Was neue EU-Visaregeln für Afrika bedeuten
22. Mai 2020Verwandte besuchen, ein Konzert geben, an einer Konferenz teilnehmen: Wer aus Afrika kommt und nur mal kurz nach Europa möchte, braucht meist ein sogenanntes Schengen-Visum. Es gilt in 26 europäischen Ländern, ist bis zu drei Monate gültig und sehr begehrt. 2019 stellten die EU-Mitgliedsländer über 15 Millionen Visa aus. Fast 17 Millionen Anträge gingen ein, zehn Jahre zuvor waren es knapp über 10 Millionen. Wer ein Visum bekommt und wie das Antragsverfahren abläuft - diese Regeln hat die EU vor zehn Jahren beschlossen. Viel zu lange her, meint die EU: "Wir mussten die Regeln aktualisieren, damit sie nicht mehr so umständlich sind und zugleich aber ein hohes Maß an Sicherheit gewährleistet bleibt", sagt EU-Sprecher Adalbert Jahnz der DW.
Seit Februar gelten daher neue Regeln. Einige Antragsteller dürften sich freuen: Visa können nun sechs statt bisher erst drei Monate vor Reisebeginn beantragt werden. Auch Mehrfachvisa sollen nach EU-Angaben einfacher zu beantragen sein. Die erlauben Reisenden, innerhalb von bis zu fünf Jahren immer wieder in die EU einzureisen. Anträge sollen nicht mehr auf Papier, sondern auch elektronisch gestellt werden können.
"Die neuen Regelungen machen es für Antragsteller aus Afrika einfacher - einerseits", sagt Amanda Bisong zur DW. Doch die Migrationsexpertin aus Nigeria kennt auch das Andererseits. Die Visa werden teurer: Statt 60 Euro kostet der begehrte Aufkleber im Pass künftig 80. Erstmals hängt die Visa-Erteilung auch damit zusammen, ob das Heimatland eines Antragstellers bei der Rücknahme abgeschobener Migranten mit der EU kooperiert. "Wenn dieser Mechanismus aktiviert wird, könnten die Ablehnungsraten für Anträge aus Afrika steigen", warnt Bisong.
Ein Druckmittel mehr
Denn die EU-Mitgliedsländer werfen einigen afrikanischen Staaten vor, sogenannte Rücknahmen immer wieder zu verzögern - zum Beispiel, indem sie die benötigen Reisedokumente nicht ausstellen. Bei Afrika-Reisen von Bundeskanzlerin Angela Merkel beispielsweise steht das Thema fast immer auf der Tagesordnung. Mit den neuen Visa-Regeln haben Länder wie Deutschland nun ein Druckmittel mehr. Die EU-Kommission soll künftig in regelmäßigen Untersuchungen bewerten, wie kooperativ einzelne afrikanische Staaten sind. Wer dabei nicht gut wegkommt, kriegt Probleme. Die EU droht damit, Anträge aus diesen Ländern länger zu bearbeiten, die Gebühren noch weiter anzuheben oder die Gültigkeit der Visa zu begrenzen.
"Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass auch eine restriktivere Umsetzung mancher Regeln nicht die grundsätzliche Möglichkeit infrage stellt, ein Visum zu beantragen und zu bekommen", versucht EU-Sprecher Jahnz zu beschwichtigen. Außerdem bietet die EU neben der Peitsche auch ein Zuckerbrot: Wer aus Brüsseler Sicht seine Hausaufgaben macht, bekommt eine Belohnung. Für Staatsbürger dieser Länder könnten Visagebühren sinken und Anträge schneller bearbeitet werden.
"Hürden werden höher"
Was bedeutet das für den einzelnen Antragsteller? "Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass Geschäftsleute, Künstler, Angehörige der politischen Elite mit großer Wahrscheinlichkeit weiterhin Visa bekommen, weil es im europäischen Interesse liegt, den ökonomisch-politischen Austausch weiter zu pflegen", sagt der Osnabrücker Migrationsforscher Jochen Oltmer im DW-Interview. "Für Menschen, die aus Sicht der europäischen Interessen weniger wichtig sind, dürften die Hürden dagegen deutlich höher werden."
Denn fraglich bleibt, ob afrikanische Regierungen dem Druck aus Brüssel nachgeben. "Viele Länder sind abhängig von den Rücküberweisungen von Migranten, auch aus der EU", sagt Amanda Bisong. 2019 flossen so 48 Milliarden US-Dollar aus aller Welt nach Afrika. Auch viele illegale Migranten schicken der Familie zuhause regelmäßig Geld.
Außerdem sind auch afrikanische Regierungen nicht immer gut auf die europäischen Partner zu sprechen: "Für afrikanische Regierungen ist wichtig, dass die EU sich an diverse bilaterale und multilaterale Vereinbarungen hält. Wenn die EU bestimmten Verpflichtungen nicht nachkommt, wird es aus afrikanischer Perspektive als mangelnde Kooperation gesehen. Entsprechend gering ist das Interesse, beim Thema Rücknahmen zusammenzuarbeiten", so Bisong.
Und so könnte das neue Druckmittel wirkungslos bleiben - es den afrikanischen Reisenden aber trotzdem schwerer machen, Europa zu besuchen.