DDR gegen Polen: Die Stasi auf dem Kriegspfad
10. März 2021"Zwangsverordnete Freundschaft" nennen polnische Publizisten die Beziehungen zwischen der Volksrepublik Polen und der DDR bis zum Ende der kommunistischen Diktatur 1989: Während beide Staats- und Parteiführungen Harmonie zelebrierten, misstrauten sich Ost-Berlin und Warschau hinter den Kulissen zutiefst.
Viele Polen sahen in den Nachbarn auf der westlichen Seite der Oder potenziell gefährliche "rote Preußen". Viele Ostdeutsche wiederum hielten die polnischen Genossen für unzuverlässige Verbündete, die mit ihren liberalen Reformen die Existenz des kommunistischen Lagers gefährdeten.
Lange Zeit galten die Kontakte zwischen den Sicherheitsorganen beider Länder als Ausnahme von dieser Regel. Der gemeinsame Feind im Westen soll nach bisherigem Forschungsstand eine enge Kooperation der Geheimdienste nötig gemacht haben.
Neue Archivrecherchen allerdings zeigen ein anderes Bild: Das Misstrauen und der Konkurrenzkampf, die zwischen der DDR und Polen auf politischer und gesellschaftlicher Ebene immer spürbar blieben, kamen bei Aufklärung und Spionage sogar noch deutlicher zum Tragen.
Wissenschaftler räumt mit Mythen auf
In seinem Buch "Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974-1990"* räumt der polnische Politologe Tytus Jaskułowski mit Mythen auf, die noch lange nach der Wende 1989/90 die historischen Debatten dominierten.
"Die DDR-Stasi galt als mächtige Institution mit gewaltigen operativen Aufklärungsmöglichkeiten, die im Stande war, wichtige Bereiche des polnischen Lebens zu infiltrieren und zu beeinflussen. Das polnische Innenministerium dagegen wurde als schwach und dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit (MfS) nicht gewachsen betrachtet. Trotzdem galt die Kooperation zwischen beiden Institutionen als verhältnismäßig harmonisch," erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN) in Szczecin/Stettin und Professor an der Universität in Zielona Góra, Jaskułowski, im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Doch das ist ein Mythos, der durch neue Funde in den Archiven widerlegt wird."
Angst vor Solidarność
Als Wendepunkt in den Beziehungen zwischen der ostdeutschen Stasi und dem polnischen Innenministerium gilt die Streikwelle an der Ostseeküste Polens im Sommer 1980, die zur Entstehung der Gewerkschaft "Solidarność" (Solidarität) führte. Die Führung in Ostberlin sah in der Entwicklung im östlichen Nachbarland eine existenzielle Gefahr für ihre Macht - und eine Gefährdung des ganzen Ostblocks.
Die Versuche der polnischen kommunistischen Führung, einen Kompromiss mit Solidarność zu finden, versetzten den DDR-Minister für Staatssicherheit, Erich Mielke, und seine Leute in Panik. DDR-Politiker warfen den polnischen Genossen offen Führungsschwäche und Nachgiebigkeit gegenüber "antisozialistischen Feinden" vor.
Ein Freund wird zum Feind
Entsprechend wurde in Ostberlin die Verhängung des Kriegsrechts in Polen am 13. Dezember 1981 mit Erleichterung aufgenommen. Aber die ostdeutschen Genossen betrachteten die Krise im Nachbarland damit noch nicht als gelöst. Bereits eine Tag später gab MfS-Chef Mielke eine Reihe von Befehlen heraus, die offensive Schritte gegen Polen enthielten.
Der Befehl unter dem Decknamen "Besinnung" sorgte für eine Gleichstellung Polens mit der in der DDR "BRD" genannten Bundesrepublik und anderen westlichen Ländern. Die Volksrepublik wurde zum "Operationsgebiet" erklärt, schreibt Jaskułowski - und damit zum Feind.
Spitzel gesucht
Bereits zuvor war in der DDR-Botschaft in der polnischen Hautstadt die "Operationsgruppe Warschau" (OGW) eingerichtet worden. Das mit MfS-Mitarbeitern besetzte Gremium hatte nicht nur die Aufgabe, die Flucht von DDR-Staatsbürgern zu unterbinden, sondern auch, Polen auszuspionieren.
Seit den August-Streiks in Polen 1980 suchte die Stasi händeringend nach Spitzeln, die über Ereignisse östlich der Oder berichten könnten. Direkt nach der Wende ging die Forschung davon aus, dass der ostdeutsche Geheimdienst mindestens 1500 "Inoffizielle Mitarbeiter" (IM) in Polen hatte. Inzwischen wurde diese Zahl auf 200 nach unten korrigiert. Jaskułowski spricht von etwa hundert Quellen, wobei nur ein Dutzend DDR-IM imstande waren, komplizierte Aufträge auszuführen, etwa in Solidarność-Kreise einzudringen.
Bittsteller Polen
Jaskułowski verweist auf die wachsende Arroganz, mit der Mielke und seine Leute nach 1980 in Kontakten mit den polnischen Partnern auftraten. Sie stärkten konservative Kräfte im Apparat der herrschenden kommunistischen Partei und machten kein Hehl aus ihrer Abneigung gegen liberale Genossen im östlichen Bruderstaat.
Die polnische Seite, die wegen der tiefen wirtschaftlichen Krise im Land oft als Bittsteller auftreten musste, konnte dem wenig entgegensetzen. Vertreter des polnischen Innenministeriums baten ihre ostdeutschen Kollegen nicht nur um die Lieferungen von Schlagstöcken, Gummiknüppeln und Schutzschilder, sondern auch um Schuhe, Socken und warme Unterhosen. In den Geschäften Polens fehlte es damals an allem.
Die Rache
Die Zeit der Rache für die Demütigungen seitens der Stasi kam mit der demokratischen Wende. DDR-Flüchtlinge, die im Sommer 1989 die polnische Grenze überquerten, um in die Botschaft der Bundesrepublik und von dort nach Westdeutschland zu gelangen, wurden von polnischen Grenzbeamten trotz geltender Abschiebungsverträge mit der DDR durchgelassen.
Proteste aus Ostberlin stießen in Warschau auf taube Ohren. Anfang 1990, als Mielke bereits hinter Gittern saß und auf seinen Prozess wartete, schrieb General Czesław Kiszczak, der immer noch als Polens Innenminister amtierte, an den neuen, aus der bisherigen Opposition stammenden DDR-Innenminister Michael Diestel , dem die eben gegründete Stasi-Nachfolgeinstitution "Amt für nationale Sicherheit" unterstand, ein Glückwunschtelegramm.
Freunde ausspähen?
Nun verlor die Stasi, die bisher personell, logistisch und finanziell immer viel besser ausgestattet gewesen war als Polens Geheimdienst, "alles, was es zu verlieren gab". "Aufgrund ihrer ideologischen Engstirnigkeit waren die MfS-Leute nun - im Gegensatz zu ihren polnischen Kollegen - außerstande, die Welt, wie sie war, zu verstehen," erklärt Stasi-Forscher Jaskułowski.
Obwohl die deutsch-polnischen Beziehungen nach Deutschlands Wiedervereinigung 1990 eine Blütezeit erlebten, blieben die Geheimdienste beider Länder misstrauisch. 1993 wurde sogar ein polnischer Offizier zu einer Haftstrafe verurteilt - wegen Spionage für Deutschland. Auch Ausweisungen deutscher Diplomaten wegen geheimdienstlicher Aktivitäten soll es noch gegeben haben.
"Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht," sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf dem Höhepunkt des Spionage-Skandals mit den USA 2013. Jaskułowski hält einen anderen Spruch für wirklichkeitsnäher: "Spionage unter Freunden war und ist politisch geduldet. Aber auch diese Duldung hat Grenzen".
*Tytus Jaskułowski, "Von einer Freundschaft, die es nicht gab. Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR und das polnische Innenministerium 1974-1990", Analysen und Dokumente, Band 57. Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BstU).