Antikes Palmyra - verminte Schönheit
13. April 2016Ich kriege weiche Knie. Vor Ehrfurcht. Ich stehe vor den Anfängen der Zivilisation. Und ehrlich gesagt, interessiert es mich zuerst nicht so sehr, was vom IS zerstört wurde, was von Plünderern, die sich an Skulpturen der Grabarchitektur zu schaffen machten, und was durch die jahrtausendealte Menschheitsgeschichte einfach von alleine kaputt ging - die Ruinen sehen einfach grandios aus! Golden im strahlenden Sonnenlicht der syrischen Wüste vor dem wolkenlosen blauen Himmel. Das Stadttor, das Amphitheater, die weltberühmten Säulen aus den ersten Jahrhunderten nach Christus. Weltkulturerbe. Friedlich und schön.
Es ist still, kein Wind, nur das Klacken der Fotoapparate mitreisender Reporter ist zu hören. Wir sprechen leise miteinander. Wir sind die ersten Journalisten, die Palmyra besuchen. Zusammen mit der russischen Armee, die uns auf diese Tour mitnehmen.
Minen überall, selbst unter dem Asphalt
Weiche Knie kriege ich aber auch vom Gefühl, es könnte jederzeit knallen. Wenn einer von uns einen Schritt zu weit macht, nach links oder rechts, außerhalb der gesicherten Pfade. Denn Palmyra ist vermint und das Begehen der antiken Stadt ist gefährlich. Lebensgefährlich. In Deutschland hätte ich bestimmt etliche Versicherungspapiere unterschreiben müssen - "Betreten auf eigene Gefahr" - die Russen scheinen da gelassener, warnen uns aber trotzdem: "Ich habe fünf Kriege mitgemacht", gesteht Igor Konaschenkow, Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, "aber so etwas habe ich noch nie erlebt. Die Minen sind überall: in den Wänden, an den Decken, am Boden und sogar in der Erde vergraben und mit Steinen und einer Asphaltdecke verdeckt."
Achtzig Prozent der Ruinen sind in gutem, das heißt in ursprünglichem Zustand, beruhigen die Experten. Aber diese achtzig Prozent können innerhalb einer Minute in die Luft fliegen, wenn die Minenräumer nur einen einzigen Fehler machen. Ein Dutzend Männer in dunkelgrünen Overalls, mit Helmen und Schutzbrillen, bewegen sich wie Astronauten auf dem Mars. Langsam, in kleinen Schritten tasten sie sich mit ihrer Ausrüstung vor. Zentimeter für Zentimeter. Das sind russische Minenräumer, sie haben einen Hund dabei und einen Roboter im Einsatz, der sich von allein bewegt. "Mit dem Hund ist es nicht so einfach" - erklärt Leutnant Alexej Makarenko, Leiter der Einheit der Minenräumer. "Zu heiß ist die Luft, zu groß der plötzliche Temperaturanstieg. Die Hunde kamen aus dem kalten Russland direkt in die Wüste. Wir Menschen gewöhnen uns schneller dran."
Zutiefst dankbarer Museums-Direktor
Dr. Ahmad Deeb, Leiter der Museumsbehörde der Stadt Palmyra, kommt. Ein rundlicher Mann, Anfang 60, mit Kappe und Schnurrbart. Mein erster Gedanke: Der Mann ist am Leben. Sein Kollege, Khaled Asaad, Chef-Archäologe der historischen Oasenstadt ist es nicht mehr. Er wurde im August 2015 von der Terrormiliz "Islamischer Staat" enthauptet. Khaled Asaad soll vor Dutzenden Zuschauern auf einem öffentlichen Platz des Ortes getötet worden sein. Ein bestialischer Mord. Der Archäologe war nicht der Einzige, der im Namen des Islam ermordet wurde. Im Namen der missbrauchten Religion.
Dr. Ahmad Deeb dankt den Russen und hält eine kurze, blumige Rede. Ohne die russische Armee wäre die Perle der Wüste nie wieder aufgeblüht. Der Beamte ist aufgeregt. Ich kann ihn verstehen.
Zwischen Trauma und Hoffnung
Wir verlassen die antike Stadt nach drei Stunden wieder. Unterwegs nach Palmyra-City. "Unsere Soldaten erfüllen hier nicht nur eine militärische, sondern auch eine kulturelle und, wenn Sie so wollen, humanitäre Mission", sagt unterwegs im gepanzerten Fahrzeug Generalmajor Konaschenkow. "Wir geben der Menschheit das zurück, was sie vor Jahrtausenden geschaffen hat." Klingt pathetisch, stimmt aber. Die Russen schaffen hier Fakten. Und Fakt ist, dass Palmyra frei ist.
Aber diese Freiheit können die Menschen in Palmyra-City nur bedingt genießen. Als wir ankommen, sammeln sich auf dem Marktplatz etwa zweihundert Mann. Sie haben müde, erschöpfte Gesichter, von Einschüchterung und Folter durch den IS traumatisiert. Manche kehren zurück und erkennen die geschundene Stadt nicht wieder, die anderen lebten hier unter dem IS und mussten zusehen, wie ganze Viertel dem Erdboden gleichgemacht wurden. Auch hier liegen noch sehr viele Minen.
70.000 Einwohner zählte Palmyra einst. 15.000 haben das eine Jahr IS-Besatzung überlebt. Doch können sie hier überhaupt eine Perspektive haben? "Wir brauchen nur drei Monate, um alle städtischen Einrichtungen wieder ans Laufen zu bringen", versichert der Bürgermeister. Links vor ihm klettert ein Mann auf einen Strommast. Strom ist das Wichtigste. "Wenn der da ist, fließt hier wieder Leben!", lächelt einer der Bewohner mir entgegen. Inshallah! So Gott will.