Taten sind jetzt gefordert, keine Worte. Die EU-Spitzen, der NATO-Generalsekretär, US-Politiker - sie alle mögen sich empört zeigen über die Entführung des weißrussischen Journalisten Roman Protassewitsch. Sie können den Kopf schütteln oder ihrer Verärgerung in einem Tweet Ausdruck verleihen: So etwas beeindruckt Diktatoren wie Lukaschenko oder Putin überhaupt nicht. Vielmehr testen sie regelmäßig, wie weit sie mit der Verfolgung Andersdenkender und Unschuldiger gehen können, bevor der Westen handelt.
Lukaschenko hat ein irisches Flugzeug entführt, hat MIG-Kampfflugzeuge hochgehen lassen, hat das Leben von rund 170 westlichen Passagieren gefährdet, um einen Regimekritiker festnehmen zu können: Was soll noch passieren, damit die EU, damit der Westen endlich entschieden handelt? Über die bisherigen "Sanktiönchen" wie das Waffen-Embargo, das Brüssel bislang erlassen hat, kann Lukaschenko nur lachen: Als sei Minsk darauf angewiesen, Gewehre in Frankreich oder England zu kaufen. Reiseverbote für ein paar Dutzend Regierungsvertreter treffen das Regime ebenfalls kaum: Statt Urlaub auf Mallorca zu machen, fahren sie eben auf die Krim. Nein, dieses Mal muss der Westen Sanktionen erlassen, die wirklich weh tun.
Nicht ohne Putins Unterstützung
Sie müssen Minsk treffen und auch Moskau zum Nachdenken bringen. Denn eines ist klar: Lukaschenko hat sich vor dieser verbrecherischen Aktion beim Kreml rückversichert. So etwas traut er sich nicht ohne die Unterstützung Putins. Das Lukaschenko-Regime wäre schon lange in sich zusammen gesackt, ohne Moskaus militärische, wirtschaftliche und politische Unterstützung. Der Schlüssel, damit Protassewitsch und andere eingesperrte Oppositionelle ihre Gefängniszellen verlassen können, liegt auch in Moskau. Die EU-Spitzen mögen das bedenken, wenn sie in Brüssel zusammenkommen, um über "Reaktionen" zu befinden.
Die Entführung des Flugzeugs führt Präsident Biden vor Augen, wie Moskau wirklich denkt. Er mag, wie er es nach dem jüngsten Treffen des amerikanischen und des russischen Außenministers sagte, "stabile und voraussagbare Beziehungen" zum Kreml anstreben. So lange Putin auf Konfrontationskurs bleibt, dürfte dies ein frommer Wunsch bleiben. Lukaschenkos Abenteuer belasten das avisierte Treffen zwischen Biden und Putin. Vielleicht wäre es ehrlicher, diesen Gipfel jetzt abzusagen; oder so lange zu verschieben, bis das russische Regime tatsächlich an besseren Beziehungen zum Westen interessiert ist. Der Glaubwürdigkeit westlicher Außenpolitik würde das nach den Jahren des Chaos unter Trump guttun.
Der Westen hat das Recht auf seiner Seite
In der Zwischenzeit kann der Westen viel tun, um den Herrschenden in Minsk und Moskau vor Augen zu führen, dass sie einen Preis zu zahlen haben für die Entführung oder Ermordung politischer Gegner. Vor allem auch dann, wenn dabei westliche Staatsbürger in Lebensgefahr gebracht werden. Hysterisches Kriegsgeschrei staatlich gelenkter Medien im Osten sollte Brüssel als das abtun, was es ist: eine Form der Ablenkung und der Drohung. Letztlich ist es Eingeständnis der Schwäche dieser Regime, die vor allem das eigene Volk fürchten.
Der Westen hat das Recht auf seiner Seite. Er ist stärker - wirtschaftlich, militärisch und politisch. Es wird allerhöchste Zeit, dass er diese Stärke auch nutzt.