Reiseinfluencer und die Corona-Krise
4. März 2021Wie so vielen anderen hat Corona auch den Reiseinfluencern die Lebensgrundlage genommen. Internationale Reisen sind kaum möglich, Werbepartner haben ihre Aufträge drastisch reduziert. Viele von ihnen werben nun für Mode, Brotaufstriche oder Versandhäuser. Andere machen unbeirrt weiter. Auftraggeber rund um die Welt sichern sich den immensen Einfluss von Influencern bei der Vermarktung von Reisezielen - gerade in der Coronakrise.
Reiseinfluencer promoten Urlaub in Risikogebieten
So wie das Golf-Emirat Dubai. Es setzt aufSocial-Media-Stars, um Urlauber anzulocken - schließlich will es die "führende Touristendestination der Welt" werden, wie es auf der Website der Tourismusbehörde heißt. Influencer bekommen in Dubai zahlreiche Vergünstigungen. Dafür sollen sie Reisewillige überzeugen, trotz Corona-Pandemie und jüngsten Skandalen um Menschenrechtsverletzungen, ihren Urlaub in der Wüstenstadt zu buchen. Auf Fragen der DW antwortete Dubais Tourismusbehörde nicht.
Auch von den Malediven, aus Portugal und Mexiko sind auf Instagram zahlreiche Bilder im Umlauf. Für ihre sorglosen Posts ernten Influencer Kritik - und das nicht nur, weil all diese Reiseziele Corona-Risikogebiete sind. Ihr Geschäftsmodell ist unversehens in eine Schieflage geraten, ihre Hochglanz-Posts haben einen bitteren Beigeschmack bekommen. Dass Influencer um die Welt fliegen, während man selbst zu Hause sitzt und nicht einmal Familie und Freunde sehen darf, ärgert viele.
Hinzu kommt, dass sich einige Social-Media-Stars im Ausland ziemlich daneben benehmen. Ende Januar wurden gleich mehrere Influencer von der indonesischen Insel Bali abgeschoben. Die indonesischen Behörden hatten im Oktober und November tausende Influencer aus aller Welt eingeladen, um die angeschlagene Tourismuswirtschaft der Insel wieder anzukurbeln. Einer der Ausgewiesenen war der russische Instagram-Star Sergej Kosenko (4,9 Millionen Follower). Er hatte eine Party mit mehr als 50 Gästen gefeiert und damit gegen die Corona-Regeln verstoßen. Außerdem war er für ein Video auf einem Moped ins Meer gesprungen.
Der Trend ist unumkehrbar - Influencer machen effektive Werbung
Dennoch: der Trend ist unumkehrbar. Verschiedene Studien gehen davon aus, dass der weltweite Influencer-Werbemarkt bis 2025 um das vierfache auf rund 24 Milliarden US-Dollar wachsen wird. "Influencer bauen eine starke Beziehung zu ihren Followern auf", so Kommunikationswissenschaftlerin Nadja Enke, die an der Universität Leipzig zu Influencern forscht. Das mache ihre Werbung sehr effektiv und deshalb für Unternehmen so attraktiv, so Enke im Gespräch mit der DW.
Europas größter Reisekonzern TUI arbeitet schon seit Jahren mit Influencern zusammen. "Influencer gehören zur meinungsbildenden Schicht der Gesellschaft", sagt TUI-Sprecher Magnus Hüttenberend gegenüber der DW. Sie würden nicht nur die Reichweite des Unternehmens vergrößern, sondern auch die Urlaubsziele aus neuer Perspektive zeigen. Deshalb sei die Zusammenarbeit mit Influencern ein "essentieller Teil" der Marketingstrategie des Unternehmens, so Hüttenberend. Aufgrund der Reisebeschränkungen könnten viele Kooperationen aktuell allerdings nicht stattfinden.
Influencer Schuld an Umweltzerstörung?
Wie wirkmächtig der Einfluss von Influencern auf ihre Follower ist, wird immer dann besonders deutlich, wenn die Natur ins Spiel kommt. Und aus abgelegenen Ecken plötzlich Hotspots werden.
Seit rund drei Jahren sind Influencer und ihre Follower ein Problem für den Berchtesgadener Nationalpark. "Am Königssee-Wasserfall ist ein regelrechtes Spinnennetz von Trampelpfaden entstanden. Das ist nahezu ausschließlich auf die sozialen Medien zurückzuführen", sagt Carolin Scheiter, Sprecherin der Nationalparkverwaltung im DW-Gespräch. Deshalb will die Parkverwaltung den Bereich um den "Infinity Pool" nun absperren, bis sich die Vegetation vom Andrang der vergangenen Jahre erholt hat. "Das haben wir uns so nicht gewünscht, aber wir mussten jetzt die Notbremse ziehen", so Scheiter.
Auch in Island kommt es immer wieder zu ähnlichen Zwischenfällen. Auf der Suche nach dem perfekten Foto geben viele weder auf sich selbst, noch auf die Natur um sich herum Acht. Sie ignorieren Absperrungen, trampeln auf dem empfindlichen Pflanzen herum oder fahren abseits der Straßen. Seit Jahren versucht die isländische Tourismusbehörde mit Aufklärungskampagnen dagegen vorzugehen. Dem schloss sich jüngst auch Neuseeland an und startete eine Kampagne gegen "Social-Media-Tourismus". Darin ermuntert der Comedian Tom Sainsbury Touristen, nicht dieselben Fotos nachzumachen, die sie bereits in den sozialen Medien gesehen haben.
Natürlich sind nicht nur die Influencer Schuld an Umweltzerstörung und Overtourism. Jeder ist selbst verantwortlich für sein Verhalten am Urlaubsort. Influencer hätten allerdings einen "Inspirations- und Verstärkereffekt", wie es Kommunikationswissenschaftlerin Nadja Enke nennt. Deshalb sei es wichtig, dass sie sich an ethische Grundsätze halten, so Enke, die 2019 einen Ethikkodex für Influencer erarbeitet hat.
Es geht auch anders: Influencer für nachhaltiges Reisen
Dass es auch anders geht, zeigen Reiseinfluencer wie Kathrin Heckmann, die als "Fräulein Draußen" einen Reiseblog betreibt. Auf Instagram folgen ihr über 23.000 Abonnenten. Meist ist Heckmann zu Fuß in den Bergen oder auf dem Fahrrad unterwegs. Ihren Followern zeigt sie nicht nur die Schönheit der Natur, sondern weist sie auch auf Themen wie Natur- und Artenschutz hin. "Viele Leute wissen einfach nicht, welche Auswirkungen es hat, wenn man querfeldein durch ein Naturschutzgebiet läuft", sagt Heckmann im Gespräch mit der DW. Sie selbst versucht Nachahmern zuvorzukommen, indem sie beispielsweise ihren Fotos nur grobe Ortsangaben beifügt.
Influencer, die für schöne Fotos die Umwelt zerstören oder während Corona reisen, ohne das Thema anzusprechen, sieht sie zwar kritisch. Ihr ist jedoch wichtig, dass das Wort Influencer in der Öffentlichkeit nicht nur negativ besetzt ist. "Es gibt ganz viele Influencer, die Gutes tun, die Leute über Nachhaltigkeit, Umweltschutz oder politische Themen aufklären", sagt Heckmann.
Vor dem sogenannten "Influencer-Bashing" warnt auch Kommunikationswissenschaftlerin Nadja Enke. Zwar sei es ein gutes Zeichen, dass Follower kritischer gegenüber Influencern geworden seien. "Teilweise ist es aber keine konstruktive Kritik, sondern endet in einem Shitstorm und geht bis hin zum digitalen Mobbing", so Enke. Der Großteil der Reiseinfluencer hätte aktuell sowieso keine Kritik verdient, meint Kathrin Heckmann - ganz im Gegenteil. Die meisten seien zu Hause geblieben, hätten ihre Follower dazu aufgerufen, die Hygieneregeln einzuhalten, so Heckmann. "Da war ein großes Verantwortungsbewusstsein - obwohl den meisten vom einen auf den anderen Tag die Lebensgrundlage weggebrochen ist."