USA sanktionieren Firmen mit Xinjiang-Verbindung
24. Dezember 2021Seit langem war in Washington immer wieder um das Gesetz gerungen worden, bis es im Dezember vom US-Kongress einstimmig verabschiedet wurde. Mit der Unterschrift von US-Präsident Joe Biden wird jetzt das Gesetz scharf gestellt, das Chinas Zwangsmaßnahmen gegen die Minderheit der Uiguren im Westen Chinas sanktionieren soll.
Schon im Vorfeld hatte China vor der Verabschiedung des US-Gesetzes gewarnt, das auf Unternehmen mit Geschäftsverbindungen in die Uigurenprovinz Xinjiang zielt. Nach den Regeln des Uyghur Forced Labor Prevention Act (UFLPA) dürfen Unternehmen künftig nur noch Produkte in die USA importieren, die nachweislich ohne den Einsatz von Zwangsarbeit "abgebaut, produziert oder hergestellt wurden".
Umkehr der Beweislast
Neu im Gesetz ist die juristische Formulierung der "rebuttable presumption", der "widerlegbaren Vermutung", die praktisch die Beweislast umkehrt. Künftig gehen die US-Behörden davon aus, dass bei Produkten aus Xinjiang Zwangsarbeit im Spiel ist und diese Vermutung muss vor der Wareneinfuhr in die USA erst widerlegt werden. Es kommt damit nicht mehr darauf an, dass man einem Unternehmen nachweist, dass es von der Zwangsarbeit von Uiguren oder Angehörigen anderer ethnischer Minderheiten in der Uigurischen Autonomen Region Xinjiang (XUAR) profitiert: Das Unternehmen muss beweisen, dass das nicht der Fall ist.
Bisher gab es bereits ein US-Importverbot für Tomatenprodukte und Baumwolle aus Xinjiang. Aus der autonomen Region stammen mehr als 80 Prozent der in China produzierten Baumwolle. Das Bündnis End Uyghur Forced Labour, zu dem sich mehr als 180 NGOs zusammengeschlossen haben, geht davon aus, dass jedes fünfte Baumwollprodukt, das weltweit im Umlauf ist, indirekt oder direkt durch Zwangsarbeit von Menschen aus der Region Xinjiang entsteht.
Mittlerweile verbinden viele Menschen außerhalb Chinas mit dem Namen Xinjiang die Unterdrückung der uigurischen und anderer ethnischen und religiösen Minderheiten im Westen Chinas durch die Staats- und Parteiführung in Peking. Mehr als eine Million Menschen sollen von den chinesischen Behörden in Umerziehungslagern zwangsinterniert worden sein, die von Peking verharmlosend als Berufsbildungszentren bezeichnet werden. Hunderttausende Menschen sollen zur Zwangsarbeit verpflichtet werden, zum Teil auch in anderen Teilen der Volksrepublik. Die Bandbreite reicht von der Textilindustrie bis zu Herstellern von Komponenten für die Solarindustrie.
Exporte in die USA betroffen
Für einige deutsche Unternehmen, die in der Region produzieren, wird das neue US-Gesetz zunächst keine Auswirkungen haben. Die Autos, die etwa im Volkswagen-Werk in Xinjiang gebaut werden, sind für den chinesischen Markt bestimmt. Der weltgrößte Chemiekonzern BASF produziert an einem Standort am Rand der Taklamakan-Wüste chemische Zwischenprodukte. Weil sich nach Recherchen des Australian Strategic Policy Institute in unmittelbarer Nähe des Werks mehrere Internierungslager befinden, geriet BASF immer wieder in Erklärungsnot. Der Dax-Konzern aus Ludwigshafen hat aber immer wieder unterstrichen, dass es im BASF-Werk keine Zwangsarbeiter gebe, zuletzt gegenüber dem ARD-China-Korrespondenten Steffen Wurzel bei einem Besuch vor Ort im Sommer 2021.
Unternehmen zum Handeln gezwungen
Auf Anfrage der Deutschen Welle versichert auch der deutsche Sportartikelhersteller PUMA, nach dem Bericht des Australian Strategic Policy Institute alle Lieferketten genau überprüft zu haben. "Wir möchten an dieser Stelle noch einmal betonen, dass PUMA weder direkt noch indirekt Geschäftsbeziehungen zu Herstellern in Xinjiang unterhält."
Eine entsprechende Anfrage der DW an Hugo Boss blieb unbeantwortet. Gegen den Bekleidungskonzern aus dem baden-württembergischen Metzingen und andere deutsche Unternehmen aus der Textilbranche wurde im September 2021 von der Berliner Nichtregierungs-Organisation European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) ein Strafverfahren angestrengt. Mit der Strafanzeige fordert das ECCHR den für Völkerstraftaten zuständigen Generalbundesanwalt auf, "die mögliche Verantwortlichkeit des Managements deutscher Textilmarken und Händler für mutmaßliche Zwangsarbeit in Zulieferbetrieben in der chinesischen Region Xinjiang zu untersuchen".
Federführend ist dabei die Rechtsanwältin Miriam Saage-Maaß, die beim ECCHR den Bereich Wirtschaft und Menschrechte leitet, und bereits gegen Lidl und KiK juristisch vorgegangen ist.
Umdenken bei US-Branchenverbänden
Seit klar ist, dass es in den USA zu einer Gesetzesverschärfung kommen würde, haben zahlreiche US-Unternehmen und ihre Dachverbände Besserung geschworen. In einem gemeinsamen Statement der US-Verbände American Apparel, Footwear Association, National Retail Federation, Retail Industry Leaders Association, U.S. Fashion Industry Association und NAFTZ (National Association of Foreign-Trade Zones) haben Ende Dezember amerikanische Branchenverbände ihre Entschlossenheit bekräftigt, "hartnäckig und unerbittlich" dabei mitzuwirken, Zwangsarbeit in ihren Lieferketten zu "eliminieren". Eine solche Entschlossenheit hat Miriam Saage-Maaß bei deutschen Verbänden und Herstellern mit Zulieferern in Xinjiang bislang noch nicht erkennen können. "Bisher haben sich deutsche Hersteller nicht so vollmundig positioniert. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) war aber in letzter Zeit für seine Verhältnisse erstaunlich klar", sagte die ECCHR-Juristin gegenüber der DW.
Umdenken beim BDI?
Im vergangenen Juli hatte BDI-Präsident Siegfried Russwurm mit dem früheren grünen Umweltminister Jürgen Trittin über Wirtschaft und Werte diskutiert. Im Mittelpunkt stand die Frage nach einem neuen Kurs für eine "verantwortungsvolle Koexistenz mit Autokratien".
Miriam Saage-Maaß sieht die Rolle mancher deutscher Unternehmen in Menschenrechtsfragen nach wie vor kritisch, vor allem, wenn es um die Argumentation von Konzernen wie Hugo Boss geht. Hugo Boss beziehe nach eigenen Angaben Waren von einer großen chinesischen Firma, die als vertikal integriertes Unternehmen alles liefert, von der Baumwoll-Saat bis zum fertigen Oberhemd, und zwei Standorte in der XUAR hat, so die Rechtsanwältin. "Aber Hugo Boss sagt, es sei ihnen zugesichert worden, dass ihre Produkte nicht aus der XUAR kommen. Das finde ich so nicht besonders überzeugend. Aus meiner Sicht müsste Hugo Boss mehr tun", unterstreicht Miriam Saage-Maaß.
Auf dem US-Markt dürften Unternehmen, deren Lieferketten nach Xinjiang reichen, jedenfalls schon in absehbarer Zeit Probleme bekommen - auch deutsche Firmen.
Unternehmen in der Zwickmühle
Denn nach Informationen der US-Wirtschaftskanzlei Morgan Lewis, die international tätige Konzerne betreut und an Standorten rund um den Globus vertreten ist, tickt durch das Uyghur Forced Labor Prevention Act die Uhr. "Diejenigen, die Waren in die Vereinigten Staaten importieren wollen, haben ab Inkrafttreten des UFLPA 180 Tage Zeit, um sicherzustellen, dass ihre Lieferketten nicht mit der XUAR in Berührung kommen."
Außerdem warnen die Wirtschaftsanwälte von Morgan Lewis, dass die chinesische Regierung als Reaktion auf das UFLPA mit Gegensanktionen gedroht habe.
Doch nicht nur staatliche Sanktionen der Regierung in Peking drohen. Daneben müssen ausländische Unternehmen mit Boykott-Aufrufen in China rechnen. Einen Vorgeschmack bekam die schwedische Modekette H & M, nachdem sie sich von Menschrechtsverletzungen in Xinjiang distanziert hatte. Daraufhin fegte ein Sturm der Entrüstung durch die sozialen Netzwerke Chinas, in denen zu einem Boykott gegen H & M aufgerufen wurde.
Gerade erst traf die Wut den US-Hightech-Konzern Intel, nachdem der Chipkonzern öffentlich betont hatte, die Regeln des neuen Gesetzes strikt einzuhalten.
Drohungen aus China
Chinesische User hatten daraufhin auf dem chinesischen Weibo-Account von Intel wütend reagiert. Der Tenor: Während das Unternehmen in China jede Menge Geld verdient, habe Intel China beleidigt. "Solch ein Unternehmen sollte Schmerzen zu spüren bekommen", hieß es.
Der Ex-Chefredakteur des Sprachrohrs der kommunistischen Partei Global Times, Hu Xijin, der sich erst Mitte Dezember in den Ruhestand verabschiedet hatte, meldete sich mit einer Warnung zu Wort. Intel wolle damit der US-Regierung einen Gefallen tun. Der Chipkonzern habe offenbar wenig Angst vor der Rache Chinas, schrieb er, weil das Land immer noch abhängig von den Produkten des Unternehmens sei. Man solle den Vorfall "in ein Notizbuch eintragen", forderte Hu Xijin. "Und je stärker China künftig wird, desto mehr Möglichkeiten werden wir haben, um uns dafür zu rächen."