Zeitumstellung: Stetig wie ein Uhrwerk
28. März 2021Im Sommer werden Tische und Stühle vor das Café gestellt, im Winter kommen sie zurück ins Café - angesichts der Corona-Pandemie, die diesen Rhythmus der Gastronomie völlig durcheinandergebracht hat, brauchen wir aktuell wohl eine neue Eselsbrücke für all jene, die sich nicht merken können, ob die Zeitumstellung nun eine Stunde mehr oder weniger Schlaf bedeutet.
Geht es nach der EU-Kommission, sollte die Grübelei ohnehin überflüssig sein. 84 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage in der EU sprachen sich im Sommer 2018 für ein Ende der Zeitumstellung aus. Der damalige EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker erklärte daraufhin: "Die Menschen wollen das, wir machen das!"
Grundlage nicht repräsentativ
Die tatsächliche Aussagekraft muss jedoch infrage gestellt werden. Die EU hatte es lediglich als Befragung, nicht als verbindliche Abstimmung deklariert. 4,6 Millionen Menschen hatten teilgenommen. Das entsprach nicht einmal einem Prozent der EU-Bevölkerung. Und zwei Drittel der Teilnehmenden kamen aus Deutschland - was angesichts emotional geführter Debatten alle halbe Jahre in der Bundesrepublik nur wenig verwundert. Repräsentativ war die Umfrage damit aber nicht.
Ungeachtet dessen zog das Europäische Parlament 2019 mit einem Beschluss und einer Zwei-Drittel-Mehrheit nach: Keine Zeitumstellung mehr. 2021 solle das geschehen, hieß es damals (voreilig).
Doch mit der reinen Abschaffung ist es ohnehin nicht getan, denn die große Frage ist: Mit welcher Zeit wollen wir leben? Soll dauerhaft die Normalzeit (alias "Winterzeit") gelten? Oder bleibt das ganze Jahr Sommerzeit? Selbst diejenigen, die nicht mehr jeden März und Oktober an der Uhr drehen wollen, sind sich hier uneins.
Gerade in der Mitteleuropäischen Zeitzone - der größten in der EU - kann sowohl das eine als auch das andere Probleme bedeuten. Käme die dauerhafte Sommerzeit, hieße das, im Westen Spaniens ginge die Sonne im Winter erst um kurz vor 10.00 Uhr auf.
Einigen sich alle auf die "Winterzeit", würde es in der polnischen Hauptstadt Warschau im Sommer schon mitten in der Nacht um 2.30 Uhr langsam hell werden, die Sonne ginge im Juni um 3.15 Uhr auf. Die Zeitumstellung zweimal im Jahr schwächt diese Extreme ab.
Bloß keinen Flickenteppich!
Die Uhren sollen nach Wunsch der Politiker künftig auf keinen Fall in jedem Staat anders ticken. Dafür sind die EU-Staaten vor allem wirtschaftlich zu eng miteinander verzahnt. Und das ist auch der Grund, weshalb es mit der Abschaffung der Zeitumstellung immer noch nicht voranging: Es gibt keine Einigung.
Der verkehrspolitische Sprecher der CSU-Europagruppe, Markus Ferber, verwies auf die Verantwortung der Mitgliedsstaaten. "Ginge es nach dem Europäischen Parlament, wäre die Zeitumstellung bereits abgeschafft", sagte Ferber. Er kritisiert: "Die Diskussion unter den Mitgliedstaaten wurde noch nicht einmal gestartet. Ich sehe bislang kein ernsthaftes Bemühen, diesen Prozess auf den Weg zu bringen."
Aus dem Bundeswirtschaftsministerium heißt es, die EU-Kommission habe noch keine Folgenabschätzung vorgelegt - die sei aber nötig, um das Thema im EU-Rat "zielführend" zu behandeln. Die Kommission erachtet so eine Folgenabschätzung aber als nicht notwendig.
Ein Teil der Wahrheit ist sicher auch: In den letzten Jahren gab es mit den Brexit-Verhandlungen und der COVID-19-Pandemie wohl drängendere Probleme.
Warum überhaupt das Ganze?
Die Zeitumstellung wurde in Deutschland zuletzt 1980 wieder eingeführt, um Energie zu sparen. Gegner der Zeitumstellung klagen, diesen Nutzen habe es nicht gegeben, dagegen schaffe sie aber gesundheitliche Probleme in den Tagen und Wochen danach wie beispielsweise eine geringere Konzentrationsfähigkeit.
Befürworter pochen auf eine ganzjährig bessere Ausnutzung des Tageslichts, schwärmen von lauen und hellen Frühlings- und Sommerabenden und betonen, genug Menschen nehmen Urlaubsreisen über mehrere Zeitzonen hinweg willentlich in Kauf.
Der Schlafforscher Jan Born sagte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur epd, er sei ein "großer Verfechter" der Zeitumstellung. "Es geht ja darum, dass wir unsere aktive Phase bei Tageslicht ausleben können. Je mehr Licht und Sonne, desto besser für unseren Organismus", sagt der Leiter des Tübinger Instituts für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie.
Dass die Uhr eine Stunde vorgestellt wird, sei für den Menschen kein großes Problem, denn die "innere Uhr" gibt bei solchen Veränderungen einen gewissen Spielraum. Auch wenn ältere Menschen mehr Schwierigkeiten hätten, sich an die neue Zeit zu gewöhnen als jüngere, sagt Born.
Eine zeitige Einigung der EU in Sachen Zeit ist derzeit kaum vorstellbar. In Deutschland glaubt eine Mehrheit nicht, dass die Umstellung in naher Zukunft abgeschafft wird. Entsprechend äußerten sich 63 Prozent bei einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Krankenkasse DAK-Gesundheit. So bleibt vorerst alles beim Alten.