Legal nach Europa - auch ohne Asylgrund
20. November 2019Der Bedarf ist da für Pfleger im Krankenhaus, Reinigungskräfte im Büro oder Bauarbeiter auf der Baustelle. Legale Migranten ohne höhere Qualifizierung könnten in den verschiedensten Sparten arbeiten. Das passiert aber in Deutschland und anderen europäischen Ländern bisher kaum, sagt die Studie "Legale Wege nach Europa" des Sachverständigenrates deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR). Untersucht wurden legale Migrationswege nach Deutschland, Spanien, Italien, Frankreich und Schweden.
Im Fokus der Studie stehen die Aussichten für Menschen mit geringer oder mittlerer Qualifikation aus afrikanischen Ländern, in denen kein Krieg herrscht, es also keinen Asylgrund gibt. "Unsere Frage war: Gibt es legale Alternativen für diese Menschen, in Europa zu arbeiten oder eine Ausbildung zu absolvieren, statt irregulär auszuwandern?" sagt Karoline Popp, Mitautorin der Studie und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration. Die knappe Antwort lautet: nur in Ausnahmefällen.
Einsatzort Saisonarbeit
Einer dieser Ausnahmefälle ist die Saisonarbeit. Während Deutschland beispielsweise Erntearbeiter vor allem aus dem EU-Ausland rekrutiert, sind Frankreich, Spanien und Italien stark auf Arbeiter aus Drittstaaten angewiesen. Im vergangenen Jahr lag die Zahl der erstmaligen Aufenthaltstitel für Saisonarbeiter in Spanien bei fast 14.000.
In Italien liegt die offizielle Zahl über 5500. Allerdings dürfte die Zahl der tatsächlichen Saisonarbeiter noch um einiges höher liegen. Denn Italien beschäftigt die Arbeiter in Form von Kontingenten. Statt dieses oft langwierige Verfahren zu nutzen, greifen Arbeitgeber häufig auf illegale Migranten zurück, die schon im Land sind - auch wenn diese keine Papiere haben. So geht eine der wenigen Optionen für legale Migration durch die Hintertür verloren.
Ziellose Politik
Abseits der saisonalen Arbeit gibt es in den untersuchten europäischen Ländern nur wenige Möglichkeiten der legalen Migration. Die SVR-Studie liefert auch eine Begründung dafür: "Es gibt verschiedene Gründe, warum legale Migration sinnvoll ist. Es bleibt allerdings oft unklar, welcher Grund nun verfolgt wird", sagt Popp.
Stattdessen sollten die Gründe transparenter kommuniziert und miteinander verbunden werden. Denn je nachdem, warum ein Staat legale Migration zulässt, ändert sich die Stoßrichtung der Maßnahmen. Ist der Grund, den Bedarf am Arbeitsmarkt zu decken, müssten Bedarfsanalysen verfasst und schnellere Verfahren eingeführt werden. Ist das Ziel aber, irreguläre Migration zu bekämpfen, müsste zunächst erfasst werden, wer bereits im Land ist, und dann auf das Herkunftsland passende Maßnahmen ergriffen werden. Weil diese Gründe nicht klar voneinander getrennt werden, "agiert die Politik häufig nicht zielführend", sagt Popp.
Kampf gegen irreguläre Migration
Dabei wird legale Migration immer wieder als bewährtes Mittel gegen irreguläre Migrantenströme angesehen. So deutete die designierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen an, das EU-Asylsystem dahingehend zu reformieren, mehr legale Möglichkeiten für Migration zu schaffen. Und bereits 2016 hielt die EU im Rahmen von Migrationspartnerschaften die "Eindämmung der irregulären Migrationsströme bei gleichzeitiger Eröffnung legaler Migrationswege" als eine von vier vorrangigen und unverzüglichen Maßnahmen fest. Ob die legale tatsächlich die illegale Migration bekämpfen hilft, ist laut SVR-Studie wissenschaftlich sehr schwer nachzuweisen.
Einen Zusammenhang gebe es aber wohl in jedem Fall. Das zeigt auch das Beispiel der Westbalkan-Regelung in Deutschland. Nachdem 2014 und 2015 im Zuge des Flüchtlingsstroms auch viele Menschen aus den sechs Balkanstaaten ohne Chancen auf Asyl nach Deutschland kamen, ergriff die Bundesregierung eine Reihe von Maßnahmen. Dazu zählte neben der Anerkennung der Staaten als sichere Herkunftsländer auch eine Aussicht auf legale Migration mit einem Arbeitsplatz. Erste Analysen legen nahe, dass die Maßnahmen gewirkt haben und hier tatsächlich eine Umwandlung von irregulärer in legale Migration gelungen sein könnte.
Verschiedene Wege, gleiches Ergebnis
Bei der Westbalkan-Regelung hat sich Deutschland an Schweden orientiert. Im Unterschied zu den anderen untersuchten Ländern verfolgt Schweden bei der legalen Migration einen Ansatz, der sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes orientiert. Jeder darf nach Schweden einwandern, solange der Bedarf da ist. Voraussetzung ist ein Arbeitsvertrag. Wer gebraucht wird, bestimmen also die Arbeitgeber.
Deutschland, Spanien, Italien und Frankreich wenden einen stärker steuernden Ansatz an. Kontingente, Arbeitsmarktprüfungen und bilaterale Abkommen entscheiden über den Bedarf an legaler Zuwanderung. In allen Fällen kommt die SVR-Studie jedoch zu dem selben Ergebnis: "In den meisten Ländern werden hochqualifizierte gegenüber gering- und mittelqualifizierten Arbeitskräften bevorzugt." Es sind aber genau jene Menschen mit geringer Ausbildung, die ihr Heil in der illegalen Migration suchen.