1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Was Trump und Luther verbindet

Elizabeth Grenier
10. September 2020

Macht dank Medien: Die Ausstellung "Von Luther zu Twitter" in Berlin erforscht die Allianz von Medien und Politik - von Druckpresse bis zu sozialen Medien.

https://p.dw.com/p/3iGHL
Montage: Martin Luther (li.) mit Bibel und Donald Trump (re.) blickt nach rechts aus dem Bild heraus
Direkter Draht zur Zielgruppe: Luther und Trump nutzen effektiv Kommunikationsmittel ihrer Zeit

Zu Beginn seiner Präsidentschaft im Jahr 2017 sorgte Donald Trump regelmäßig mit seinen Tweets für Schlagzeilen. Er twitterte über "Hexenjagden", "Fake News " oder "dumme Geschäfte". Die Presse reagierte nervös und kommentierte jede neue Nachricht des neuen US-Präsidenten, war sie auch noch so bizarr. Es herrschte Verunsicherung darüber, was diese Tweets zu bedeuten hatten. Das Netz debattierte einmal zum Beispiel über den Begriff "Covfefe", der am Ende einer Nachricht von Trump auftauchte. Es handelte sich lediglich um einen Rechtschreibfehler, der sich aber schnell zu einem Internet-Meme entwickelte. Ebenso rätselhaft war ein Wrestlemania-Video, auf dem der Präsident auf ein CNN-Logo einschlug.

Der damalige Pressesekretär des Weißen Hauses, Sean Spicer, bestätigte damals, dass diese Tweets "als offizielle Erklärungen des Präsidenten der Vereinigten Staaten zu betrachten seien", auch wenn sie nicht durch Pressemitteilungen des Weißen Hauses unterstützt würden. So etwas hatte es bis dato nicht gegeben.

Erster moderne Medienstar: Martin Luther

Durch die Nutzung von sozialen Medien fand Trump einen Weg, geltende Presseregeln außer Kraft zu setzen, indem er direkt mit seinen Wählern kommunizierte. Dieser Umgang sollte ihm das Image eines "modernen" Präsidenten verpassen, nicht das eines staatstragenden.

Der Soziologe und Zukunftsforscher Harald Welzer, der die Ausstellung "Von Luther zu Twitter. Medien und Öffentlichkeit" mitkuratierte, die am 10. September im Deutschen Historischen Museum in Berlin eröffnet, zieht Parallelen zwischen dem amtierenden US-Präsidenten und Martin Luther, dem Anführer der protestantischen Reformation im 16. Jahrhundert: Beide erkannten die Macht der medialen Verbreitung und nutzten dieses Wissen, um es politisch einzusetzen.

Eine Serie von Radierungen aus dem 16. Jahrhundert hängen dicht nebeneinander und zeigt Porträts von Martin Luther (Foto: DW/E. Grenier).
Mit unzähligen Porträts halfen Lucas Cranach der Ältere und andere Künstler halfen bei Luthers MarkenbildungBild: DW/E. Grenier

Johannes Gutenberg erfand um 1450 die Druckpresse. Damit ließen sich Bücher schneller und unkomplizierter herstellen. Als Martin Luther diesen Mehrwert für sich erkannte, existierte die bahnbrechende Erfindung bereits seit 70 Jahren. Luthers deutsche Version des Neuen Testaments wurde nicht nur zum ersten Bestseller der Geschichte, er ließ auch Flugblätter und Pamphlete drucken. Der Reformator entwickelte die "Marke Luther". Die Ausstellung entlarvt die Reformation als "das erste große Medienereignis der europäischen Geschichte" und Luther "als den ersten modernen Medienstar".

Von Gutenbergs Druckpresse zu Twitter

Twitter ging bereits im Jahr 2006 an den Start, aber es dauerte einige Zeit, bis Politiker den Nutzen erkannten - und noch länger, bis ein US-Präsident darin ein passendes Kommunikationsmittel entdeckte, stellt Welzer fest. Sowohl Trump als auch Luther hätten die "Chance, neue Allianzen zu schmieden" erkannt, indem sie die etablierten Gatekeeper ihrer Zeit umgingen. Durch die politische Nutzung eines neuen Mediums "demonstrierte Luther die Macht der Lagerbildung - 'wie bekomme ich die Leute auf meine Seite' - und das ist ein Thema, das bis heute ungeheuer wichtig ist", erklärte Welzer.

Erstunken und erlogen

Natürlich geht die Ausstellung über diese beiden einflussreichen Persönlichkeiten hinaus: "Wir haben den Titel 'Von Luther zu Twitter' und nicht 'Von Luther zu Trump' gewählt, weil Twitter nicht nur mit Trump verbunden ist, sondern mit vielen verschiedenen Entwicklungen der sozialen Netzwerke", sagte die Historikerin und Co-Kuratorin der Ausstellung, Melanie Lyon, im DW-Interview.

Die Ausstellung untersucht über fünf Epochen hinweg die Rolle verschiedener Medien in der politischen Kommunikation: die Erfindung der Drucktechnik als Grundlage der Reformation; die Entwicklung der Presse, die dazu beitrug, eine bürgerliche Öffentlichkeit zu bilden; der Rundfunk und seine Instrumentalisierung durch den nationalsozialistischen Propagandaminister Joseph Goebbels; den Einfluss des Fernsehens auf die politische Kultur; und schließlich die neue weltweite Reichweite des Internets.

Perspektive der Machthaber und ihrer Rivalen

Für die Kuratoren war es wichtig, das "Spannungsverhältnis zwischen Öffentlichkeit und Gegenöffentlichkeit, Zensur und Protest, Überwachung und Emanzipation" für jede Medienform zu untersuchen.

So diente beispielsweise der Einsatz des Radios als Propagandainstrument der Nazis "als interessante Warnung" für unsere Zeit, betonte Melanie Lyon, wobei Regimekritiker auch Wege fanden, ihre Botschaften über ausländische Rundfunkanstalten zu verbreiten. Eine große Herausforderung für die Ausstellungsmacher bestehe darin, das Zeitalter des Internets zu definieren, da es "noch ein offener Prozess" sei, sagte Welzer im DW-Interview.

Zwei Männer sitzen auf einem Motorrad der 1930er Jahre und hören über Kopfhörer Radio, zwischen ihnen steht eine riesige Antenne (Foto: ullstein bild).
In den 1930er Jahren bestimmte das Radio die öffentliche Meinung. Die Nationalsozialisten nutzten es für ihre ZweckeBild: ullstein bild

Die Internet-Epoche ist in der Berliner Ausstellung in drei verschiedene Bereiche unterteilt. Zum einen geht es um die Wirkung von Algorithmen, die Nutzer in ihren Entscheidungen manipulieren können. Ein anderer Teil der Ausstellung soll dabei helfen, den Besuchern die heutige Dynamik des Internets näher zu bringen. Gezeigt wird, welche Hoffnungen und Utopien die Entstehung des World Wide Web überhaupt erst möglich machten. Ein dritter Teil schließlich konzentriert sich auf die Gefahren der Überwachung und die Formen des politischen Totalitarismus, die sich aus den neuen digitalen Technologien ergeben können, wie es beispielsweise in China durch die digitale Erfassung von Verhalten und die Bewertung mit Sozialpunkten der Fall ist.

Herausforderung für Historiker

Andererseits weist die Ausstellung daraufhin, dass durch die Möglichkeit, im Internet Netzwerke zu bilden, ökologische Bewegungen wie "Fridays for Future" oder die Protestbewegung in Hongkong zusammenfinden und Massen mobilisieren konnten.

Die Ausstellung schließt mit 30 konkreten Beispielen utopischer Projekte, die zeigen, dass die digitale Zukunft auch von Transparenz und Bürgerbeteiligung geprägt sein kann.

Mehrere Jugendliche liegen neben- und übereinander, nur das Licht von Smartphones beleuchtet ihr Gesicht, keiner blickt den anderen an (Foto: Courtesy of Florian Mehnert).
Diktatur oder Demokratie? Jugendliche Smartphone-User, fotografisch festgehalten von Florian MehnertBild: Courtesy of Florian Mehnert

Den Kuratoren war es wichtig, diese positiven Beispiele zu betonen - auch wenn es noch zu früh sei, um die langfristigen Auswirkungen der sozialen Medien auf die Politik vorherzusagen. Die Geschichtsschreibung brauche normalerweise eine zeitliche Distanz, um die Tragweite von Ereignissen beurteilen zu können. "Alle Menschen, die das Privileg haben, in einer Demokratie zu leben, müssen auch Verantwortung gegenüber dieser Demokratie tragen", sagte Harald Welzer. "Entscheidend ist die Frage, wie wir die technischen und kommunikativen Möglichkeiten des Internets nutzen, um unsere Demokratie zu erhalten und weiterzuentwickeln." Er wolle nicht dabei zusehen, dass die Trumps und Googles die Welt beherrschen.
 

Adaption: Sabine Oelze