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Was Sie über die Lutherbibel wissen sollten

Christine Lehnen
5. Januar 2022

Vor 500 Jahren veröffentlichte Martin Luther seine Übersetzung des Neuen Testaments. Der Legende nach soll er bei der Arbeit ein Tintenfass nach dem Teufel geworfen haben.

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Gemälde von Martin Luther
Martin Luther brauchte elf Wochen, um das Neue Testament ins Deutsche zu übertragen Bild: picture-alliance/akg-images

1. Die Lutherbibel war ein sofortiger Bestseller

Eine Bestseller-Liste gab es zu Luthers Zeiten zwar noch nicht, am Erfolg seiner Bibelübersetzung besteht trotzdem kein Zweifel. Seine "Lutherbibel" war zwar nicht die erste Übertragung der christlichen Bibel ins Deutsche, sie fand aber als erste weite Verbreitung. Denn Luther machte die Bibel auch für Laien lesbar, er "schaute dem Volk aufs Maul", wie er selbst sagte. Wörtliche Übersetzungen waren ihm ein Graus, er feilte lange an jedem einzelnen Satz, bis er allgemeinverständlich wurde.

Luthers Fassung erschien im September 1522 zur Leipziger Buchmesse, die bis heute besteht. 3000 Exemplare waren gedruckt worden, eine hohe Auflage. Zwischen einem halben und 1,5 Gulden kostete eine Ausgabe. "Musste man vor Luther für einen Bibeldruck den heutigen Gegenwert eines Mercedes der S-Klasse bezahlen, so kostete eine Lutherbibel im 16. Jahrhundert so viel wie heute ein Kühlschrank", so der Theologe Hartmut Hövelmann gegenüber dem portal "luther2017.de".

Die Lutherbibel liegt aufgeschlagen auf einem Tisch
Eine frühe Ausgabe der LutherbibelBild: picture alliance/Bildagentur-online/Forkel

Innerhalb von drei Monaten war die Lutherbibel ausverkauft, schon im Dezember musste nachgedruckt werden. Die erste Auflage wird als "Septembertestament" bezeichnet, die zweite als "Dezembertestament". Es handelte sich um eine Übersetzung ausschließlich des Neuen Testaments. Luthers Wirken wird als Auslöser der Reformation betrachtet, die die katholische Kirche spaltete. Fortan gab es Katholiken auf der einen und Protestanten auf der anderen Seite.

2. "Junker Jörg" auf der Wartburg 

Die Wartburg auf der Spitze eines Hügels, mit einem grünen Kupferdach, davor Wald
Die Wartburg in Thüringen ist ein beliebtes TouristenzielBild: Martin Schutt/dpa/picture alliance

Martin Luther konnte das Neue Testament nicht in Frieden am heimischen Schreibtisch übersetzen. Im Jahr 1517 hatte er seine berühmten "95 Thesen" gegen den katholischen Ablasshandel veröffentlicht; er hielt nichts davon, dass sich Sünder mit Geld vom Fegefeuer oder Höllenqualen freikaufen durften. Im Januar 1521 wurde er vom Papst exkommuniziert, weil er sich weigerte, seine reformatorischen Thesen zu widerrufen.

Drei Monate später stand der bereits als Häretiker verurteilte und mit dem Kirchenbann belegte Luther vor dem Reichstag zu Worms und wurde letztmalig zum Widerruf aufgefordert. Wieder weigerte sich Luther. Daraufhin erklärte Kaiser Karl V. ihn durch das "Wormser Edikt" für vogelfrei; das heißt, jeder hätte ihn einsperren oder sogar töten dürfen. Luther hatte Glück, dass der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise ihm gewogen war und ihn zu seiner Sicherheit auf die Wartburg bei Eisenach entführen ließ. Dort logierte Luther zehn Monate lang unter dem Namen "Junker Jörg" - und widmete sich der Bibelübersetzung.

Martin Luther als Junker Jörg
Vogelfrei wie er war, gab sich Luther auf der Wartburg als "Junker Jörg" ausBild: public domain

3. Ein geopfertes Tintenfass

Seine Schreibstube auf der Wartburg ist heute als "Lutherstube" bekannt. Dort übersetzte Martin Luther das Neue Testament aus dem Altgriechischen ins Frühneuhochdeutsche und nahm dabei lateinische Übersetzungen zur Hilfe, zum Beispiel die des berühmten Humanisten Erasmus von Rotterdam. Elf Wochen brauchte er, um das Neue Testament ins Deutsche zu übertragen.

Lutherzimmer in der Wartburg bei Eisenach: hölzerne Wände, ein Tisch und ein Stuhl
Die "Lutherstube" auf der WartburgBild: Imago Images/imagebroker/wrba

Die Legende erzählt, dass ihn eines Nachts der Teufel in seiner Stube besucht haben soll. Luther habe ein Kratzen gehört und daraufhin das Tintenfass nach dem Teufel geworfen. Dabei soll ein blauer Tintenfleck an der Wand neben dem Ofen entstanden sein. Schon seit dem 17. Jahrhundert wird Mythenbildung um den Fleck betrieben, aber ob er überhaupt aus der Zeit Martin Luthers stammt, ist zweifelhaft. Viele Male wurde er nachgemalt oder an neuer Stelle angebracht.

4. Großes vollbringt man nur im Team

Nach der Übersetzung des Neuen Testaments wandte sich Luther der Übersetzung des Alten Testaments zu: Dabei stützte er sich gleich auf mehrere Mitarbeiter. Allein wäre es ihm nicht gelungen, den Text aus dem Althebräischen und Aramäischen zu übersetzen, da er diesen beiden Sprachen nicht so gut beherrschte wie Latein oder Altgriechisch. 

Die Wartburg

Die Arbeit war auch im Team schwierig genug. An Luthers Seite arbeiteten neben anderen Mitstreitern vor allem Philipp Melanchthon, Humanist, Reformator und der erste Professor fürs Altgriechische an der Universität zu Wittenberg, und Matthäus Aurogallus, Professor fürs Hebräische, ebenfalls in Wittenberg. Nach getaner Arbeit schrieb Luther über die Übersetzung den sogenannten "Sendbrief vom Dolmetschen": "Im Buch Hiob mühten wir uns so, Magister Philipp Melanchthon, Aurogallus und ich, dass wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen fertig bringen konnten."  

5. Ein modernes Bilderbuch

Einige der Ausgaben von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments waren mit Holzschnitten illustriert, die sich nah an der Lebenswelt seiner Zeitgenossen orientierten. Elf ganzseitige Bilder aus der Werkstatt des Künstlers und Druckers Lucas Cranach, die an Albrecht Dürers Apokalypse-Zyklus orientiert waren, waren in Schmuckausgaben des Septembertestaments zu sehen.

Auch 500 Jahre später inspiriert Luthers Wirken zu beeindruckenden Kunstwerken. Der Künstler Yadegar Asisi zeigte im Jahr 2017 in der Lutherstadt Wittenberg das Leben und Werk Martin Luthers in einem großen 360-Grad-Panorama. Anlass war das 500. Reformationsjubiläum 2017.

6. Inspiration fürs Ausland

Auch William Tyndale, ein englischer Reformator und Zeitgenosse Martin Luthers, übertrug die Bibel in seine Muttersprache, nämlich ins Englische. Tyndale hatte an der Universität in Oxford studiert und an der Universität in Cambridge gelehrt. Die Kirche hinderte ihn jedoch daran, die Bibel in England zu übersetzen. 

Daraufhin ging er im Jahr 1524 nach Deutschland, finanziell unterstützt von wohlhabenden Händlern aus London. Im Jahr 1525 stellte er seine Übersetzung des Neuen Testaments fertig, für die er sich an den Arbeiten von Martin Luther und Erasmus von Rotterdam bedient hatte. Gedruckt wurde seine Bibel in Köln, die ersten Ausgaben wurden 1526 nach England geschmuggelt.

#DailyDrone: Luthers Elternhaus

Tyndale begann auch mit der Arbeit an der Übersetzung des Alten Testaments, wurde aber vor der Fertigstellung in Antwerpen verhaftet und 1536 als Ketzer hingerichtet. Auch Tyndales Übersetzung wird, ähnlich wie Luthers, dafür geschätzt, dass sie sowohl den Laien als auch den Gelehrten erreichen konnte. "Damit sollte sie Modell stehen für die nächsten 400 Jahre englischer Bibelübersetzungen", so die Autoren der Encyclopedia Britannica. 

7. Die Rückkehr der Frauen 

Martin Luther und seine Kollegen werden für ihre Bibelübersetzung weit geschätzt, ihr Einfluss gilt als revolutionär. Fehlerfrei war sie aber nicht: Sie hatten Frauen verschwinden lassen, die im frühen Christentum für die Verbreitung des jungen Glaubens entscheidend waren. So auch eine gewisse Junia, die der Apostel Paulus in Römerbrief (Kapitel 16, Vers 7) preist: "Grüßt den Andronikus und die Junia, meine Stammverwandten und Mitgefangenen, die berühmt sind unter den Aposteln und vor mir in Christus gewesen sind." 

In Luthers Übersetzung stand dort ein männlicher "Junias", obwohl dieser Namen in der Antike überhaupt nicht existierte. Durch diese Veränderung wurde die große Rolle, die Frauen in der Verkündung und Verbreitung des frühen Christentums gespielt haben, einfach unterschlagen.

Auch zu Luthers Zeiten taten sich Theologinnen hervor, schließlich ging der Protestantismus im Wort, wenn auch nicht in der Praxis, davon aus, dass alle Menschen gleich seien, auch Mann und Frau. Argula von Grumbach riskierte viel, um dem Protestantismus Vorschub zu leisten, sie schrieb Briefe, mischte sich in theologische Debatten ein und sprach sich öffentlich für Martin Luther aus, mit dem sie ebenfalls korrespondierte. Auch Katharina Zell (1497-1652) schrieb nicht nur sechs Bücher und drei Flugschriften sowie Psalm- und Bibelauslegungen, sie nahm auch protestantische Geflüchtete im Pfarrhaus ihres Mannes in Straßburg auf.

8. Es geht immer weiter

So wichtig die Bibelübersetzung Luthers und seiner Kollegen also ist, sie war nicht die erste - und wird auch nicht die letzte sein. Erst 2017 wurde im sogenannten Lutherjahr außerdem eine veränderte Fassung der Lutherbibel durch die Bibelgesellschaft vorgelegt. Antisemitische Überschriften, die nicht Teil des altgriechischen Textes waren, also von Luther und seinen Kollegen eingefügt worden waren, wurden verändert. 

Luther-Ampelmännchen in Worms
Martin Luther als Ampelmännchen in Worms Bild: Kristina Schaefer/epd

Auch sprachlich wurde sie angepasst und modernisiert, um sie wieder dem heute gesprochenen Deutsch anzunähern. Die Starauflage von 260.000 Stück in 14 verschiedenen Ausgaben war bereits nach wenigen Wochen vergriffen. Daraufhin wurden 240 .000 Exemplare nachgedruckt. 

Eine 2021 veröffentlichte "BasisBibel" soll in Zeiten schwindender Gemeindemitglieder auch die junge Generation wieder erreichen: Sie wurde von der Bibelgesellschaft als die Bibel für die Generation Smartphone bezeichnet. Und wie einst Luther dem "Volk aufs Maul schaute", so passten sich auch die Verfasser dieser Schrift der Sprache junger Menschen an: mit zeitgemäßen Wörtern und kürzeren Sätzen.