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Die Angst der Wall Street vor den Linken

Sabrina Kessler New York
3. Februar 2020

Der Bundesstaat Iowa eröffnet traditionell die Vorwahlen in den USA. In den Umfragen weit vorn: Bernie Sanders und Elizabeth Warren. Einige Milliardäre und Investoren werden nervös - und machen düstere Prophezeiungen.

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BdT Demokratische Präsidentschaftskandidaten debattieren in Detroit zwei Nächte lang
Die Demokraten Bernie Sanders und Elisabeth Warren (r.)Bild: Getty Images/J. Sullivan

Der Börsensender CNBC ist kein Ort großer Gefühle. Leon Cooperman konnte Ende vergangenen Jahres trotzdem nicht lange an sich halten. Nur wenige Minuten dauerte es, bis der Milliardär und Hedgefonds-Manager im Interview in Tränen ausbrach. "Ich mache mir Sorgen ", schluchzte der 76-Jährige ins Mikrofon.

Sorgen macht er sich nicht zuletzt um seinen eigenen Geldbeutel. Seit Wochen liefert sich Cooperman eine öffentliche Fehde mit Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren. Der Investor hat Angst, dass sie bei den Präsidentschaftswahlen im November die Macht übernehmen könnte. Rechnerisch gehört er zu den 0,1 Prozent der reichsten Amerikaner, denen Warren mit einer Vermögenssteuer an den Kragen will: zwei Prozent für alle, die mehr als 50 Millionen Dollar besitzen. Milliardäre wie Cooperman müssten sechs Prozent zahlen.

Vier Billionen Dollar will Warren durch die Vermögenssteuer bis 2030 einsammeln. "Wer es ganz nach oben geschafft hat, der kann ruhig zwei Cent mehr bezahlen, damit alle anderen auch eine Chance haben ", sagte sie auf einer Wahlkampfveranstaltung Anfang Dezember

Arme Milliardäre

Warrens Methoden hätten drastische Folgen für die Reichen der USA. Wäre ihre Steuer beispielsweise schon 1982 in Kraft getreten, hätte das Vermögen des Microsoft-Gründers Bill Gates Ende 2018 nicht mehr bei 97 Milliarden Dollar gelegen, sondern nur noch bei 13,9 Milliarden, so Gabriel Zucman, Ökonom an der Universität Berkeley.

China Außenhandel
Wie viele Milliarden würden Bill Gates fehlen, würden Vermögen höher besteuert?Bild: picture-alliance/Imaginechina/Ge Jinfh

Nicht nur die Privatvermögen der Reichen würden dadurch schrumpfen, sagen Experten. Auch die Finanzmärkte würden darunter leiden. Anleger wie der Hedgefonds-Manager Paul Tudor Jones sehen einen Bärenmarkt voraus: 25 Prozent oder mehr könnten die Kurse innerhalb eines Jahres fallen, sollten Elizabeth Warren an die Macht kommen.

Finanzberater wie Barreet Tabeek von Axa Advisors warnen ihre vermögenden Kunden schon seit Monaten vor einem möglichen Wahlsieg Elizabeth Warrens. In einem vierseitigen Brief listete er Anfang Oktober zehn Gefahren auf, die sich potentiell negativ auf die Märkte auswirken könnten. Warren werde es Öl- und Gas-Firmen schwermachen, indem sie das Fracking verbiete, heißt es dort. Sie wolle Unternehmenssteuern erhöhen, große Tech-Firmen zerschlagen und den Glass-Steagall Act zum Leben erwecken.

Das Gesetz aus den 1930er Jahren sah eine strikte Trennung von Investmentbanking und dem Kreditgeschäft mit Privatkunden vor, um Interessenkonflikte zu vermeiden. Unter Präsident Bill Clinton wurde das Gesetz Ende der 1990er Jahre aufgehoben - viele Experten sehen darin eine Ursache für die Immobilien- und Finanzkrise ab 2007.

Feindbild Warren

Warrens Pläne würden die Gewinne amerikanischer Firmen schmälern, sagt Tabeek. "Warren ist eine unverfrorene Populistin, die, wenn sie an die Macht käme, Maßnahmen umsetzen würde, die Unternehmensgewinne zu Gunsten anderer Stakeholder gefährden würde."

Frauen, Minderheiten und einfache Arbeitnehmer würden von Warrens Konzepten profitieren, Aktionäre und Unternehmer wiederum würden abgestraft. "Unterm Strich werden sich alle ihre Ideen negativ auf die Kurse auswirken, sowohl im breiten Markt als auch in einzelnen Sektoren wie der Tech-Branche oder der Rüstungsindustrie."

Robert Wolf, ehemaliger Geschäftsführer von UBS Americas und Gründer der Beratungsfirma "32 Advisors", hält die Angst der Wall Street vor Warren derzeit für unbegründet. "Warren will den Kapitalismus fördern, allerdings auf faire, ausgeglichene und regulierte Weise. Wir wissen noch nicht wirklich, was das genau bedeutet, aber schlaflose Nächte habe ich deshalb noch nicht", sagt Wolf dem Magazin Vanity Fair.

USA Präsident Donald Trump in einer Kundgebung in Ohio
Donald Trump hat viele Investoren "müde gemacht", könnte aber von hohen Aktienkursen und Konjunktur profitierenBild: picture-alliance/AP Photo/J. Martin

Die Präferenzen der Wall Street fasst er in einfachen Worten zusammen: 40 Prozent der Investoren seien entschiedene Demokraten, die trotz möglicher Risiken für Elizabeth Warren stimmen würden. 40 Prozent wiederum seien unerschütterliche Republikaner, die ihrem Präsidenten Donald Trump treu bleiben würden. Und dann wären da noch die restlichen 20 Prozent, die sich 2008 für den Demokraten Barack Obama entschieden hätten, 2012 für den Republikaner Mitt Romney und 2016 für die Demokratin Hillary Clinton. Keine eindeutigen Vorzüge also, deshalb sei die kommende Wahl schwer vorhersehbar. Ein leichtes Plus aber sieht Wolf bei den Demokraten. "Trumps Chaos hat eine unglaubliche Anzahl von Leuten aus dem Finanzsektor müde gemacht", sagt er.

Angst vor Bernie Sanders

Zwölf Demokraten sind zum Start der Vorwahlen im Bundesstaat Iowa noch im Rennen. Genau dort aber hat nicht Elizabeth Warren die Nase vorn, sondern Bernie Sanders. Ebenso wie Warren will er Unternehmenssteuern erhöhen, Fracking verbannen und den Finanzsektor regulieren - allerdings deutlich stärker als seine Konkurrentin. Als den "Schrecken der Wall Street" bezeichnet ihn deshalb der Anleihen-Investor Jeffrey Gundlach, der 2016 die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten vorhersagte. Er glaubt, dass Sanders die Nase bei den Demokraten weit vorne hat. "Bernie ist stärker, als viele Leute glauben",  sagte Gundlach dem Sender CNBC.  Und warnt: "Bernie Sanders ist das größte Risiko für die Finanzmärkte in diesem Jahr." 

Sam Stovall hält das für stark übertrieben. Für das Investment-Analyse-Institut CFRA Research hat er sich die Kursentwicklungen in Wahljahren angesehen. Unabhängig davon, ob ein Demokrat oder ein Republikaner gewonnen hat, habe der Aktienmarkt meist zugelegt. Im Schnitt 6,3 Prozent habe der Börsenindex S&P 500 in den Wahljahren seit dem Zweiten Weltkrieg zugelegt.

Auch im laufenden Jahr erwartet er steigende Kurse - von denen Donald Trump profitiere. "Die Wirtschaft ist stark gewachsen und die Unternehmensgewinne steigen. Ich glaube, dass die Wall Street die derzeitige Regierung wiederwählen würde", sagt er. Eine neue Regierung würde nur neue Fragen und Unsicherheiten aufwerfen. Bei der jetzigen wisse man, was man kriege.

Mit Steuergeschenken und einer großzügigen Deregulierungsoffensive hat sich Trump bei Finanziers und Unternehmenschefs beliebt gemacht. Doch der Handelsstreit mit China sorgt nach wie vor für Bauchschmerzen bei vielen Investoren.

Bildergalerie Persönlichkeiten 2020 | Michael Bloomberg
Ebenfalls im Rennen: Michael Bloomberg, Milliardär und Ex-Bürgermeister von New YorkBild: picture-alliance/dpa/AP/The Augusta Chronicle/M. Holahan

Bloombergs Chancen

Nicht ohne Grund konnte Michael Bloomberg deshalb zuletzt hinzugewinnen. "Bloomberg ist ein vernünftiger Geschäftsmann, der sich als Bürgermeister New Yorks drei Amtszeiten lang bewiesen hat", sagt Stovall. Auch andere in der Finanz- und Techbranche trauen Bloomberg die Präsidentschaft zu, darunter Amazon-Chef Jeff Bezos. Nachdem Bloomberg vor knapp einem Jahr erklärt hatte, er werde nicht kandidieren, soll ihn Bezos persönlich gebeten haben, sich die Sache noch einmal zu überlegen.

In seinen Wahlkampfreden verspricht Bloomberg, Jobs zu schaffen und gegen Waffengewalt vorzugehen. Auch für den Klimaschutz macht er sich stark und spendete Millionen - weswegen er bei der Öl- und Gasbranche nicht gerade beliebt ist. Vor einem Jahr erst hat er das Unternehmen Beyond Carbon gegründet, das sich für eine Energie-Revolution einsetzt. Außerdem ist er ein Gegner der Tabakkonzerne; eine Milliarde Dollar hat Bloomberg seit 2007 in Nichtraucher-Kampagnen gesteckt.

Auch unter Bernie Sanders oder Elizabeth Warren würden all diese Branchen unter Druck geraten. Die Investmentbank JP Morgan hat eine Liste mit 51 Aktien erstellt, die unter den progressiven Linken leiden würden, berichtet die New York Times. Der Bankensektor gehört demnach genauso dazu wie die Tech-Branche, aber auch Pizza-Ketten wie Papa John's. Deren Gewinnmargen wären in Gefahr, weil sich Sanders und Warren für einen höheren Mindestlohn einsetzen.

Von diesen und anderen Zielen der Demokraten hält Leon Cooperman nichts. "Man macht arme Leute nicht reich, indem man reiche Leute arm macht" , zitiert er Winston Churchill bei CNBC. Das Laster des Kapitalismus sei nun mal die ungleiche Verteilung von Wohlstand. "Das Laster des Sozialismus aber ist die gleiche Verteilung von Elend", so der Milliardär.