FinCEN Files: Banken helfen bei Geldwäsche
20. September 2020Ein Bruder stirbt auf einem brennenden Schiff. Ein Sohn kommt durch Drogen ums Leben. In den meisten Fällen wissen die Hinterbliebenen der Opfer gar nicht, dass ihr Schmerz auch etwas mit illegalen Geldströmen zu tun hat - Geld, das durch Korruption und kriminelle Geschäfte erbeutet wurde.
Der Transfer von schmutzigem Geld fällt auf den ersten Blick nicht als unmittelbare Bedrohung auf. Doch die Konsequenzen sind weitreichend, wenn Drogenhändler, Schmuggler und Betrüger ihre illegalen Profite an den Behörden vorbeibugsieren, wenn Despoten und korrupte Industriebosse ihre unrechtmäßig erworbenen Vermögen vergrößern und ihren Einfluss festigen - mit Hilfe des Bankensystems.
Die komplexe Wege von knapp zwei Billionen Dollar um die Welt
2019 wurde dem US-Medienunternehmen BuzzFeed News ein großer Satz von geheimen Finanzdaten zugespielt. BuzzFeed teilte die Informationen mit dem ICIJ, dem Internationalen Konsortium investigativer Journalisten. In den vergangenen 16 Monaten werteten 400 Journalisten aus 88 Ländern die geleakten Daten aus. Sie befragten Opfer und Ermittler, suchten in Archiven und erstritten Akteneinsicht. Ihre Berichte und Reportagen erscheinen ab Sonntag und geben Aufschluss über die komplexen Wege, die knapp über zwei Billionen Dollar nahmen, während sie um die Welt manövriert wurden.
Die geleakte Datensammlung stammt aus dem US-Finanzministerium. Sie besteht aus sogenannten Suspicious Activity Reports (SARs). Das sind Berichte über verdächtige Aktivitäten, die die Banken selbst erstellen und beim US-Finanzministerium einreichen müssen. ICIJ, BuzzFeed News und ihre Medienpartner haben mehr als 2100 SARs gesichtet, die Finanzinstitute an die zuständige Ermittlungsbehörde FinCEN (Financial Crimes Enforcement Network) geschickt hatten. Während der Recherche erhielt das ICIJ-Team, zu dem auch Pelin Ünker von der Deutschen Welle gehört, Zugang zu weiteren 17.600 Datensätzen mit Bezügen zu Finanzinstituten.
Diese SARs – kompakte Mitteilungen voller technischer Details – sind die detailliertesten Unterlagen des US-Finanzministeriums, die jemals an Dritte durchgesickert sind. Sie enthüllen verdächtige Zahlungen, die durch große Banken abgewickelt wurden, darunter die Deutsche Bank, HSBC, JP Morgan und Barclays.
Das Versagen der Banken
"Es sind nicht die Kriminellen selbst, die das Geld waschen. Die Banken spielen eine sehr wichtige Rolle, denn sie stellen das System zur Verfügung, mit dem dieses Geld aus ihrem Land an einen schönen, sicheren Ort gelangt", betont Graham Barrow. Er ist Experte für die Aufdeckung von Geldwäsche. Barrow war früher auch für die Deutsche Bank und HSBC tätig: "Letztlich zahlen wir alle den Preis dafür, denn dieses Geld stammt aus unseren Steuern und Beiträgen, die wir an die Gesellschaft abführen."
SARs beweisen nicht zwangsläufig gesetzwidriges Handeln. Sie geben zunächst nur die Sichtweisen derer wieder, die bei den Banken für die Überwachung von Finanzgeschäften zuständig sind. Diese "Compliance Officers" melden abgewickelte Transaktionen, die Anzeichen von Finanzdelikten aufweisen oder bei denen Kunden beteiligt sind, die ein Risikoprofil aufweisen oder die bereits mit dem Gesetz in Konflikt gekommen sind.
FinCEN, die zuständige Ermittlungsbehörde des US-Finanzministeriums, verlangt von allen in den USA tätigen Banken, solche Verdachtsmeldungen einzureichen, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass eine Transaktion gegen die Vorschriften verstoßen könnte. Das Versäumnis, diese Berichte über verdächtige Aktivitäten (SARs) einzureichen, kann zu Bußgeldern und Strafen führen.
Nach Angaben von BuzzFeed News erhielten die Ermittler von FinCEN allein im vergangenen Jahr mehr als zwei Millionen SARs. Zwischen 2011 und 2017 waren es mehr als zwölf Millionen Verdachtsmeldungen. Die ICIJ-Untersuchung ergab, dass große Banken mehr als zwei Billionen Dollar an Transaktionen abwickelten, die sie anschließend selber als verdächtig meldeten. Mit anderen Worten: Die Banken reichten ihre Meldungen über verdächtige Aktivitäten ein, nachdem sie die Gebühr für die Transaktion bereits kassiert hatten.
Die meisten SARs in den FinCEN-Unterlagen kamen von einer kleinen Zahl großer Banken: Deutsche Bank (982), Bank of New York Mellon (325), Standard Chartered Bank (232), JP Morgan (107), Barclays (104) und HSBC (73). Zusammen reichten diese Banken mehr als 85 Prozent aller SARs ein, die in den durchgesickerten Unterlagen enthalten waren.
US-Regierung missbilligt FinCEN-Leak
FinCEN lehnte es ab, konkrete Fragen zum Inhalt der SARs zu beantworten. Die Ermittlungsbehörde brachte stattdessen ihre Missbilligung über das Datenleck zum Ausdruck.
Jimmy Kirby, Chef des FinCEN-Justiziariats, teilte BuzzFeed News schriftlich mit, dass die "unautorisierte Offenlegung von SARs laufende oder kommende Ermittlungen, die in den SARs enthaltene Informationen betreffen, behindern kann." Das Durchsickern der Dokumente erlaube es "kriminellen Akteuren, relevantes Beweismaterial zu beseitigen, da sie von Ermittlungen bzw. möglichen Ermittlungen erfahren". Zudem setze es "Zeugen und Opfer dem Risiko aus, physischen Schaden zu nehmen."
Kirby erklärte darüber hinaus, dass "solche unautorisierten Offenlegungen" eine "abschreckende Wirkung" auf Finanzinstitute habe, die solche Berichte einreichten. Sie könnten in Zukunft weniger bereit sein, justiziable Informationen an FinCEN weiterzuleiten – aus Furcht, dass auch sie "auf rechtswidrigem Weg" an die Öffentlichkeit gelangten.
Matt Lloyd, ein Sprecher des US-Justizministeriums, sagte dem ICIJ: "Wir verpflichten uns weiterhin, offensiv zu ermitteln und Finanzdelikte, Geldwäsche eingeschlossen, zu verfolgen, wo immer wir sie antreffen."
Große Namen aus der Politik: Paul Manafort
Zu den prominenten Persönlichkeiten aus der Politik, die in den durchgesteckten Dokumenten auftauchen, gehört Paul Manafort. Der ehemalige Wahlkampf-Manager von Donald Trump wurde im März 2019 wegen Betrugs und Steuerhinterziehung zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt.
JPMorgan Chase gab an, dass die Bank noch bis September 2017 Geld zwischen Manafort und seinen Strohfirmen transferierte - also noch lange nachdem seine zwielichtigen Beziehungen zu pro-russischen Politikern in der Ukraine öffentlich wurden und den Verdacht der Geldwäsche nährten.
Doch es ist nicht immer so offensichtlich wie im Fall Manafort. Manchmal sind es Ehepartner oder Kinder, die mit verdächtigen Transaktionen auffallen - wie im Fall von Atiku Abubakar. Der ehemalige nigerianische Vizepräsident wurde schon vor Jahren von einem Ausschuss des nigerianischen Senats angeklagt, weit über 100 Millionen Dollar aus einem Öl-Entwicklungsfonds abgezweigt zu haben. Jahre später überwies seine Ehefrau Rukaiyatu Abubakar dann über die Habib Bank einer Firma in den Vereinigten Arabischen Emiraten mehr als eine Million Dollar, um eine Wohnung in Dubai zu kaufen. Atiku Abubakar wurde nie verurteilt und bestreitet jedes Fehlverhalten.
Der schillernde Goldhändler Reza Zarrab
Einige, wie der iranisch-türkische Goldhändler Reza Zarrab, erscheinen im Zusammenhang mit Sanktionsverletzungen. 2017 bekannte sich Zarrab vor einem Bundesgericht in New York schuldig in den Anklagepunkten Betrug, Geldwäsche und Umgehung von US-Sanktionen gegen Iran. Die SARs in den FinCEN Files dokumentieren, wie er und sein Netzwerk aus Verbindungsleuten Millionenbeträge mit Hilfe von US-Banken bewegten.
Im Juni 2016, drei Monate, nachdem Zarrab in den USA verhaftet worden war, reichte die Standard Chartered Bank eine Reihe von SARs ein. Sie betrafen Banktransaktionen aus einem ganzen Jahrzehnt, an denen Zarrab und seine Geschäftspartner beteiligt waren. Im folgenden Oktober reichte Standard Chartered dann einen weiteren SAR ein. Die Verdachtsmeldung listete Transaktionen im Umfang von 133 Millionen Dollar auf – alle durchgeführt von Personen oder Firmen, die die Bank selbst mit Zarrab in Verbindung brachte.
Journalisten folgen der Spur des Geldes
Die Berichte und Reportagen, die ab Sonntag weltweit im Rahmen der FinCEN Files veröffentlicht werden, zeichnen Geldüberweisungen dieser Art nach und stellen eine Verbindung her zwischen zwielichtigem Auslandskapital und Firmen, die nur auf dem Papier existieren. Dieser Fluss des Geldes wird ermöglicht von weltweit operierenden Banken, die bisher offenbar nur wenig Druck verspüren, solche Transfers zu unterbinden.
Zum Rechercheverbund der FinCEN Files gehören: Le Monde (Frankreich), The Indian Express (Indien), L'Espresso (Italien), Asahi Shimbun (Japan), El Espectador/CONNECTAS (Kolumbien), Armando.info (Venezuela), The News (Pakistan), Premium Times (Nigeria), Inkyfada (Tunesien).
Zu den beteiligten TV-Sendern gehören: ABC (Australien), BBC (Großbritannien), CBC (Kanada), NBC (USA), NDR und WDR (Deutschland), SVT (Schweden) und Yle (Finnland).
In Europa sind außerdem die Süddeutsche Zeitung (Deutschland), The Irish Times (Irland), Aftenposten (Norwegen), Gazeta Wyborcza (Polen), Trouw (Niederlande), Financieele Dagblad (Niederlande), Rise Romania (Rumänien), Tamedia Investigation Unit and Data Desk (Schweiz), El Confidencial (Spanien) und La Sexta (Spanien) beteiligt.
Der Investigation angeschlossen haben sich auch La Nación, Perfil und Infobae aus Argentinien sowie Revista Piauí, Época und Poder 360 aus Brasilien. Auch Journalisten des Netzwerks OCCRP, das sich mit organisierter Kriminalität und Korruption beschäftigt, leisteten einen wesentlichen Beitrag.
Deutsche Welle-Journalistin Pelin Ünker ist Mitglied im ICIJ und unterstützte die Investigation aus der Türkei.
Kein Kommentar zur Quelle
BuzzfeedNews selber macht keine Angaben zur Quelle des Datenleaks, den es mit dem ICIJ geteilt hat. Nach Angaben des US-Medienunternehmens stammen einige Unterlagen aus den Ermittlungen des US-Kongressausschusses, der die russischen Einmischungsversuche in die US-Präsidentenwahl 2016 untersuchte. Andere Berichte sind das Ergebnis von Anfragen, die verschiedene Strafverfolgungsbehörden an FinCEN richteten.
Im Januar bekannte sich die FinCEN-Angestellte Natalie Mayflower Sours Edwards schuldig, SARs unautorisiert weitergegeben zu haben. Der Staatsanwaltschaft zufolge tauchte das geleakte Material in mindestens zwölf veröffentlichten Artikeln auf. Die Ermittler äußerten sich nicht zum Namen des Mediums, doch die entsprechenden Schlagzeilen und Daten stimmen mit BuzzFeed-Artikeln überein.
Marc Agnifilo war der Anwalt von Whistleblowerin Edwards, als sie im Januar ihr Geständnis ablegte. Er sagt, seine damalige Mandantin habe bei der Offenlegung der Informationen nur die besten Absichten verfolgt: "Sie war der Ansicht, dass die zuständigen Regierungsbehörden mit einigen wichtigen Tatbeständen nicht richtig umgingen." Inzwischen vertritt er sie nicht mehr, doch Agnifilo verfolgt den Fall weiter: "Sie ging dann zu den Medien und sagte sich: wenn ich schon kein Vertrauen in die Regierung habe, dass sie diese Dinge anpackt, so glaube ich doch, dass ich den Medien vertrauen kann, dass sie die amerikanischen Öffentlichkeit informieren." Das Urteil gegen Edwards wird frühestens im Oktober erwartet.
Mitarbeit: Will Fitzgibbon, Emilia Diaz-Struck und andere ICIJ-Partner.