Polen: Prozess wegen "Regenbogen-Madonna"
2. März 2021Wählt man ihre Handynummer, ertönt der Ohrwurm "Don´t Worry, Be Happy". Bis zu diesem Dienstag klang es fast wie ein Mutmacher vor der Entscheidung der Richter zentralpolnischen Płock - das schließlich mit Freisprüchen für Elżbieta Podleśna, zu der die Mobilfunknummer gehört, Anna P. und Joanna G endete. Ihnen wurde die Verletzung religiöser Gefühle vorgeworfen, als sie vor zwei Jahren im Umfeld einer Kirche in Płock Aufkleber mit einem nationalreligiösen Symbol angebracht hatten: der "Schwarzen Madonna" von Tschenstochau, jeden Sommer Ziel von Millionen Pilgern aus dem ganzen Land. Da aber, wo die Mutter Gottes im Original von einem goldenen Heiligenschein umgeben wird, prangte ein Regenbogen, Symbol der LGBT-Bewegung, der sexuellen Minderheiten. Von einem "Akt der Barbarei" sprach der damalige Innenminister Joachim Brudziński und behauptete, "jüdische Gläubige darf man nicht beleidigen, auch keine Muslime, um Gottes Willen, aber Katholiken schon". Kurz darauf wurde Podleśna aufs Revier gebracht. Ihr und ihren Mitstreiterinnen drohten bis zu zwei Jahre Haft.
Nun also drei Freisprüche: Nach Ansicht des Bezirksgerichts in Płock war die Aktion "provokant", die Frauen hätten aber niemanden beleidigen wollen. Die Richterin verwies darauf, dass mit der Aktion auf eine "homophobe" Darstellung in der Kirche aufmerksam gemacht werden sollte: "Das Handeln zielte auf den Schutz von diskriminierten Minderheiten ab."
Im Kontext des Missbrauchsskandals
Die Aufkleber mit der Regenbogen-Madonna sollen auch auf mobilen Toiletten und Müllbehältern platziert worden sein, warf man den drei Frauen vor - die Aktivistinnen bestritten das. Wie Podleśna erklärt, hätten sie auf Abfalleimer vielmehr eine Liste mit den Namen pädophiler Priester geklebt, die "verantwortlich für schwere Verbrechen gegenüber Kindern" seien. Noch am Tag vor der Urteilsverkündung verfolgte sie einen artverwandten Prozess gegen drei Männer, die das Denkmal des "Solidarność-Pfarrers" und ehemaligen Danziger Ehrenbürgers Henryk Jankowski umgestürzt haben. Auf dem vor elf Jahren verstorbenen Kirchenmann, einer Legende in Polen, lasten posthum schwere Missbrauchsvorwürfe.
"Unsere Geste sehe ich auch im Kontext dessen, was in Danzig passiert ist: sich an die Seite der Opfer zu stellen, diejenigen zu unterstützen, die verletzt werden", erklärt sie. Direkter Auslöser für die Aktion aber sei die Gestaltung des Ostergrabs der Płocker Kirche gewesen. Die Installation in Altarnähe war mit Pappkarten versehen worden, die vor allerlei "Sünden" warnten: "Lüge", "Verachtung", "Hass" konnte man darauf lesen, aber auch "LGBT", "Homo-Perversion" oder "Gender". Vor Gericht erklärte Tadeusz Łebkowski, Priester der Płocker Kirche, der das Ostergrab mitgestaltet hatte und in dem Verfahren gegen die drei Aktivistinnen als Geschädigter auftritt: "Einige dieser Sünden sind sehr gefährlich, vor allem in der Kindererziehung, insbesondere die Sünde der Gender- und LGBT-Ideologie". Er habe die Menschen, die in die Kirche kommen, "zum Nachdenken" bringen und sie "ermuntern" wollen, sich von diesen Sünden zu befreien, führte er aus. Seine Gefühle seien durch die "Schändung" der Marien-Ikone verletzt worden. Das erklärte auch die Nebenklägerin und Pro-Life Aktivistin Kaja Godek, die gerade erst mit dem umstrittenen Abtreibungsurteil den bislang größten Erfolg ihrer Bewegung feierte.
Feindbild LGBT
Priester Łebkowski kämpft indes schon länger gegen "Tendenzen aus dem Westen", wie er 2019 dem Portal Gosc.pl sagte: "Dabei geht es wohl darum, dass die katholische Gesellschaft dazu schweigt. Aber wir dürfen nicht schweigen." Vor Gericht verglich der Priester die Regenbogen-Symbolik sogar mit dem Hakenkreuz: "Ursprünglich war das Hakenkreuz ein mittelalterliches Zeichen. Erst später bekam es seinen verbrecherischen Sinn, als die Nazis unter der Standarte mordeten." Auch der Regenbogen habe heute seine neue Bedeutung erhalten.
Die Umdeutung der Gleichheitsbewegung LGBT in eine gefährliche Irrlehre wird in Polen nicht nur von einigen Geistlichen vertreten wie dem Krakauer Erzbischof Jędraszewski, der Gläubige vor einer "Regenbogen-Pest" warnte. Das Feindbild LGBT fand Eingang in Resolutionen zahlreicher Gemeinden im besonders konservativen Südosten Polens, in denen Erklärungen gegen eine sogenannte "LGBT-Ideologie" verabschiedet wurden. Im Wahlkampf der national-konservativen Regierungspartei PiS hat der "Schutz der Kinder und Familien" vor dem Regenbogen inzwischen einen festen Platz. Im Sommer 2020 erklärte der für ein weiteres Mandat kämpfende Staatspräsident Andrzej Duda, hinter LGBT steckten keine Menschen, sondern eine Ideologie, "gefährlicher noch als der Bolschewismus". Mit seiner Wiederwahl in der Tasche erklärte Duda dann, er wolle sich bei allen entschuldigen, die er möglicherweise verletzt habe.
Kann ein Regenbogen verletzen?
Podleśna sagt, sie habe die Vorgeschichte des LGBT-feindlichen Priesters von Płock nicht gekannt. Die Gestaltung des Ostergrabs sei Grund genug gewesen, um einzugreifen. Sich selbst bezeichnet sie als gläubig. Sie habe sogar an einer katholischen Universität studiert, sei aber vor ein paar Jahren aus der Kirche ausgetreten, weil "ich mit dieser Organisation nichts zu tun haben möchte" - ein in Polen nicht gerade unkomplizierter Akt.
Die Argumente, dass ihre Aufkleber religiöse Gefühle verletzt hätten, kann sie nicht verstehen. Ihrer Meinung nach wären sie begründet, wenn die Mutter Gottes mit einem herabsetzenden, beleidigenden Symbol versehen worden wäre. Der Regenbogen aber verunglimpfe niemanden. "Das Symbol über dem Kopf der heiligen Maria und des Jesuskindes sollte zum Ausdruck bringen, dass Mutterliebe eine bedingungslose Liebe ist. Und dass ein empathischer Mensch sich um andere sorgt, statt sie anzugreifen", betont Podleśna.
Ihre Mitstreiterin, Anna P., argwöhnte in ihrem Schlussplädoyer, dass sich der Prozess gar nicht um die Verletzung religiöser Gefühle drehe. Es sei vielmehr ein Verfahren zwischen Homophoben und LGBT-Unterstützern - ein Verfahren, das Polen wie in einem Brennglas zeige. Sie erzählte von Angriffen und Gewalt, denen LGBT-Menschen ausgesetzt seien. "Angeklagt sind drei heterosexuelle Frauen. Ich freue mich, dass dieses Mal wir die Schläge auf uns nehmen können", so Anna P.
Verfahren mit politischem Hintergrund
Das Verfahren war nicht das erste wegen einer möglichen strafbaren Verletzung religiöser Gefühle in Polen. 2002 wurde eine Künstlerin zu Sozialarbeit verurteilt für eine Installation, bei der sie männliche Genitalien in ein Kreuz eingelassen hatte. Acht Jahre später wurde sie in letzter Instanz freigesprochen.
Wegen des politischen Kontextes stand das aktuelle Verfahren aber unter besonderer, auch internationaler Beobachtung - zumal sich der wohl mächtigste Mann des Landes, PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński, vor dem Hintergrund der jüngsten Frauenproteste für die bedingungslose "Verteidigung" der polnischen Kirchen ausgesprochen hatte. "Die Attacken sollen Polen vernichten, wie wir es in unseren Köpfen und Herzen haben", so Kaczyński.
Der Artikel wurde nachträglich um das Gerichtsurteil ergänzt.