Urlaub zu DDR-Zeiten: Wo der Osten Ferien machte
29. Juli 2022"Meine Eltern hatten einen Trabant 500 und ich kann mich erinnern, dass ich hinten immer schwer Luft kriegte", erzählt Zeitzeuge Wolfgang Worf, der in den 1970ern und 1980ern regelmäßig von Weimar nach Liberec (damals Tschechoslowakei, ČSSR) gereist ist. Mindestens einmal im Jahr, meistens aber drei Mal. Später kaufte sich die Familie das Modell 601, die langen Fahrten in das Nachbarland wurden damit etwas erträglicher.
Die Eltern von Wolfgang Worf stammten aus dem Sudetenland. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden rund drei Millionen Deutsche aus der damaligen Tschechoslowakei, heute Tschechien, vertrieben, so auch Worfs Eltern, die später jede Gelegenheit nutzen, um ihre alte Heimat und ehemalige Schulfreunde zu besuchen: "DDR-Bürger konnten nicht so viele Kronen umtauschen, sodass es sehr gut war, wenn man bei Bekannten und Freunden unterkam, so wie wir damals. Man brachte denen im Gegenzug etwas von Zuhause mit. Es war sehr menschlich und schön."
Urlaub erlaubt, aber nicht überall
Formal war das Recht auf Urlaub in der Verfassung der DDR festgeschrieben. 1961 etwa stand jedem Werktätigen ein Grundurlaub von zwölf Tagen zu. In den Jahren danach wurde dieses Privileg stufenweise angehoben. Doch einfach spontan an einen beliebigen Ort auf der Welt zu reisen, das war für DDR-Bürger nicht möglich. Die Reiseziele waren begrenzt. Die Auflagen enorm.
Für eine Reise nach Ungarn, Rumänien oder Bulgarien brauchte es nebst anderer Unterlagen vor allem eine Ausreisebewilligung. In die Sowjetunion reiste man in der Regel als Teil einer Reisegruppe, seltener als Privatperson. Für exotische Ziele wie Kuba war sogar die Zustimmung des zuständigen Parteisekretärs, des Gewerkschaftsfunktionärs und des Arbeitgebers notwendig. Die Bewilligung einer solchen Reise gelang nur mit einer weißen Weste. Man musste DDR-Bürger par excellence sein. Kurzum: Für die Normalsterblichen waren solche Ziele unerreichbar. Ein Exkurs in ein Land, das nicht zum Kreis der sogenannten Bruderländer gehörte, war vor allem nach dem Mauerbau ganz und gar ausgeschlossen.
Wieso die Grenze zu Polen und der ČSSR gelockert wurden
1972 stand die Berliner Mauer schon seit elf Jahren, mitsamt Sperranlagen entlang des geteilten Deutschlands - dicht, brutal, menschenverachtend. Familien wurden getrennt, haben sich ein Jahrzehnt nicht gesehen, eingesperrt im und vom eigenen Staat. Unmut machte sich breit, es wurden zaghafte Forderungen nach Reisefreiheit geltend gemacht, an denen später die DDR völlig zerbrechen sollte.
Die SED-Führung spürte das und versuchte zu beschwichtigen. Anfang 1972 traten Abkommen in Kraft, die die Reisebeschränkungen zwischen DDR, Polen und der ČSSR lockerten, zumindest formal: "Man stand trotzdem lange an der Grenze, egal ob vor oder nach 1972. Das hat eigentlich nicht richtig viel ausgemacht", erinnert sich Wolfgang Worf. Laut einem SED-Protokoll aus dem Jahr 1977 reisten DDR-Bürger in den ersten fünf Jahren fast 50 Millionen Mal in beide Nachbarländer.
Beliebte Ziele in der Tschechoslowakei waren Prag und Karlovy Vary. Das Ziel war nicht nur Kultur und Landschaft kennenzulernen: "Hier haben wir uns auch mit Verwandten aus dem Westen getroffen. Das war immer wieder sehr schön", erzählt Wolfgang Worf. Mit Westen meint er die Bundesrepublik Deutschland, die DDR-Bürger nur in äußersten Ausnahmefällen, wie Begräbnissen direkter Verwandter, und nach gründlicher Prüfung betreten durften.
Polen eignete sich da natürlich besser, etwa für Wochenendausflüge - das Leben im Nachbarland empfanden viele DDR-Bürger als ungezwungener, Übernachtungen im Studentenwohnheim waren ohne Anmeldeprozedur möglich, Zeitschriften wie "Der Spiegel" konnten problemlos gekauft werden, in den Kinos liefen Hollywood-Filme. Polnische Bürger kamen umgekehrt weniger für Urlaube oder zur Erholung in die DDR, sondern in der Hoffnung jene Mangelware zu bekommen, die es zu Hause nicht gab, oder nur zu erheblich höheren Preisen.
"Dazu passt folgender Witz: Treffen sich zwei Hunde an der Grenze und der eine fragt: Warum gehst du denn in die DDR? Da sagt der eine: Um mich mal richtig satt zu fressen. Und fragt den anderen: Warum gehst du nach Polen? Um mal lauter zu bellen?", erzählt Axel Drieschner, Kurator der Ausstellung "Grenzen der Freundschaft: Tourismus zwischen DDR, ČSSR und Polen" im Museum Utopie und Alltag. "In Polen konnte man dann auch mal seinem Unmut Luft verschaffen und sich sozusagen lauter über bestimmte Problematiken äußern, die man im eigenen Land nicht öffentlich ansprechen wollte", sagt Drieschner.
Zahlreiche Erinnerungen an die Reisen nach Polen und in die ČSSR hat das Museum Utopie und Alltag gesammelt, mehrere Hundert Exponate lagern in den Räumen - von Ansichtskarten über Reisekataloge bis hin zu Gegenständen und Souvenirs. Sie erzählen die Urlaubsgeschichten jener DDR-Bürger, die in den 1970ern und 1980ern die Nachbarländer Polen und die ČSSR besucht haben. Das meiste sind Leihgaben, die durch einen öffentlichen Aufruf im Museum gelandet sind: "Wir haben damit offene Türen eingerannt. Es haben sich eine ganze Reihe von Leuten an uns gewandt, wir haben E-Mails mit kleinen Anekdoten und Geschichten erhalten, wir haben auch Souvenirs mit kleinen Texten geschickt bekommen, von denen einige in der Ausstellung zu sehen sind", erklärt Axel Drieschner. Aufgearbeitet und wissenschaftlich begleitet wird die Ausstellung von Mark Keck-Szajbel von der Europa Universität Viadrina und seinen Studierenden.
Die DDR-Führung hat es schnell bereut
Es dauerte nicht lange, bis die SED-Partei die Lockerungen an den Grenzübergängen bereute, denn eins hatte sie nicht berechnet - den Einkaufstourismus und die Folgen für die Planwirtschaft. "Man hat schon Jahre vorher errechnet, wie viele, sagen wir mal, Rasierklingen oder Stecknadeln in den nächsten Jahren benötigt werden. Und jetzt kam plötzlich ein unberechenbares Moment hinzu. Es reisten Menschen aus anderen Ländern an, die ganz spezifische Bedürfnisse hatten, die da nicht mit einkalkuliert waren, und haben all diese schönen Berechnungen durcheinander gebracht, die, wie wir wissen, ja ohnehin schon selten die Realität abgebildet haben", sagt Axel Drieschner.
"Hinzu kam noch ein weiterer Aspekt, der Chaos stiften konnte: Die Angst vor dem Unmut der Bevölkerung. Man wollte eben keine Unruhe in der Bevölkerung schüren, was durchaus geschehen konnte, wenn man bedenkt, dass beispielsweise Bürger aus Polen nach Görlitz gefahren und in die Kaufhäuser gegangen sind, um dort bestimmte Sachen, die vielleicht erst seit ein paar Tagen im Regal lagen, aufgekauft haben. Und gerade diese grenznahen, größeren Städte waren sehr stark von dem Einkaufstourismus betroffen und es haben sich mitunter auch neue Ressentiments über die jeweiligen anderen Nationalitäten gebildet, die dort die vielleicht dringend benötigten Konsumgüter gekauft haben."
Auch Wolfgang Worf erinnert sich an besondere Produkte, die er aus der ČSSR mitbrachte: "Wir haben Unmengen von Knödelmehl mit nach Hause gebracht. Das gab es in der DDR damals nicht und meine Lieblingsspeise war schon immer Lendenbraten mit Knödel. Ich habe auch gerne im Schreibwarenladen eingekauft - die Tschechen hatten bestimmte Stifte, die man in der DDR nur selten kaufen konnte."
Nicht nur der Einkaufstourismus missfiel der DDR-Führung, hinzu gesellten sich die politischen Umbrüche in den 1980ern: Das Aufkommen der Solidarność-Bewegung und die Ausrufung des Kriegsrechts in Polen führten wieder zu strengeren Kontrollen an den Grenzen. Reisen waren erneut nicht mehr so einfach zu organisieren.
Doch das liegt nun einige Jahrzehnte zurück, heute sind zumindest im größten Teil Europas die Grenzen offen. Offen sind auch die Türen des Museums Utopie und Alltag. Die Ausstellung "Grenzen der Freundschaft: Tourismus zwischen der DDR, ČSSR und Polen" kann noch bis zum 30.04.2023 besucht werden.