Kann Lukaschenko Deutschland schaden?
7. Juli 2021Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat angekündigt, keinen Warentransit mehr über Belarus nach Russland und China zuzulassen. In einem ersten Schritt sei der belarussische Markt geschlossen worden, sagte Lukaschenko am Dienstag vor Ministern. In einem zweiten Schritt werde nun der Warenverkehr durch das Land verboten. Damit erreicht die Auseinandersetzung zwischen der EU und Belarus eine neue Stufe.
Wegen der erzwungenen Landung eines Ryanair-Flugzeugs in Minsk hat die Europäische Union bereits ein Investitionspaket für Belarus in Höhe von drei Milliarden Euro eingefroren. Es sollen weitere Wirtschaftssanktionen gegen das Regime von Alexander Lukaschenko folgen.
Deutschland ist neben Polen der größte Handelspartner von Belarus in der EU. Allerdings liegt das Land nach Angaben des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft nur auf Platz 60 der deutschen Exportmärkte und auf Platz 75 unter den Importeuren nach Deutschland. Der bilaterale Handel sinkt seit 2018 stetig, nicht nur wegen der Coronavirus-Pandemie, sondern auch, weil die Wettbewerbsfähigkeit der belarussischen Wirtschaft abnimmt.
Der Handelsumsatz zwischen beiden Ländern belief sich 2020 auf 1,9 Milliarden Euro. Das benachbarte Litauen hingegen, ein Land mit 2,8 Millionen Einwohnern, hat einen dreimal so großen Warenverkehr mit Deutschland als Belarus, wo 9,3 Millionen Menschen leben.
Welche Verluste drohen auf beiden Seiten?
Sollte der bilaterale Handel im Falle weiterer Wirtschaftssanktionen der EU und möglicher Gegenmaßnahmen von Minsk zurückgehen, würde dies Deutschland keinen spürbaren wirtschaftlichen Schaden zufügen, höchstens einzelnen Unternehmen mit besonders engeren Verbindungen zu Belarus. Auch den Warenverkehr Richtung Russland oder China und zurück können deutsche Exporteure über andere Routen umleiten.
Aber auch das Ausmaß der wirtschaftlichen Verluste, die dem Lukaschenko-Regime drohen, würde sich in Grenzen halten. Nach Angaben der Außenhandelsagentur Germany Trade & Invest (GTAI) entfielen auf Deutschland 2019 nur 3,9 Prozent aller belarussischen Exporte. Und Produkte Made in Germany machten in Belarus nur 4,5 Prozent aller Importe aus. Viel wichtigere Absatzmärkte waren 2019 für Belarus Großbritannien mit sieben Prozent und vor allem die Ukraine mit 12,6 Prozent. Sollten sich diese beiden Länder den EU-Sanktionen mit eigenen Maßnahmen anschließen, hätte das größere Auswirkungen auf Minsk.
Kann Lukaschenko Europa den Gas- und Ölhahn zudrehen?
Das Lukaschenko-Regime könnte, um Deutschland und anderen EU-Ländern in einem möglichen "Sanktionskrieg" zu schaden, theoretisch die russischen Energielieferungen nach Europa blockieren, die über belarussisches Territorium fließen. Der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft äußerte sich jüngst besorgt über die Ereignisse in Belarus und wies ausdrücklich auf "die wichtige Rolle hin, die das Land im Transit aus der EU von und nach Russland einnimmt". Er betonte, dass "mit der Jamal-Pipeline eine wichtige Erdgas-Pipeline durch das Land geht, und mit der Druschba-Pipeline zudem eine wichtige Ölleitung". Hinzu kommt der Eisenbahn- und Güterverkehr auf der Straße.
Mit einer teilweisen oder vollständigen Blockade des Transits würde Minsk jedoch die Interessen und Deviseneinnahmen Russlands ernsthaft treffen. Da das Lukaschenko-Regime zunehmend von Moskaus Gunst abhängig ist, erscheint ein solches Szenario unrealistisch. Eine Blockade des Eisenbahnverkehrs würde zudem einem weiteren wichtigen Partner schaden, und zwar China, das seine Exporte zum Teil auf der Schiene in die EU transportiert.
Doch selbst wenn das Unvorstellbare passieren sollte und Lukaschenko Europa den "Gashahn zudreht", würde es in den Sommermonaten zu keinen Lieferengpässen kommen. Um die europäischen unterirdischen Gasspeicher für den Winter zu füllen, reichen dem russischen Energiekonzern Gazprom die bestehende Ostseepipeline Nord Stream sowie die Leitungen durch die Ukraine. Außerdem könnten die Europäer bei anderen Anbietern stärker einkaufen, darunter auch Flüssiggas (LNG).
Was die Erdöllieferungen über die Druschba-Pipeline betrifft, so hat die Erfahrung mit der Verschmutzung der Leitung mit Chloriden im Jahr 2019 gezeigt, dass Deutschland ohne ernsthafte wirtschaftliche Verluste und Preissprünge problemlos zwei Monate oder sogar länger ohne diese Pipeline auskommen kann, besonders wenn Lieferungen auf dem Seeweg aus dem russischen Hafen von Ust-Luga weitergehen.
Das Lukaschenko-Regime hat also keine wirklichen Möglichkeiten, der Europäischen Union mit schmerzhaften Vergeltungsmaßnahmen zu drohen. Erst recht kann Minsk keinen "Sanktionskrieg" mit der EU und vor allem mit ihrer größten Volkswirtschaft, Deutschland, führen, auch dann nicht, wenn es den Transit russischer Energieträger blockieren würde.
Adaption aus dem Russischen: Markian Ostaptschuk. Der Artikel erschien erstmals am 26. Mai 2021 und wurde am 7. Juli aktualisiert.