Polens Primas mahnt Missbrauchsdebatte an
17. April 2019In der Debatte um Missbrauch in der katholischen Kirche in Polen braucht es nach Ansicht von Erzbischof Wojciech Polak einen Gesinnungswandel. Nötig sei "eine neue Mentalität", sagte der Erzbischof von Gniezno (Gnesen) und Primas der polnischen Bischöfe der "Süddeutschen Zeitung". "Wir haben in der Kirche eine starke, lähmende Kultur umfassender Diskretion", führte Polak aus. "Zudem wuchsen wir im repressiven kommunistischen System auf, als die Kirche etliche Dinge geheim hielt. Auch nach 2001 hatten viele Bischöfe die alte Angst davor, etwas aufzudecken."
Die katholische Kirche in Polen hatte im März einen Bericht über Missbrauch durch katholische Priester in den Jahren von 1990 bis 2018 vorgelegt. In dem nur sieben Seiten umfassenden Bericht wurden auf Basis kirchlicher Akten 382 mutmaßliche Missbrauchstäter - Priester oder Ordensmänner - identifiziert. Die Zahl der registrierten Opfer belief sich demnach auf 650, die Mehrheit davon waren jünger als 15 Jahre (345). Zum Vergleich: Untersuchungen über die katholischen Kirchen in Deutschland und Irland, Australien und den USA kamen auf jeweils Tausende Missbrauchsopfer seit dem Zweiten Weltkrieg.
Er sei überzeugt, dass man bislang nicht alle Opfer erfasst habe, sagte Polak. "Auch im Polnischen gibt es die Formulierung von der Spitze des Eisberges. Aber wie groß der Teil unter Wasser ist, ob es Tausende Opfer sein werden - wir wissen es nicht." Bei den 382 Missbrauchsfällen handle es sich um diejenigen, die von 1990 bis 2018 überhaupt gemeldet worden seien.
Auf die Frage, ob die Kirche noch einen ausführlicheren Bericht vorlegen werde, antwortete der Erzbischof, bisher habe man darüber nicht beraten. "Ein Schlüsselmoment wird sicher der Besuch von Erzbischof Charles Scicluna, der im Vatikan für Missbrauchsbekämpfung zuständige Vize-Chef der Glaubenskongregation." Scicluna will Mitte Juni zum Treffen der Polnischen Bischofskonferenz in das Land reisen.
Mit Blick auf den des Missbrauchs beschuldigten legendären Priester der Solidarnosc-Bewegung Henryk Jankowski sprach sich der polnische Primas für eine Kommission aus, um den Fall zu untersuchen. Darin sollten Vertreter aus Kirche, Politik und Wissenschaft sitzen. Jankowski verstarb 2010.
In dem zu 90 Prozent von Katholiken bewohnten Polen wird immer wieder über Missbrauchsvorwürfe gegen Priester berichtet, eine umfassende Aufarbeitung von Seiten der Kirche gab es bis zu dem Bericht nicht. Im Herbst 2018 hatte der Kinofilm "Klerus" den Druck auf die Kirche erhöht. Er prangerte den sexuellen Kindesmissbrauch durch Priester sowie dessen Vertuschung an. Mehr als fünf Millionen Zuschauer machten ihn zum meistgesehenen Kinofilm in Polen seit 2000.
stu/djo (kna, epd, dpa)