die Bundeskanzlerin gefragt. Sie habe sich, sagt sie nach kurzem Zögern, dazu "noch keine Gedanken gemacht. Aber ich werde schon Verbindung zu der Partei haben, die mir nahe" - Merkel bricht den Satz ab und beginnt neu: "deren Mitglied ich bin." Gelächter im Saal. "Also: Sie steht mir nahe, und ich bin ihr Mitglied. Also, eine doppelte, ein doppeltes Bekenntnis."
Merkel ist zu Gast in der Bundespressekonferenz (BPK), mutmaßlich zum letzten Mal als Kanzlerin. Zum 29. Mal ist sie die wenigen hundert Meter aus dem Bundeskanzleramt hinübergekommen in das Haus der BPK. Und ihre Erwiderung auf die Frage nach dem Abend des Wahlsonntags zeigt, wie sehr da die Regierungschefin sitzt und wie wenig die Parteipolitikerin: "CDU" sagt Merkel in der gesamten, etwas suchenden Antwort nicht.
"Langer Atem"
Gut sieben Minuten dauert das Statement, mit dem Merkel die Pressekonferenz einleitet. Zwei Themen spricht sie an: die Hochwasser-Katastrophe zuerst, dann die Corona-Lage. Von den "schrecklichen Verwüstungen" durch das Hochwasser spricht sie, nennt die bislang 170 Todesopfer. "Es gibt immer noch Vermisste." Zweimal war die Kanzlerin in den vergangenen Tagen in der Krisenregion. Es werde zur Beseitigung der Schäden "einen langen Atem brauchen".
Zum vierten Mal, seitdem die Corona-Pandemie Deutschland erreichte, ist Merkel in diesem Saal. Und wieder wird sie zur Mahnerin: Der erneute Anstieg der Infektionszahlen sei "besorgniserregend". Es sei notwendig, die Schutzmaßnahmen wieder stärker zu beachten. "Die Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, bleibt Richtschnur unseres Handelns." Dazu trage die Impfung bei. Jede und jeder solle in seinem Umfeld dafür werben: "Je mehr geimpft sind, umso freier werden wir wieder sein."
Per Losglück zur PK
Danach stellt sie sich gut 80 Minuten den Fragen. Quer durch die Themen. Die gesamte Politik, auch die Kanzlerin ist in diesem Saal nur zu Gast - denn Gastgeber sind die Hauptstadt-Journalistinnen und Journalisten, eine Kollegin moderiert. Wenn die Kanzlerin kam, war in Vor-Corona-Zeiten der Saal mit seinen rund 230 Plätzen stets brechend voll. Nun wurden gut 40 Journalistinnen und Journalisten ausgelost. Andere stellen - danach erkundigt sich Merkel zu Beginn - online Fragen, die zum Vortrag kommen.
Thematisch geht es durch viele Bereiche und gelegentlich auch um Merkels Befindlichkeit. So kommen auch die weitere Entwicklung bei der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2, die Lage in Afghanistan, der Zypernkonflikt oder der Pegasus-Abhörskandal zur Sprache. Aber nur ein Bereich kommt immer wieder zur Sprache: der Klimaschutz, die Klimakrise, die Katastrophen.
Politisches Erbe: "Ich habe"
Dieses Podium der Bundespressekonferenz wird manchmal auch zur Bühne. Gerade bei den ersten Antworten leitet sie Sätze des öfteren mit "Ich habe…" ein. Die Pressekonferenz ist oft ein Rückblick. Wenn sie zweimal darauf hinweist, dass bei ihrem Amtsantritt mehr als fünf Millionen Menschen in Deutschland arbeitslos gewesen seien, und nun seien es noch knapp drei Millionen, ahnt man, wie wichtig ihr das ist. Auch als politisches Erbe.
Kaum einmal erwähnt Merkel andere deutsche Politiker mit Namen. Als einzigen - auch da dauert es recht lange, bis es dazu kommt - nennt sie Armin Laschet. Diverse Fragesteller hatten da die überwiegend kritische Sicht auf dessen klimapolitische Ansätze zum Thema gemacht. Merkel erläutert Laschet. Sie weist die Formulierung zurück, der Kanzlerkandidat der Union fahre beim Klimaschutz einen Zickzack-Kurs. Kräftige Verteidigung klingt anders.
Merkel for Future
Als einzigen weiteren Namen aus der deutschen Politik nennt sie Luisa Neubauer, die Frontfrau von "Fridays for Future" in Deutschland. Diese jugendliche Klimaschutzbewegung, im aufkommenden Wahlkampf gerade Lieblingsfeindbild vieler bürgerlicher CDU-Politiker, erwähnt sie dreimal - nie kritisch. Sie halte "das Einfordern der Jugend für sehr wichtig", diese Antriebskraft sei ja positiv.
Merkel erinnert an das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende April 2021, das vom Bundestag beschlossene gesetzliche Regelungen zum Klimaschutz zum Teil außer Kraft gesetzt und Nachbesserungen gefordert hatte. Die "wissenschaftliche Evidenz" erfordere "noch mehr Eile". "Manches ist in Gang gekommen, vieles muss sehr viel schneller gehen." Das ist nicht so spektakulär wie jenes "Wir schaffen das!", das sie 2015, als Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen, erstmals in diesem Saal und bei einer solchen Pressekonferenz sprach. Aber es ist deutlich.
"Ich bin Wissenschaftlerin"
Wie so oft bei Merkel-Pressekonferenzen, seit ihrem ersten Auftritt in diesem Saal im Januar 2006, ihrer ersten Sommer-Pressekonferenz im Juli des gleichen Jahres, spricht da die Naturwissenschaftlerin. Als sie nach der Prägung durch ihre Ost-Biografie gefragt wird, kommt sie bald auf "Ich bin Wissenschafterin, Naturwissenschaftlerin…".
Das bleibt die Mahnung für die kommenden Jahre. Auch wenn sie ihrem Nachfolger - sie gendert nicht - keine Ratschläge erteilen will. Dann kommt sie doch auf die Anfang November in Glasgow anstehende Weltklimakonferenz zu sprechen, bei der Fortschritte erreicht werden müssten. Damit müsse sich die Politik nach der Bundestagswahl befassen.
Bald wird sie grundsätzlich und nachdenklich: "Unsere offenen Gesellschaften sind unter ganz großem Druck." Sie betont die Bedeutung sozialen Zusammenhalts in der Gesellschaft, die stets notwendige Bereitschaft, politisch Brücken zu bauen, die derzeit verloren gehe. "Das sehe ich schon mit Sorge." Und: Der Kompromiss müsse "etwas Konstitutives jeder Demokratie sein". Das sei ein "ganz ganz wichtiger Kampf".
Sätze wie ein Vermächtnis. Und wieder spricht da die Naturwissenschaftlerin und warnt davor, Fakten mit Emotionen, mit Gefühlen zu vermischen. "Fakten sind Fakten, die müssen beachtet werden." Typisch Merkel. Als sie bei der Pressekonferenz mal bei einer Hochwasser-Fluthöhe von "8,80 Meter" sprach, schob sie Sekunden später nach: "8,87 Meter".
"Eine gute Übergabe"
Über ihre persönliche Zukunft nach der Wahl will sie sich an diesem Donnerstag nicht äußern. Die Zeit danach "wird kommen", meint sie. Aber bis dahin blieben die Herausforderungen gewaltig. Und sie wolle "eine gute Übergabe machen an die nächste Bundesregierung". Das klingt so nach "Kanzleramt besenrein", Kittel an die Garderobe, Licht aus und Schlüssel abgeben. Aber es ist die Merkelsche nüchterne Betrachtung der Politik.
Dann sind 93 Minuten vorbei. Die Journalistin Corinna Buschow, die die Pressekonferenz moderierte, erinnert würdigend an die 29 Besuche Merkels. Ohne Wehmut, eher mit Hintergedanken: 30 wären doch eine gute Zahl, eine weitere Einladung an Merkel spreche sie gerne aus, sagt Buschow.
"Keine weiteren Versprechungen" - Merkel lächelt das weg. "Ich sage auch Dankeschön. Es war mir eine Freude." Das Schlusswort der Kanzlerin. In 66 Tagen wählen die Deutschen den nächsten Deutschen Bundestag.