Koranverbrennung: Wie viel Blasphemie ist in Europa erlaubt?
8. Dezember 2023Die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Medien sind fest in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Es gilt in demokratischen Gesellschaften, auch unliebsame Meinungen zu tolerieren, selbst wenn sie möglicherweise religiöse Gefühle verletzen. Das wirft aber immer wieder die Frage auf, was kritische oder spöttische Äußerungen über Glaubensinhalte dürfen und wie eine Gesellschaft damit umgeht. Ein Überblick über Provokationen gegen Religionsgemeinschaften und den Umgang mit Blasphemie in Europa.
Dänemark verbietet öffentliche Koranverbrennungen
Nach mehreren Koranverbrennungen in Dänemark in diesem Jahr hat die dänische Regierung nun die Verbrennung aller Heiliger Schriften unter Strafe gestellt. Mit dem Gesetz, das das dänische Parlament "Folketing" in dieser Woche mit knapper Mehrheit verabschiedet hat, drohen in Zukunft bis zu zwei Jahre Gefängnis. für einen "unangemessenen Umgang" bestraft werden dann künftig die, die Texte religiöser Bedeutung verbrennen, besudeln, mit Füßen treten, zerreißen oder zerschneiden. So wird es auch strafbar sein, etwa die Bibel oder die Tora öffentlich zu verbrennen.
In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Fälle von Koranverbrennungen in Dänemark. Bisher ging die Meinungsfreiheit aber so weit, dass das Verbrennen Heiliger Schriften keine rechtlichen Konsequenzen hatte. Koranverbrennungen seien ein "grundsätzlich verächtlicher und unfreundlicher Akt", der "Dänemark und seinen Interessen schadet", sagte der dänische Justizminister Peter Hummelgaard vor der Abstimmung zum neuen Gesetz. Die Aktionen in Dänemark führten zu Spannungen mit muslimisch geprägten Ländern und teils auch zu Ausschreitungen bei Demonstrationen. Laut Aussagen des Ministers sei die Sicherheit Dänemarks ein Hauptgrund für die Einführung des Gesetzes. Nachdem das Terrornetzwerk Al-Kaida zu Anschlägen aufgerufen hatte, verstärkte Dänemark seine Sicherheitsvorkehrungen.
Künstler und Intellektuelle hatten zuvor vor den Folgen gewarnt, die ein solches Gesetz für die Meinungsfreiheit haben könnte. In einer Petition hatten sie die dänische Regierung aufgefordert, das Gesetz nicht einzuführen, das sie als "Angriff auf die Kunst, die politische Meinungsäußerung und die Pressefreiheit" sehen.
Schon 2005 sah sich Dänemark mit teils gewalttätigen Protesten in der arabischen Welt konfrontiert, nachdem die dänische Zeitung "Jyllands-Posten" eine Karikaturen-Serie zum Islam veröffentlicht hatte. In vielen Ländern sorgte der Vorfall für eine Diskussion über die Kunst- und Meinungsfreiheit. Der damalige dänische Ministerpräsident distanzierte sich zwar von der Veröffentlichung der Karikaturen, verwies aber auch auf das Recht auf Presse- und Meinungsfreiheit.
Bei dem neuen Gesetz solle es laut Regierung nicht darum gehen, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Künstlern wird weiterhin das explizite Recht zur unsachgemäßen Behandlung religiöser Gegenstände eingeräumt. Doch Kritiker bleiben dabei: Sie sehen in dem Gesetz einen Eingriff in die Meinungsfreiheit.
Koranverbrennungen in Schweden
Neben Dänemark hat es in diesem Jahr insbesondere in Schweden mehrere Fälle von Koranverbrennungen gegeben. Das meiste Aufsehen erregte eine Aktion des nach Schweden geflohenen Irakers Salwan Momika: Im Juni war der Aktivist auf der für Muslime Heiligen Schrift herumgetrampelt und hatte Seiten aus dem Koran vor der Großen Moschee in Stockholm verbrannt. In den vergangenen Monaten hatte er immer wieder Veranstaltungen organisiert, bei denen er und andere Aktivisten Exemplare des Korans geschändet haben.
Diese Aktionen lösten teils gewaltsame Proteste und Ausschreitungen im Land aus und sorgten für heftige Spannungen zwischen muslimisch geprägten Ländern und Schweden. Die schwedische Regierung verurteilte die "islamfeindlichen Aktionen" zwar, doch betonte auch den Schutz der Meinungsfreiheit und erklärte, dass die Polizei bei der Genehmigung unabhängig sei.
Die Polizei wiederum teilte in den vergangenen Monaten immer wieder mit, sie erteile zwar die Genehmigung für öffentliche Versammlungen, nicht aber für deren Inhalte. Ein Versuch, Verbrennungen und Aktionen dieser Art zu verbieten, scheiterte in diesem Jahr an einem schwedischen Gericht. Der Grund: Die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit sind geschützte Rechte in Schweden. Ein Blasphemie-Gesetz gibt es, genau wie in vielen weiteren westlichen Ländern, nicht.
Gegen Momika wird derzeit noch wegen Volksverhetzung ermittelt. Zum ersten Mal hat ein schwedisches Gericht im Oktober einen Angeklagten wegen einer Koranverbrennung verurteilt. Der Mann hatte 2020 vor dem Dom in Linköping einen Koran und Speck auf einem Grill angezündet mit einem Schild, das eine abwertende Bemerkung über den Propheten Mohammed zeigte. Für das Gericht war dies eine Aktion, die sich gezielt gegen Muslime und nicht gegen den Islam als Religion richtete. Nicht geplant ist in Schweden aber eine Gesetzesänderung wie in Dänemark.
Doch auch Schweden hat im Zuge der Verbrennungen seine Sicherheitsvorkehrungen verstärkt. Als Grund nannten die Behörden eine gestiegene Gefahr von Anschlägen durch Islamisten. So war Mitte August für das gesamte Land die zweithöchste Terrorwarnstufe ausgerufen worden.
Halb nackt auf dem Altar des Kölner Doms
Auch in Deutschland ist die Meinungsfreiheit im Grundgesetz gesichert. So heißt es in Artikel 5, dass jeder das Recht hat, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern". Und dennoch gibt es Grenzen. Deutschland ist einer der wenigen europäischen Staaten, der Religionsgemeinschaften durch einen sogenannten Blasphemie-Paragrafen schützt. Bis zu drei Jahre Haft kann es für diejenigen geben, die eine Beschimpfung nutzen, die "geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören". Damit soll in Deutschland die Verhöhnung Gottes aber nicht pauschal unter Strafe gestellt werden, sondern Beleidigungen, die dem öffentlichen Frieden schaden. Der Paragraf 166 des StGB wird in Deutschland allerdings nur noch sehr selten angewandt.
2006 wurde zum Beispiel ein Rentner zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, nachdem er als "Koran" etikettierte Klopapierrollen verteilte. Und im Jahr 2013 wurde eine Aktivistin zu einer Geldstrafe verurteilt, die ihren nackten Oberkörper mit den Worten "Ich bin Gott" bepinselte und auf den Altar des Kölner Doms sprang. Allerdings wurde sie lediglich wegen Störung der Religionsausübung belangt, nicht wegen Gotteslästerung verurteilt. So ist die Beleidigung des Propheten in der Regel kein Fall für die Gerichte und Gotteslästerung wird in Deutschland nur bei schwerwiegenden Folgen rechtlich bestraft.
Französische Satire-Zeitschrift "Charlie Hebdo"
2015 verübten zwei Islamisten ein Attentat auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo". Hintergrund waren in der Zeitschrift veröffentlichte Karikaturen, die den Propheten Mohammed zeigen sollten und die Muslime weltweit in Empörung und Wut versetzten. Nur wenige Tage nach dem Anschlag auf die Redaktion, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen, trat der damalige Premierminister Manuel Valls vor die Nationalversammlung und erklärte, Blasphemie werde nie Teil der französischen Rechtsprechung sein.
Und auch der französische Präsident Emmanuel Macron verteidigte das Recht auf Blasphemie im Land. Zur Meinungsfreiheit gehört in Frankreich demnach auch, schreiben oder sagen zu dürfen, was andere als Gotteslästerung empfinden. Seit 1881 ist Blasphemie in Frankreich schon kein Delikt mehr. Das Land trennt bereits seit fast 120 Jahren strikt Staat und Kirche voneinander. Dieser Säkularismus galt als historischer Versuch, den Einfluss der Kirche im Land einzudämmen. Auch heute noch genießt das Prinzip hohe Akzeptanz in der französischen Bevölkerung.
Polen: Die Madonna mit dem Regenbogen
Polen gilt als ein sehr katholisches Land, in dem die Kirche noch immer großen Einfluss auf das öffentliche Leben ausübt. Die polnische Verfassung garantiert die freie Meinungsäußerung ebenfalls. In den vergangenen Jahren sahen sich vor allem Künstler immer wieder mit Anklagen wegen Blasphemie konfrontiert.
Im Jahr 2019 sorgte besonders ein Heiligenschein der Madonna in den Farben der LGBT-Bewegung für Aufruhr. Landesweit gingen Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft gegen drei junge Frauen ein, die das Bildnis verbreitet hatten. Der Vorwurf: Sie hätten mit dem Madonna-Bildnis in Regenbogenfarben die Gefühle Gläubiger verletzt. Dies gilt in Polen als Straftat und kann mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet werden. Letztlich wurden die drei Frauen freigesprochen. Nach Ansicht des Gerichts war die Aktion zwar "provokant", aber es sei nicht das Ziel der Frauen gewesen, zu beleidigen.
Während in Ländern wie Polen und Deutschland Blasphemie-Paragrafen in den Strafgesetzbüchern existieren, haben viele europäische Länder diese schon abgeschafft. Dazu gehört unter anderem Irland, wo der Paragraf im Jahr 2018 aufgehoben wurde. Auch Norwegen und die Niederlande haben neben Schweden in der jüngeren Vergangenheit ähnliche Paragrafen aus ihren Gesetzbüchern gestrichen. In Deutschland tauchen ebenfalls immer wieder Forderungen auf, den Paragrafen im Sinne der Meinungsfreiheit abzuschaffen.
Dieser Beitrag wurde am 08.12.2023 aktualisiert.