Die EU im Gerangel um die Gunst Afrikas
27. Februar 2020Kaum in ihr Brüsseler Büro eingezogen, setzte sie sich die neue EU-Kommissionspräsidentin Anfang Dezember schon in den Flieger nach Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens. Es ist hoch symbolisch, dass Ursula von der Leyen den afrikanischen Kontinent als Ziel für ihre erste offizielle Reise außerhalb Europas wählte. Im Februar folgte EU-Ratspräsident Charles Michel ihrem Beispiel. Und an diesem Donnerstag wird von der Leyen mit ihrer gesamten Kommission im Anhang die Kommissare der Afrikanischen Union (AU) treffen - wiederum in Addis Abeba, dem Hauptsitz der AU.
Die Botschaft ist unmissverständlich: Der EU ist der afrikanische Kontinent wichtig. Bei ihrem letzten Besuch pries von der Leyen "die wirkliche Partnerschaft auf Augenhöhe" zwischen der EU und den Staaten der Afrikanischen Union. Sie wäre nicht hergereist, um einen "umfassenden Plan" für Afrika zu präsentieren, sondern, in erster Linie um zuzuhören.
"Die Zeiten ändern sich"
Von der Leyen will weg von einer Partnerschaft, die auf einseitiger Entwicklungshilfe basiert, hin zu einer Beziehung, die wirtschaftliche und politische Interessen im Fokus hat.
Das ist aus Sicht von Michelle Ndiaye vom "Institute for Peace and Security Studies" (IPSS) der Addis-Ababa-University, ein gutes Ziel. Es sei richtig, nicht mehr länger hauptsächlich auf Entwicklung zu setzen, sondern auf Investitionen und auf wirtschaftliche Zusammenarbeit. Afrikanische Staaten müssten dafür nun geeignete politische Bedingungen schaffen. Gleichzeitig sei es aber wichtig, dass man in Europa ganz grundsätzlich die Haltung ändere: "Es existiert immer noch eine Tendenz, auf Afrika als Kontinent zu blicken, der immer 'ja' sagt - egal, was Europa zu bieten hat." Die Zeiten änderten sich, eine neue Generation von Staatschefs verstünde die Interessen ihrer Länder, sagt Ndiaye.
Interessen, die andere Länder längst für sich zu nutzen wissen. Zwar ist die EU der größte Handelspartner Afrikas, doch China investiert überall auf dem Kontinent, Russland hat sich inzwischen auch wieder ins Spiel gebracht. Das beste Beispiel für diese Entwicklung ist der 200-Millionen-Dollar teure Hauptsitz der AU in Addis Abeba: Das Bauprojekt wurde gesponsert vom chinesischen Staat.
Die Tatsache, dass Ursula von der Leyen schon zum zweiten Mal in so kurzer Zeit nach Äthiopien zur Afrikanischen Union reist, zeige, dass die EU nervös werde, sagt Geert Laporte von der Brüsseler Denkfabrik "European Centre for Development Policy Management" (ECDPM). Am "Gerangel um Afrika" seien viele Weltmächte beteiligt. "Afrika hat im Moment eine große Auswahl, wenn es um Partner geht, und Europa sollte sich wirklich überlegen, wo es einen Mehrwert bringen kann."
An einem Strang ziehen?
Laporte kritisiert, dass der EU eine einheitliche Strategie fehlt, was Afrika betrifft. Die Verhandlungen über einen Nachfolger für das sogenannte Cotonou-Abkommen stocken. Diese Vereinbarung regelt die Beziehungen in Sachen handel und Politik zwischen der EU und den AKP-Staaten, einer Gruppe aus afrikanischen, karibischen und pazifischen Nationen, größtenteils ehemalige Kolonien europäischer Mächte. Gleichzeitig soll aber auch die gemeinsame Afrika-EU-Strategie die Europäische und die Afrikanische Union enger zusammenschweißen. "Das zeigt, wie schwierig es für die EU ist, ein glaubwürdiger geopolitischer Akteur zu sein, wenn wir es nicht einmal schaffen, Doppelungen zu vermeiden", sagt Laporte.
Eine Analyse, die von der Leyen nicht gefallen dürfte. Bei ihrem Amtsantritt hatte sie eine geopolitische Ausrichtung ihrer Kommission angekündigt und sogleich ihrer Kommissarin für Internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, aufgetragen, an einer "neuen, umfassenden Strategie mit Afrika" zu arbeiten.
Zu dieser Strategie gehört auch der Umgang mit den Menschen, die vom afrikanischen Kontinent nach Europa streben, die für diesen Wunsch oft lebensgefährliche Routen über das Mittelmeer in Kauf nehmen. Wenn die Partnerschaft zwischen der EU und Afrika tatsächlich neue Gestalt annehmen soll, müssen beide Kontinente dafür Lösungen finden, mit denen beiden Seiten zufrieden sein können. Bisher überwiegt der Wille Europas, sich abzuschotten und die Menschen, die nicht bleiben dürfen, schnellstmöglich zurückzuschicken.
Michelle Ndiaye vom IPSS in Addis Abeba sagt, aus afrikanischer Perspektive bedeute Migration erst einmal Mobilität - und nicht die Annahme, dass eine "natürliche Selektion" auf der Basis von wirtschaftlichen oder politischen Gründen erfolgen sollte. Wenn Europa wirklich behauptet, ein offenes Ohr für das zu haben, was Afrika will, dann sollten wir nicht nur darüber reden, unsere Grenzen zu schützen, sondern auch zum Beispiel über legale Wege diskutieren, wie Menschen aus Afrika nach Europa kommen können, so Geert Laporte vom Brüsseler ECDPM.
Das Treffen der EU-Kommissare mit ihren Kollegen von der AU in Addis Abeba wird nun zeigen, ob die beiden Kontinente ein neues Kapitel in ihren Beziehungen aufschlagen wollen. Oder ob die vielen Reisen südwärts doch nur Beweis sind für mehr Show als Substanz.