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Ukraine: Umweltkatastrophe im Kriegsgebiet

Guillaume Ptak
21. Dezember 2021

Im Donbass drohen stillgelegte Kohlebergwerke das Grundwasser zu verseuchen. Unterdessen sind die etliche Minen weiter in Betrieb - obwohl die Ukraine bis 2035 aus der Kohleförderung aussteigen will.

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Blick auf das abbruchreife Kohlebergwerk Hirska in der Stadt Hirnyk in der Region Luhansk
Stillgelegte Kohlebergwerke wie Hirska in Hirnyk in der Region Luhansk bedrohen Umwelt und Gesundheit der MenschenBild: Guillaume Ptak

"Vor dem Krieg hab ich mit dem Flusswasser meinen Garten gegossen, heute geht das nicht mehr", seufzt die 82-jährige Ljudmila Iwanowna Tarasowa und deutet hinüber zum Fluss Komischuwaka. Sein Wasser fließt in einem beunruhigenden Orange dahin.

Die Rentnerin lebt in einem kleinen Holzhaus am Stadtrand von Solote in der Ostukraine. Der nahe gelegene Komischuwaka ist ein Nebenfluss des Siwerskyi Donez. Der fünftlängste Fluss der Ukraine ist die wichtigste Süßwasserquelle für die vom Krieg zerrüttete Region Donbass. In den vergangenen Wochen ist der östlichste Teil der Ukraine erneut ins Licht der Weltöffentlichkeit gerückt: Wegen der russischen Truppenaufstockung an der Grenze wächst in der Region die Angst vor einer russischen Invasion.

Ljudmila Iwanowna Tarasowa, Rentnerin und Einwohnerin von Solote in der Ukraine steht vor dem Holzzaun vor ihrem Garten
Ljudmila Iwanowna Tarasowa, Rentnerin und Einwohnerin von Solote, lebt am Fluss KomischuwakaBild: Guillaume Ptak

Der Donbass war mit seinen 6,5 Millionen Einwohnern einst das größte Industriezentrum der Ukraine und zugleich wichtiger Kohleproduzent. In den vergangenen 200 Jahren wurden hier rund 15 Milliarden Tonnen des fossilen Brennstoffes abgebaut.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion sind viele Bergwerke unrentabel geworden und wurden stillgelegt. Seit dem Ausbruch des Konflikts zwischen der Ukraine und den von Russland unterstützten Separatisten vor sieben Jahren ruht die Arbeit in etlichen Minen. Über die Zeit sind sie baufällig geworden.

Aus ökologischer Sicht mag das zunächst nach guten Nachrichten klingen. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Denn es droht eine Umweltkatastrophe, weil die Minen nicht professionell geschlossen wurden.

Hunderttausende Anwohner durch verseuchtes Wasser gefährdet

Wird ein Bergwerk stillgelegt, muss fortan Wasser aus den unterirdischen Schächten und Kammern abgepumpt werden. Sonst würden sie vom Grundwasser überflutet. Die Gefahr dabei: Das Wasser könnte durch Schwermetalle verunreinigt werden. Gelangt das verunreinigte Grundwasser dann in die umliegenden Böden, werden diese kontaminiert. Für die Landwirtschaft sind diese Flächen dann unbrauchbar.

Mindestens 300.000 Menschen seien allein in den von den Separatisten besetzten Gebieten durch eine solche Kontaminationen aus den Minen "extrem bedroht", heißt es in einem Bericht des Nationalen Instituts für strategische Studien der Ukraine aus dem Jahr 2019. Jeder vierte Haushalt in der Nähe der sogenannten Kontaktlinie hat demnach keine sichere Trinkwasserquelle mehr. Die Kontaktlinie ist der Bereich, der das ukrainische Kernland von den Gebieten trennt, die die Separatisten kontrollieren.

"Krankheiten wie akute Magen-Darm-Infektionen, insbesondere bei Kindern unter vier Jahren, treten hier Dutzende Male häufiger auf als im Landesdurchschnitt", beschreibt der Hydrogeologe Evgeny Jakowlew von der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine die Situation im Donbass.

Der Fluss Komischuwaka im Donbass führt orange gefärbtes Wasser
Der Fluss Komischuwaka hat sich durch hochmineralisiertes Grubenwasser orange gefärbtBild: Guillaume Ptak

2017 leitete Jakowlew die jüngste große Untersuchung über die Flutung von Kohlebergwerken und deren Auswirkungen auf die Wasserqualität in der Region. Die Ergebnisse seien erschreckend. "Neunzig Prozent des Wassers, das außerhalb des regulären Versorgungssystems getestet wurde, war nicht trinkbar", berichtet Jakowlew der DW.

Der größte Teil des Wassers im Donbass stammt aus dem 300 Kilometer langen Siwerskyj-Donez-Donbass-Kanal. Er wird vom kommunalen Unternehmen Woda Donbasu betrieben und gewartet. Der Kanal verläuft jedoch innerhalb der Frontlinie. Die Wasserleitungen stammen noch aus den 50er Jahren, sind teils marode und werden immer wieder durch die Kämpfe beschädigt. Dann sind die Menschen auf das kontaminierte Wasser aus den Brunnen angewiesen. 

Jakowlews Studie war die bisher letzte, die auf beiden Seiten der Frontlinie durchgeführt wurde. Seit 2017 gibt es keine Daten mehr über Umweltschäden in den Separatistengebieten. In den vergangenen Jahren hat die ukrainische Regierung den Behörden der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk wiederholt vorgeworfen, Minen ohne die erforderlichen Umweltvorkehrungen zu schließen. 

Radioaktivität in Flüssen und im Schwarzen Meer?  

Besonders besorgniserregend ist die Lage in der Mine Junkom in Jenakijewe. Dort hatten die sowjetischen Behörden 1979 unterirdisch eine kleine Atombombe gezündet, um die Mine von Methangas zu säubern.

Obwohl es dort noch immer radioaktive Rückstände gibt, beschloss die Verwaltung der Separatisten 2018, die kostspielige Wartung der Mine einzustellen. Laut ukrainischen Behörden hat das dazu geführt, dass Wasser in die unteren Ebenen der Mine eingetreten ist. Dadurch gelangen radioaktive Rückstände ins Grundwasser, sodann in die Flüsse Kalmius und Siwerskyj Donez und von dort bis ins Schwarze Meer. 

Hinter Feldern in der Nähe der Stadt Solote sind in der Ferne Abraumhalden eines Kohlebergwerks sichtbar
Abraumhalden in der Nähe von Solote - vor allem in den Separatistengebieten wurden viele Bergwerke nicht abgewickelt Bild: Guillaume Ptak

Das Energieministerium der selbsternannten Volksrepublik Donezk (DVR) bestreitet hingegen, dass es ein Problem gibt. "Im Gegensatz zur schwierigen Umweltsituation in der Ukraine gibt es in der DVR keine Umweltzerstörung", teilt das Ministerium der DW mit.  

Verschmutztes Wasser im Fluss Komischuwaka

Vertreter der ukrainischen Regierung schienen manchmal mehr an feuriger Rhetorik interessiert zu sein als an einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zur Lösung der Probleme, sagt Benoit Gerfault, Koordinator der französischen Nichtregierungsorganisation ACTED. Die Agentur für technische Zusammenarbeit und Entwicklung mit Sitz in Paris ist bei Notfällen und Krisen in rund 40 Ländern im Einsatz, auch in der Ukraine.

Da die Minenschächte im Donbass miteinander verbunden sind, können Schäden an den Minen - egal auf welcher Seite der Konfliktlinie - schnell zu einem Problem für die gesamte Region werden. 

Im Mai 2018 strömte Wasser aus den überfluteten Kohlebergwerken Rodina und Holubovska im Separatistengebiet mit einer Geschwindigkeit von 2000 Kubikmetern pro Stunde in das Bergwerk in Solote auf der von der ukrainischen Regierung kontrollierten Seite. Seitdem wird dort rund um die Uhr verseuchtes Grubenwasser abgepumpt. Laut lokalen Medienberichten wird es ungeklärt in den Fluss Komischuwaka geleitet. Jüngste Untersuchungen der Menschenrechtsorganisation Truth Hounds aus Kiew ergaben, dass die gesetzlichen Grenzwerte für Chloride, Sulfate und Mangan im Komischuwaka weit überschritten werden.

"Weder für die Viehzucht noch für die Bewässerung der Felder gibt es Wasser", sagt Oleksii Babchenko, Leiter der zivilmilitärischen Verwaltung von Solote. 

Verwaltungsgebäude des Kohlebergwerks Karbonit in der Stadt Solote in der Ukraine
Das Kohlebergwerk Karbonit in der Stadt Solote ist noch in BetriebBild: Guillaume Ptak

Da die Verschmutzung des Flusses mittlerweile auch mit bloßem Auge immer sichtbarer wird, suchen die Anwohner nach anderen Möglichkeiten. "Für meinen Garten nutze ich jetzt gesammeltes Regenwasser", sagt die Rentnerin Tarasowa. Zum Kochen holt sie Wasser aus einem kleinen Bach in der Nähe. Trinkwasser kauft sie nur noch in Flaschen. "Es ist wirklich nicht leicht, aber ich habe ja keine andere Wahl."  

Explosionen und Absenkungen als Bergschäden

Selbst wenn Bergwerke längst stillgelegt sind, entweicht aus ihnen weiterhin das Grubengas Methan. Auch bei den überfluteten Minen im Donbass ist das so. Durch das einströmende Wasser wird das Gas komprimiert, es kommt zu einer Explosion. Wenn der Grundwasserspiegel steigt, verlieren die überfluteten Böden an Stabilität. Seismische Aktivitäten sind die Folge. "Wenn hier in Solote jemand in die Minen hinuntersteigt, riecht es nach Gas, als hätte jemand in der Küche den Herd angelassen", sagt Babchenko.

Und dann sind da noch die Absenkungen. Wenn Bergbauschächte wegen der Überschwemmungen einstürzen, verschiebt sich die darüber liegende Bodenoberfläche und beginnt abzusacken. Schätzungen zufolge droht im Donbass eine Fläche von insgesamt 12.000 Hektar abzusinken. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) warnt, dass dann die technische Infrastruktur in der Region ausfallen könnte, also Gasversorgung, Wasser- oder Abwassersysteme versagen könnten. Laut Hydrogeologe Jakowlew könnten dann ganze Städte unbewohnbar werden. "Da der Boden absinkt, sind inzwischen Risse an den Häusern entstanden", berichtet Babchenko über Solote. "Eine der Schulen im Ort muss ständig repariert werden."

Abschied von der Kohle mitten im Krieg?

Auf der UN-Klimakonferenz in Glasgow im vergangenen November hat sich die Ukraine verpflichtet, bis 2035 aus der Kohle auszusteigen. Das dürfte kein leichtes Unterfangen werden. Zwei Jahrhunderte hat die Kohle den Donbass mit Energie und die Menschen hier mit Arbeit versorgt. Trotz des regelmäßigen Beschusses arbeiten in den verbliebenen Kohlebergwerken von Solote laut Babchenko immer noch rund 3500 Beschäftigte.

Ein Wandgemälde zu Ehren der Bergleute von Solote in der Ukraine
Der Bergbau hat eine lange Tradition im Donbass - was kommt, wenn er eingestellt wird?Bild: Guillaume Ptak

Für die Menschen sei die Arbeit mitten im Kriegsalltag ein wichtiger emotionaler Halt. Die Schließung der Minen ohne Vorkehrungen für die betroffenen Menschen wäre eine sozioökonomische Katastrophe.

"Wir müssen sowohl in eine umweltverträgliche Schließung der Minen als auch in Sozial- und Beschäftigungsprogramme für die Arbeiter investieren", sagt Babchenko. "Viele Leute erzählen uns von den Erfahrungen aus Frankreich, Deutschland und England - aber wir dürfen nicht vergessen: In keiner dieser Regionen gab es einen aktiven militärischen Konflikt."

Dieser Artikel ist unter Mitwirkung von Laura Diab entstanden.