WTO-Kompromiss ist ein erster Schritt
7. Dezember 2013Roberto Azevedo, der Chef der Welthandelsorganisation (WTO), hatte Tränen in den Augen, als er von der "historischen Einigung" berichtete: "Wir haben die Welt wieder in die Welthandelsorganisation gebracht. Zum ersten Mal in der Geschichte hat die WTO wirklich etwas geliefert."
Das Bali-Paket, das die WTO abgeschlossen hat, sieht vor, dass Handelsschranken fallen. Vor allem die Bürokratie soll Zug um Zug abgebaut werden. Weniger Belege, Nachweise, Formblätter, Zertifikate - das sei Geld wert, sagt Jens Nagel vom Handelsverband BGA: "Jedes Handelsgeschäft beschäftigt im Durchschnitt 25 Personen, erfordert 40 Dokumente und führt zu 200 Datensätzen." Auch Einfuhrzölle und Agrarsubventionen sollen heruntergefahren werden. Sie hatten es vor allem armen Ländern schwer gemacht, mit den Industrienationen aus Europa mitzuhalten. "Das wird den Welthandel ankurbeln", sagt Jürgen Matthes vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft im DW-Interview.
Anschub des Wirtschaftswachstums
Die neuen Exportmöglichkeiten für viele Länder dürften angesichts der schleppenden Konjunkturentwicklung einen willkommenen Wachstumsschub darstellen. "Bis Zollstandards in armen Ländern durchgesetzt werden, wird es sicher noch dauern, aber dafür wird es Hilfen geben", sagt auch Rolf Langhammer, der ehemalige Vizepräsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel im Gespräch mit der DW. Den Versuch, Mengenobergrenzen im Agrarhandel endgültig abzuschaffen, hält er für ein positives Signal. In Zukunft sollen mögliche Handelsbarrieren im Agrarhandel in Zölle umgewandelt werden können. Das bedeutet, dass ein Land Waren ohne Höchstgrenze exportieren darf. Für die Menge, die über der bisherigen Grenze liegt, muss es allerdings weitere Zölle zahlen.
Noch am Donnerstag hatte es schlecht ausgesehen für das Bali-Paket. Indien will sicherstellen, dass Nahrungsmittel auch für Arme erschwinglich bleiben, und hatte deshalb darauf beharrt, Reis und Getreide für 800 Millionen Hilfsbedürftige subventionieren zu dürfen. Vor allem die Vereinigten Staaten wollten das nur befristet zulassen. Der Kompromiss, der schließlich gefunden wurde, besagt, dass Indien Nahrung für Arme nur in klar definierten Grenzen subventionieren darf und dies auch streng kontrolliert wird. Rolf Langhammer sieht diese Einigung dennoch mit gemischten Gefühlen: "Das Problem ist, dass Indien nun den Handel verzerren könnte." Der gefundene Kompromiss sei nicht der richtige Weg, denn "eine Subventionierung von Produkten ist immer schlecht." Allerdings: Eine Alternative habe die WTO gar nicht gehabt. "Die Inder waren beinhart. Ohne den Kompromiss wäre es nicht zu einem Abschluss des Bali-Pakets gekommen."
Gute Nachricht für deutsche Exportwirtschaft
Neben ärmeren Ländern profitiert auch Deutschland von den Beschlüssen. Der Außenhandelschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Volker Treier, sprach von einem wichtigen Signal. Das Bali-Paket könne der deutschen Wirtschaft einen Wachstumsimpuls von 60 Milliarden Euro pro Jahr bescheren. Mit derzeit über sieben Prozent Anteil an allen Exporten weltweit ist Deutschland die Nummer Drei in der Welt nach China und den Vereinigten Staaten. Hierzulande hängt fast jeder vierte Arbeitsplatz von der Exportwirtschaft ab.
Auch für die WTO selbst sei der erfolgreiche Abschluss der Verhandlungen fast schon überlebenswichtig gewesen, sagt Langhammer: "Sie wäre in der Bedeutungslosigkeit versunken, wenn sie kein Abkommen auf den Weg gebracht hätte." Denn schon seit sieben Jahren lagen die Verhandlungen auf Eis. In dieser Zeit habe die ganze Welt nur noch auf die Regionalabkommen geblickt, meint Langhammer, zum Beispiel auf die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU. Darauf werde der WTO-Abschluss aber keine Auswirkungen haben, ist Jürgen Matthes vom Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft überzeugt.
Erster Schritt der Entwicklungsagenda
Handelsexperte Langhammer glaubt, dass der Abschluss des Abkommens auch für weitere Verhandlungen der sogenannten Doha-Runde zukunftsweisend sein könnte. Das Bali-Paket ist ein Bestandteil der Entwicklungsagenda, die 2001 von den Wirtschafts- und Handelsministern der WTO-Mitgliedsstaaten angestoßen, aber schon 2006 ausgesetzt wurde. Ziel des Doha-Prozesses ist, die wirtschaftlichen Probleme von Entwicklungsländern in den Griff zu bekommen, indem sie einen leichteren Zugang zum Weltmarkt erhalten.
Ein Grundstein ist also mit den Beschlüssen in Bali gelegt. "Den großen Abschluss hat man noch vor sich", sagt Langhammer. "Jetzt haben wir aber ein Signal, um Schritt für Schritt in Einzelabkommen einzutreten. Über viele Jahre bekommen wir dann vielleicht ein Stückwerk von vielen Abschlüssen, das am Ende vielleicht als Doha-Runde verabschiedet werden kann."