Wandern, Surfen, Campen - wirklich nachhaltig?
20. August 2021Mit der Bahn zum Wanderausflug, mit dem Auto statt dem Flieger in den Urlaub - viele Menschen wollen sich auch in ihrer Freizeit möglichst umweltfreundlich verhalten. Doch nicht alles, was wir für nachhaltig halten, ist es auch.
1. Wildcampen und Wohnmobil-Boom
In Europa ist das Wildcampen in vielen Ländern verboten. In Skandinavien und im Baltikum ist es zwar erlaubt, aber mit Einschränkungen. So darf beispielsweise in Naturschutzgebieten oder Nationalparks nicht übernachtet werden. Und das hat seinen Grund, sagt Hanspeter Mayr vom deutschen Nationalpark Sächsische Schweiz.
"Selbst wenn Wildcamper kein Feuer oder Lärm machen und all ihren Müll wieder mitnehmen, können sie ein Störfaktor in der Natur sein", betont Mayr. "Tiere können Menschen viel früher sehen, riechen oder hören als wir uns das vorstellen können, deswegen kann allein die Anwesenheit von Menschen dazu führen, dass sich bestimmte Tiere gegen einen Lebensraum entscheiden."
Zudem übernachten laut Mayr Camper in Wohnmobilen oder ausgebauten Autos meistens an denselben Stellen. Bevorzugt würden einsame Plätze, die eine tolle Aussicht hätten oder an Bächen lägen. "Darüber tauscht man sich auf digitalen Plattformen aus und es gibt einen Ansturm auf diese Plätze." Der Natur dort sehe man die Beeinträchtigung dann rasch an. Etwa wenn sich Camper in den Bächen waschen.
Und auch der Toilettengang in der Natur sei ein echtes Problem. "Wenn viele Menschen an den immer gleichen Stellen urinieren, wirkt das wie eine Überdüngung, die das Ökosystem deutlich beeinträchtigt." Dasselbe gelte für Fäkalien. "Für Tiere sind diese Orte allein aufgrund des Geruchs ein "Menschenrevier", das gemieden wird."
Das Problem des Wildcampens könnte noch zunehmen, denn in Deutschland boomt das mobile Reisen. Allein im ersten Halbjahr 2021 wurden laut dem Caravaning Industrie Verband fast 63.000 Reisemobile und Caravans neu zugelassen und damit noch mehr als in der ersten Jahreshälfte 2020. Und schon damals waren so viele Freizeitfahrzeuge neu zugelassen worden wie im gesamten Jahr 2017.
Doch es gibt nicht genügend offizielle Stellplätze für sie. Schon 2019 gab es laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Puls in Deutschland rund fünfmal so viele zugelassene Freizeitfahrzeuge wie Plätze.
Doch es gibt Alternativen zu überfüllten Campingplätzen - ohne dabei die Natur zu schädigen: Auf verschiedenen Plattformen bieten Gartenbesitzer oder Landwirte Platz zum Campen. Und für Zelt-Begeisterte sind sogenannte Trekkingplätze ein guter Tipp. Sie liegen einsam, bieten aber ein Mindestmaß an Infrastruktur, wie etwa Toiletten und Mülleimer.
2. Individual-Tourismus: Geheimtipps und Umweltprobleme
Grundsätzlich gilt: Individualurlaub schneidet in Sachen Nachhaltigkeit oft schlechter ab als ein Pauschalurlaub. "Die geringsten negativen Auswirkungen hat Tourismus immer dann, wenn er richtig gelenkt wird, aber das geht beim Individualtourismus eben nicht", sagt Petra Thomas vom "forum anders reisen e.V.", dem Interessenverband nachhaltiger Reiseanbieter in Deutschland.
Ein Beispiel: Zu Ausflügen vor Ort fahren die Teilnehmer einer organisierten Reise meist gemeinsam in einem Bus. Das ist deutlich umweltfreundlicher, als wenn bei Individualreisen für den Ausflug jeder das eigene Auto nutzt. Wenn auch alle gemeinsam anreisen, gilt diese Rechnung umso mehr.
Gerade "Geheimtipps", die unter Individual-Urlaubern ausgetauscht würden, könnten zu echten Problemen werden. So seien manche Orte in Asien, die unter Rucksacktouristen als Geheimtipp gehandelt wurden, daraufhin regelrecht überrannt worden.
Die Folgen eines solchen sogenannten "Overtourismus": Wenn zu viele Menschen gleichzeitig an einem Ort Urlaub machen, werden zur selben Zeit viele Ressourcen wie etwa Energie verbraucht. Damit steigt auch der CO2-Verbrauch - mancherorts können auch die Wasservorräte knapp werden.
Wer seinen Individualurlaub nachhaltig gestalten will, kann etwa mit der Bahn anreisen und sich vor Ort mit öffentlichen Verkehrsmitteln bewegen. Das Einkaufen bei regionalen Erzeugern unterstützt die Wirtschaft vor Ort, und Urlaub im Hinterland verhindert auf lange Sicht auch weitere Hotelburgen am Meer.
3. Wassersport und Hunde am Strand
In der Pandemie boomt der Tagestourismus. Besonders beliebt: Touren an die heimischen Küsten. Dort wird es nicht nur voll, auch die Natur leidet. "An die Nordsee kommen mehr Gäste, die mit den Regeln dort nicht vertraut sind und beispielsweise ihre Hunde ohne Leine frei laufen lassen", erzählt Anja Szczesinski vom Wattenmeerbüro der Naturschutzorganisation WWF. Das Problem: Die Hunde scheuchen Vögel auf, die an der Küste rasten.
Ähnliche Probleme verursachen laut Szczesinski oft auch Wassersportler, die sehr schnell unterwegs sind, wie etwa Kitesurfer, die zu dicht an Brut-und Rastgebieten entlang surfen. "Wenn die Vögel zu oft aufgescheucht werden, kostet sie das viel Energie. Und die fehlt ihnen dann bei ihren Wanderungen im Herbst oder Frühling." Das bedeutet: Weniger Vögel schaffen die anstrengenden Reisen in ihre Sommer- oder Winterquartiere.
4. Wandern, Müll und Outdoor-Apps
Wer die Regeln vor Ort nicht kennt, fügt der Natur oft Schaden zu. Etwa beim Wandern, das viele Menschen in der Pandemie für sich entdeckt haben und das eigentlich als nachhaltige Freizeitbeschäftigung gilt. So gaben in Umfragen des Deutschen Wanderverbands mehr als die Hälfte der Befragten an, dass sie im ersten Pandemiejahr 2020 mehr Müll und ein höheres Verkehrsaufkommen an Wanderrouten bemerkt hätten.
Neben Müll und Staus können aber auch die Wanderrouten selbst zum Problem werden - etwa, wenn Wanderer ihre Touren auf digitalen Outdoor-Plattformen hochladen und anderen zur Verfügung stellen. "Das hat zur Folge, dass dort auch solche Routen landen, die möglicherweise durch sensible Naturräume verlaufen, die eben gerade nicht betreten werden sollen, wie zum Beispiel Brutgebiete", kritisiert WWF-Tourismusexpertin Martina von Münchhausen. Am besten sollten solche Routen von den Plattformbetreibern direkt aussortiert werden, fordert sie. Doch das ist gar nicht so einfach.
Allein in Deutschland gebe es rund 250.000 verschiedene Schutzgebiete, alle mit eigenen Regeln und Verhaltensvorschriften, sagt Neele Larondelle. Sie ist zuständig für das Schutzgebietmanagement beim Verein Nationale Naturlandschaften e.V. - dem Dachverband der deutschen Nationalparks, Biosphärenreservate und zertifizierten Wildnisgebiete.
Zwar stehen vor Ort in den Nationalparks meist Schilder, die zeigen welche Gebiete betreten werden dürfen und welche nicht. Doch solche Regeln sollten auch im Netz schnell zu sehen sein, denn die meisten Menschen nutzen laut Larondelle heute Apps und digitale Informationen, wenn sie Ausflüge planen. Zusammen mit Naturschutzverbänden, Vertretern aus dem Outdoor-Sport und den Urlaubsregionen hat der Dachverband deswegen den Verein Digitize the Planet e.V. gegründet. Sein Ziel: die "Digitalisierung der Regeln für die Nutzung der Natur".
"Wir wollen eine einheitliche Benutzeroberfläche schaffen, die dann jeder Park mit seinen eigenen Vorschriften bestücken kann", erklärt die Schutzgebietmanagerin. Die Daten sollen in Zukunft auch von den Outdoor-Plattformen aufgegriffen werden. "Sobald sich Interessierte eine Route online oder in einer App anschauen, sollen sie sehen: Ist die Route in dieser Jahreszeiten gesperrt oder nicht? Aber auch: Was passiert bei Verstößen? Was kostet ein Feuer im Wald?"
Derzeit seien zu viele unsensible Menschen in sensibler Natur unterwegs, so Larondelle. Die meisten wollten sich richtig verhalten, ihnen fehle aber das Wissen, wie das gehe, sagt sie - und: "Es ist unsere Aufgabe, sie dafür zu sensibilisieren."