Was bedeutet die extreme Hitze für das Mittelmeer?
10. August 2023Seit Wochen wird der Mittelmeerraum von extremer Hitze geplagt. Vielerorts brennen Wälder, aber die Hitze schadet nicht nur Menschen und Ökosystemen an Land, sondern auch den Meeresbewohnern.
Ende Juli wurde mit 28,7 Grad Celsius die bislang höchste Oberflächentemperatur im Mittelmeer gemessen, an einigen Stellen im östlichen Teil des Meeres lagen die Wassertemperaturen sogar deutlich über 30 °C. Und die Werte könnten noch steigen, denn üblicherweise werden die höchsten Meerestemperaturen im August erreicht.
"Die Hauptursache für die Zunahme der Hitzewellen im Meer ist zweifellos der globale Klimawandel, der zu einer Erwärmung der Ozeane führt", sagt Katrin Schroeder, Ozeanographin am Institute of Marine Science (ISMAR) beim italienischen National Research Council.
Warum sind hohe Meerestemperaturen ein Problem?
In wärmerem Wasser können sich weniger Gase wie Sauerstoff und Kohlendioxid lösen. Wird der Sauerstoff knapp, wird es für die Meeresorganismen schwieriger, zu atmen. Gerade in wärmerem Wasser aber müssten sie sogar mehr atmen, weil die höheren Temperaturen ihren Stoffwechsel beschleunigten, erklärt Diego Kersting, vom spanischen National Research Council (CSIC). Das aber werde durch die geringere Sauerstoffkonzentration im Wasser immer schwieriger.
Neben der Gefahr zu ersticken, droht vielen Meeresbewohnern durch die höheren Temperaturen auch der Hungertod. "Der Temperaturanstieg beschleunigt den Stoffwechsel, und die Organismen brauchen mehr Nahrung, um diese Stoffwechselrate aufrechtzuerhalten", so Kersting.
Zudem kommt es bei hohen Temperaturen häufig zu einer Blüte von Mikroalgen, bei der Giftstoffe in die Luft freigesetzt werden können.
Welche Arten und Ökosysteme leiden besonders unter der Meereshitze?
Vor allem Lebewesen am Meeresboden reagieren negativ auf die Folgen der höheren Wassertemperaturen - sogenannte benthische Arten, die festen Grund wie Felsen oder Sand brauchen. Dazu gehören unter den Tieren viele Korallenarten, Muscheln, Seesterne, Seeigel, und Schwämme sowie unter den Pflanzen vor allem bestimmte Seegräser. Der Grund: Festsitzende Arten können nicht einfach in besser geeignete Umgebungen abwandern, wenn ihre Wärmetoleranz überschritten ist.
"Wir hatten sehr komplexe Ökosysteme, die eine hohe Artenvielfalt beherbergten, und jetzt verlieren wir sie, zumindest in den flachen Gewässern", sagt Joaquim Garrabou, leitender Wissenschaftler am Institute for Marine Sciences (ICM) der CSIC. Bereits im vergangenen Jahr habe man ein Massensterben unter den benthischen Arten an tausenden Kilometern der Küstenlinie beobachtet.
Viele der betroffenen Arten spielen eine ähnliche Rolle wie etwa Bäume oder Büsche an Land: Viele andere Arten, an Land etwa Vögel oder Insekten, brauchen sie, um in ihnen zu leben. Im Meer dienen vor allem bestimmte Weichkorallen, Seegräser und Makroalgen als Lebensraum.
Besonders Posidonia oceanica, das sogenannte Neptungras, leide stark unter der Hitze, erklärt Pedro Beca-Carretero vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen. Das große, langsam wachsende Seegras kommt nur im Mittelmeer vor. Vorherige marine Hitzewellen haben bereits dazu geführt, dass es an verschiedenen Orten des Meeres massiv zurückgegangen ist und sich teilweise nicht wieder erholt hat.
Und mit dem Neptungras geht ein wichtiger Helfer im Kampf gegen den sich beschleunigenden Klimawandel verloren. "Diese Art ist für den Menschen von besonderer Bedeutung, da sie als wichtige natürliche Kohlenstoffsenke dient und mehr Kohlenstoff pro Quadratmeter speichert als Waldökosysteme, was sie zu einem der effektivsten Ökosysteme für die langfristige Kohlenstoffspeicherung macht", so Beca-Carretero.
Wer sind die "Hitzegewinner" im Mittelmeer?
Zum einen zählen Quallen zu den Gewinnern des Klimawandels. Sie profitieren von den höheren Temperaturen ebenso wie von Nährstoffen, die von der bewohnten Küste oder der Landwirtschaft in die Meere eingetragen werden. Weil es durch den Wegfall von Lebensraum, aber auch durch Überfischung weniger Fische gibt, fehlen zudem Fressfeinde. Wenn Wasserströmungen die Tiere zusammentreiben kommt es daher im Mittelmeer immer wieder zu regelrechten "Quallenschwemmen".
Zum anderen beherbergt das Mittelmeer laut Diego Kersting vom CSIC die meisten eingeschleppten Arten der Welt - geschätzt etwa 1000 nicht heimische Arten lebten bereits darin. "Obwohl die Einschleppung invasiver Arten nicht unbedingt mit dem Klimawandel und den steigenden Temperaturen zusammenhängt, begünstigen diese Bedingungen eindeutig viele eingeschleppte Arten, die aus wärmeren Meeren stammen."
Und das hat Konsequenzen. So ernährt sich der eingeschleppte Kaninchenfisch (Siganus) zum Beispiel von Makroalgen - und verändert damit die Meereslandschaften und Ökosysteme im östlichen Mittelmeer. Wo es früher dichte Algenwälder gab, gibt es jetzt Unterwasserwüsten. "Das hat zur Folge, dass die Arten, die normalerweise in den Algenwäldern leben – und die Arten, die sich von diesen ernährt haben – dort nicht mehr leben können", erklärt Joaquim Garrabou.
Welche Auswirkungen hat die Hitzewelle im Mittelmeer auf die Menschen?
Die Erwärmung des Mittelmeers wirkt sich in vielerlei Hinsicht auf menschliche Aktivitäten aus: Die Fischer fangen nicht mehr die Arten, die sie früher gefangen haben, sondern invasive Arten, die sie nicht verkaufen können, weil die Menschen nicht gewohnt sind, sie zu essen. "Kaninchenfische und Rotfeuerfische sind essbar, aber andere invasive Fische sind es nicht – oder sogar giftig, wie die Kugelfische", so Garrabou.
Zudem könnten die Lebensraumverluste zu einem Rückgang der Fischerei insgesamt führen, und die abnehmenden Seegrasbestände könnten die Küsten künftig weniger gut vor Stürmen schützen. Und nicht zuletzt leidet der Tourismus, etwa wenn wegen der verarmten Unterwasserlandschaft keine Tauchbegeisterten mehr kommen.
Was hilft gegen den Hitzestress im Meer?
Alle Forschenden sind sich einig: Der erste Schritt zur Rettung der mediterranen Ökosysteme besteht darin, dass der Mensch den Ausstoß von Treibhausgasen stoppen muss.
"Grundsätzlich kann man die Lebensräume des Mittelmeers nicht direkt gegen Hitzestress schützen, aber man kann sie stärker gegen den Hitzestress machen", sagt Christian Wild, Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie an der Universität Bremen. Ein wichtiger Schritt dabei sei, das Algenwachstum zu bekämpfen, das durch Nährstoffeinträge aus der Landwirtschaft, dem Tourismus und Industrie und Siedlungen an der Küste vorangetrieben wird.
Hoffnung auf eine Verbesserung macht Joaquim Garrabou vor allem das von den Vereinten Nationen ausgegebene Ziel, bis 2030 insgesamt 30 Prozent der Ozeane zu schützen. Denn derzeit seien im Mittelmeer nur etwa acht Prozent der Fläche geschützt.
"Vor allem müssen wir die Zahl der streng geschützten Gebiete erhöhen, in denen man weder fischen, noch tauchen, noch mit dem Boot fahren darf." Auch wenn Meeresschutzgebiete das Wasser nicht kühler machen könnten, "sehen wir, dass sich streng geschützte Gebiete schneller und besser von menschlichen Störungen erholen." Laut den Forschenden reicht es aber nicht aus, Schutzgebiete auszuweisen - sie müssen auch richtig verwaltet werden. Derzeit aber fehle in vielen Schutzgebieten ein gutes Management.
Auch manche neuen Bewohner des Mittelmeeres könnten im sich verschärfenden Klimawandel nützlich sein. So kommt das tropische Seegras Halophila stipulacea Ascherson, das ursprünglich im Roten Meer beheimatet ist, mit steigenden Temperaturen und Salzgehalten besser zurecht, als andere Seegräser. Daher könnte diese invasive Art möglicherweise dazu beitragen, "dass Seegraswiesen in einem kleineren Teil des Mittelmeers überleben und weiterhin einige ihrer wesentlichen Ökosystemleistungen erbringen können", sagt Pedro Beca-Carretero.
Möglicherweise gibt es auch Hoffnung für das einheimische Neptungras. Studien zeigen, dass die Pflanzen besser mit den steigenden Temperaturen im Mittelmeer zurechtkommen, wenn sie als junge Pflanzensetzlinge absichtlich Hitze ausgesetzt wurden.
Redaktion: Jennifer Collins