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PolitikSchweden

Koranverbrennung in Schweden - Wer ist Salwan Momika?

Cathrin Schaer
22. Juli 2023

Mit der Verbrennung eines Korans machte Salwan Momika internationale Schlagzeilen. Nun haben irakische Landsleute seine bewegte politische Vergangenheit öffentlich gemacht. Die wirft Fragen über seine Motive auf.

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Libanon Beirut | Proteste gegen Koran-Schändung in Schweden
Der Koran ist das heilige Buch der MuslimeBild: Bilal Hussein/AP/picture alliance

Mit seiner Aktion hat Salwan Momika einen ernsten diplomatischen Streit zwischen dem Irak und Schweden vom Zaun gebrochen. Auch die dadurch in der muslimischen Welt ausgelösten Demonstrationen dürften noch länger anhalten. Doch wie ernst sind die Beweggründe des irakischen Asylbewerbers zu nehmen, der in Stockholm öffentlich Seiten aus dem heiligen Buch des Islam, dem Koran, verbrannt hat?

Für diese Woche hatte der 37-Jährige einen weiteren Protest geplant, bei dem er den Koran verbrennen wollte. Vor weniger als einem Monat hatte der Iraki, der seit 2018 in Schweden lebt, bereits einen internationalen Aufschrei hervorgerufen, als er während des islamischen Opferfestes Eid al-Adha vor einer Stockholmer Moschee Seiten aus dem Buch verbrannte. Momika beschreibt sich selbst auf Facebook als "Denker und Schriftsteller", "einen freien Atheisten", und betont, dass sein Protest seine Gefühle über die Religion zum Ausdruck bringe.

Diese Woche gelang es Momika nicht, Seiten aus dem Koran zu verbrennen. Am Donnerstag stand er alleine vor der irakischen Botschaft in Stockholm, traktierte den Koran mit Fußtritten und trampelte auf einer iranischen Flagge herum. Außerdem streifte er seine Schuhe auf Bildern des irakischen Geistlichen Muktada al-Sadr und des iranischen Religionsführers Ali Khamenei ab.

Demonstranten klettern über einen Zaun
In Bagdad stürmten Demonstranten die schwedische BotschaftBild: AHMED SAAD/REUTERS

Schon bevor er überhaupt stattfand, sorgte sein Protest im Irak für Aufregung. Anhänger von Muktada al-Sadr stürmten am frühen Donnerstagmorgen die schwedische Botschaft in Bagdad und entzündeten auf dem Gelände Feuer. Der irakische Premierminister ordnete die Ausweisung des schwedischen Botschafters an, berief den Geschäftsträger der irakischen Botschaft aus Schweden zurück und setzte die Betriebsgenehmigung des schwedischen Telekommunikationsunternehmens Ericsson im Irak aus.

Warum wird so heftig reagiert?

Im Irak ist es zurzeit außerordentlich heiß, die irakische Regierung wird von einer religiösen Partei geführt und gerade beginnt der zweitheiligste Monat im islamischen Kalender, erklärt der irakische Politikberater Jassim Mohamad mit Blick auf die heftigen Reaktionen im Irak. Insbesondere Letzteres bedeute, "dass die Stimmung auf den Straßen im Irak zum religiösen Extremismus tendiert", meint Mohamad, Leiter des Europäischen Instituts für Terrorismusbekämpfung und nachrichtendienstliche Studien mit Sitz in Deutschland und den Niederlanden.

"Für die Gruppierung des Geistlichen al-Sadr könnte es auch eine Gelegenheit sein, sich wieder politisch bemerkbar zu machen und sich in Opposition zur irakischen Regierung zu positionieren", fügt er hinzu. 2022 zog sich al-Sadr offiziell aus der irakischen Politik zurück, doch der Religionsführer ist immer noch in der Lage, viele Anhänger für Proteste zu mobilisieren.

"Wahrscheinlich hat die irakische Regierung - neben anderen ideologischen und religiösen Gründen - auch deshalb beschlossen, den schwedischen Botschafter kompromisslos auszuweisen, um al-Sadrs Anhängerschaft in Schach zu halten", vermutet Mohamad.

Bewegte Vergangenheit

In den sozialen Medien kritisierten einige Iraker die harsche Reaktion der irakischen Regierung, andere stellten Momikas Motive und seine Beweggründe öffentlich in Frage. Eine Untersuchung von France24 analysierte die Beiträge von Irakern in den Sozialen Medien, die behaupteten, Momika, der aus Ninawa, einem Bundesstaat im Nordosten des Iraks kommt und Christ ist, identifiziert zu haben.

Iran Teheran | Proteste gegen Koran-Schändung in Schweden
Auch in Teheran gingen Menschen auf die Straße, um gegen die Koranverbrennung zu protestierenBild: Vahid Salemi/AP/picture alliance

Salwan Momika kam 2018 nach Schweden und erhielt laut schwedischen Behörden 2021 eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre. Die Rechercheure von France24 verifizierten die Echtheit mehrerer Videos, in denen Momika in Militärkleidung zusammen mit Mitgliedern anderer Milizen zu sehen ist. Sie kamen zu dem Schluss, dass Momika identisch mit einem Mann ist, der 2014 im Irak eine politische Partei, die Syriac Democratic Union Party, mit dazugehöriger Miliz gründete.

Momikas Miliz wurde wie viele Milizen zu dieser Zeit ursprünglich gegründet, um den extremistischen Islamischen Staat (IS) zu bekämpfen. Später hatte sie scheinbar Verbindungen zu einer bunten Reihe anderer Gruppierungen im Irak. Hierzu zählten sowohl schiitisch-muslimische Milizen, die den benachbarten Iran unterstützen und von ihm unterstützt werden, als auch kurdische Milizen mit einer eher atheistischen und kommunistischen Agenda. Irakischen Journalisten zufolge verließ Momika das Land wegen eines Machtkampfs mit dem Anführer einer anderen christlichen Miliz.

Momika soll auch Muktada al-Sadr unterstützt haben und auch mit regierungsfeindlichen Protesten einverstanden gewesen sein. Ein Mitglied des Stadtrats seiner Heimatstadt erzählte der Zeitung "The New Arab", Momika habe dort Betrugsdelikte begangen.

Auch mit den schwedischen Behörden geriet der irakische Demonstrant bereits in Konflikt, als er einen Mitbewohner mit einem Messer bedrohte, berichtet die schwedische Zeitung "Expressen" in einem Interview mit Momika im Juni.

Demonstration in Islamabad
Die Verbrennung von Koranseiten in Schweden führte weltweit zu Protesten - hier in Islamabad, PakistanBild: Raja Imran/Pacific Press/picture alliance

Aufgrund dieser Erkenntnisse vermuten die Rechercheure von France24, dass Momikas Beweggründe für seine jüngsten Proteste fragwürdig sein könnten. Frühere Berichte über Momika in arabischer Sprache äußerten einen ähnlichen Verdacht.

"[Momika] ist auf vielen sozialen Medien aktiv, insbesondere auf TikTok und Facebook", heißt es im Bericht von France24. "Alle seine Konten wurden jedoch erstellt, nachdem er in Schweden den Flüchtlingsstatus erhalten hatte… Momika hat Dutzende Videos gepostet, oft mit arabischen Hashtags von Ländern, die mehrheitlich muslimisch sind. Das lässt vermuten, dass er versucht hat, für die Verbrennung des Korans so viel Öffentlichkeit wie möglich herzustellen."

Zweifelhafte Motive?

Momikas Aufenthaltserlaubnis für Schweden läuft im April 2024 aus, stellt France24 fest. Eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis, ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Einbürgerung, wurde ihm erst kürzlich verweigert. Momika behauptet, er sei Mitglied der rechtspopulistischen, nationalistischen Schwedendemokraten. Gegenüber der schwedischen Zeitung "Aftonbladet" hatte er erklärt, dass er der Partei 2022 beigetreten sei und gerne für sie zur Wahl antreten würde.

Der DW teilte die Presseabteilung der Partei mit, dass sie eine Mitgliedschaft Momikas aus Datenschutzgründen weder bestätigen noch dementieren könne. "Bezüglich des vermeintlichen Wunsches dieser Person, im Namen unserer Partei ein politisches Amt anzustreben, ist uns bisher keine derartige Bewerbung bekannt und wir wollen nicht darüber spekulieren, was ein solches Szenario bedeuten würde", schreibt die Presseabteilung in einer Stellungnahme per E-Mail. Momika selbst reagierte auf eine Interview-Anfrage der DW nicht.

Was passiert jetzt mit Momika?

Der Irak selbst möchte, dass Momika aus Schweden ausgewiesen wird, um ihn nach irakischem Recht vor Gericht zu stellen. Anders als Schweden verfügt der Irak über ein Blasphemie-Gesetz, das Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren vorsieht.

Ende Juni erstattete die schwedische Polizei Anzeige gegen Momika wegen Aufstachelung zu Hass und Verstoßes gegen ein Feuerverbot. Auch wenn es in Schweden kein Blasphemie-Gesetz gibt und Proteste gestattet sind, bei denen religiöse Gegenstände geschändet werden, verbieten die Gesetze gegen Hassrede die Aufwiegelung gegen andere aufgrund ihrer Rasse, ethnischen Zugehörigkeit, Religion, sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität.

Polizei in Stockholm
Die Stockholmer Polizei forderte Verstärkung aus allen Landesteilen anBild: Caisa Rasmussen/TT NEWS AGENCY/picture alliance

Das Verbrennen des Korans vor einer Moschee könnte als Aufwiegelung gegen eine Gruppe gewertet werden, so die schwedische Polizei. Ob die Staatsanwaltschaft diese Einschätzung teilt, bleibt abzuwarten.

Eines ist jedoch sicher: Seine neu gewonnene weltweite Berühmtheit wird Momika das Leben nicht einfacher machen. Er wurde bereits mehrfach mit dem Tod bedroht und beleidigt. Bislang lebte Momika in einer kleinen Stadt außerhalb Stockholms, doch die meisten seiner jüngsten Videos scheint er in einem Hotelzimmer aufgezeichnet zu haben. Am Freitag berichteten lokale Medien, er sei "an einem geheimen Ort" in Sicherheit und bereue nichts.

Ein irakischer Politiker veröffentlichte am Donnerstag ein Video, in dem ein Ladenbesitzer in Schweden zu sehen ist, der sich weigert, Momika zu bedienen. "Ich bin Christ aus dem Irak und ich akzeptiere Ihr unmoralisches Verhalten nicht", schreit der Ladenbesitzer. "Sie haben sich gegen den Islam versündigt und allen Leid zugefügt, einschließlich uns Christen". Wie es scheint, hat Momika das Video selbst aufgenommen.

Adaptiert aus dem Englischen von Phoenix Hanzo.