Pandora in Osteuropa: "Wenig Optimismus"
5. Oktober 2021Panik oder wenigstens Unruhe in Moskau wegen der größten Enthüllung von geheimen Offshore-Deals, in der die politische Elite in Russland eine prominente Rolle spielt? Fehlanzeige. Im Kreml zeigt man sich unbeeindruckt ob der Recherchen, die den Namen Pandora Papers tragen. Ein internationales Konsortium, bestehend aus etwa 600 Journalisten, analysierte fast zwölf Millionen Dokumente aus Steueroasen und machte am 3. Oktober geheim gehaltene Geschäfte Hunderter Milliardäre und Spitzenpolitiker, darunter auch aus Osteuropa, öffentlich.
Eine Ansammlung "unbewiesener Behauptungen" seien die Pandora Papers, sagte der Pressesprecher des russischen Präsidenten, Dmitri Peskow. Der Kreml sehe keinen Anlass, auf Grundlage dieser Recherchen Überprüfungen einzuleiten. Gleichzeitig versuchte Putins Sprecher, die Arbeit der Investigativ-Journalisten zu diffamieren, indem er deren Arbeit indirekt als unseriös abstempelte. "Wenn es ernsthafte Veröffentlichungen gibt, die auf etwas basieren, auf etwas Bestimmtes verweisen", würde man sich damit vertraut machen. "Bisher sehen wir keinen Grund", meinte Peskow.
Mehrere Top-Beamte, darunter der Chef des russischen Präsidialamtes, Anton Wajno, und der Chef der größten und sich in staatlicher Hand befindenden russischen Bank "Sberbank", German Gref, der viele Jahre zu Putins Regierung angehörte, tauchen in Pandora Papers auf.
Auch erzählten Journalisten von einer 3,6-Millionen Euro teuren Wohnung in Monaco, die einer russischen Frau namens Swetlana Kriwonogich gehören soll. Sie ist nicht irgendwer: Laut unbestätigten Berichten soll Putin mit ihr eine Tochter haben. Trotz der Hinweise lautete Peskows Stellungnahme dazu nur: "Wir haben da - ehrlich gesagt - keinerlei versteckte Reichtümer der nahen Umgebung Putins gesehen."
Autoren von Pandora Papers erwarten keine Konsequenzen
"Ich erwarte schon lange keinen Effekt mehr bei Veröffentlichungen", sagt Roman Schlejnow, Journalist des in Russland als "ausländischen Agenten" gebrandmarkten Mediums "IStories", der DW. Schlejnow war an den Recherchen zu Pandora Papers beteiligt. "In der Regel reagiert der Machtapparat äußerst selten. Konsequenzen gibt es dafür regelmäßig für diejenigen, die es veröffentlichen", so Schlejnow.
Damit spielt er auf Repressionen gegen unabhängige Journalisten in Russland an. Konkret gegen das Medium "Projekt", das in Russland zu einer "unerwünschten Organisation" erklärt wurde, "nach einer Reihe von Enthüllungen, unter anderem zu Swetlana Kriwonogich. Viel Optimismus haben wir daher nicht", meint Roman Schlejnow.
Die Enthüllungen aus den Pandora Papers seien in Russland auf weniger öffentliches Interesse gestoßen als beispielsweise die Panama Papers, erklärt auch Ilja Schumanow im DW-Interview. "Pandora gilt als nur noch ein weiterer Leak, aber nicht als etwas grundlegend Neues". Schumanow ist Direktor von "Transparency International Russia", einer internationalen NGO, die sich mit Korruptionsfällen beschäftigt. Er bemängelt, dass die russischen Finanzbehörden die Enthüllungen aus den Steueroasen offenbar nicht als Grundlage sehen, wegen Steuerhinterziehung aktiv zu werden. "Schade, eigentlich".
"Putins Forderung ignoriert"
Gefragt, welche Erkenntnis man aus den Pandora Papers ziehen könnte, antworten Schlejnow und Schumanow: Dass der Aufruf zur Rückkehr des Kapitals aus den Steueroasen sich als Luftnummer erwiesen hat. Putin habe seit 2012 gefordert, dass die Gelder in die nationale Wirtschaft zurückgepumpt werden müssten. "Nach Panama und Pandora Papers sieht man, dass der innere Machtzirkel um Putin seine Aufforderung einfach ignoriert hat", stellt Schumanow fest.
Trotz der offiziellen abschätzigen Kommentare aus dem Kreml glaubt Schumanow, dass die Eliten in Russland durchaus an den letzten Enthüllungen interessiert sind. "Diejenigen, die die Gunst der politischen Spitze verlieren, könnten unter Umständen ganz schnell beschuldigt und zur Rechenschaft gezogen werden" - inklusive der Konfiszierung von Vermögen. Die Nutzung von Offshore-Firmen sei auch eine Art "Risikostreuung für politisch Mächtige in Russland", für den Fall, dass der Staat nach diesem Kapital greifen sollte, erklärt er.
Korruptionsforscherin: Ethisch verwerfliche Deals
In der Ukraine spricht man seit der Veröffentlichung der Pandora Papers vor allem über Wolodymyr Selenskyj, der, kurz bevor er 2019 als Präsident des Landes gewählt wurde, Anteile an einer Briefkastenfirma hielt, die auf den Britischen Jungferninseln registriert war. Sein Berater und enger Freund Sergej Schefir kaufte ihm zwar die Anteile ab, behielt sie aber - auch nachdem er Selenskyjs Regierung als Top-Berater beitrat. Problematisch könnte werden, dass die Frau des Präsidenten laut Recherchen Dividenden erhielt, auch nach dem Verkauf seiner Anteile.
Selenskyjs Sprecher gab am Montag zunächst keinen Kommentar ab; später rechtfertigte einer seiner Berater den Gang in die Steueroasen damit, dass man sich dadurch gegen "aggressive Methoden" des Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch abgesichert habe.
Die Pandora Papers zeigen, dass es Lücken in der ukrainischen Gesetzgebung gibt. "Schefir war nicht verpflichtet, eine Steuererklärung abzugeben. Er war auch also nicht verpflichtet, Informationen über diese Unternehmen zu veröffentlichen", erklärt Tetjana Schewtschuk von der NGO "Zentrum des Widerstands gegen Korruption" der DW. Diese Praktiken seien zwar legal, aber "nicht ethisch", moniert Schewtschuk. Nutzung von Offshores betrachtet sie nicht nur als ein Problem der Ukraine. Aber das Land unternehme herzlich wenig, um diesen Praktiken ein Ende zu setzen, so die ukrainische Korruptionsforscherin.
Handel mit afrikanischem Gold
Auch Belarus taucht in Pandora Papers auf. So hat am 4. Oktober der belarussisch-polnische TV-Kanal Belsat einen Enthüllungsfilm gezeigt, in dem Verbindungen von Minsk nach Simbabwe durch eine Reihe von Offshore-Firmen offengelegt werden. Den Handel mit Gold aus Afrika betrieb laut Recherchen des Journalistenkonsortiums Sergej Schejman, Sohn des früheren Präsidialamtchefs von Alexandr Lukaschenko, dem langjährigen Herrscher in Belarus. Profitiert habe nicht der belarussische Staat, sondern der innere Zirkel von Lukaschenko, so Ales Jaroschewitsch, der an den Pandora Papers mitgewirkt hat.
Doch Konsequenzen braucht in Belarus kein Mensch zu fürchten, solange sich Beteiligte loyal gegenüber dem Machtinhaber in Minsk zeigen, ist sich der belarussische Ex-Diplomat Pawel Mazkewitsch sicher. "In Belarus gibt es nur einen Politiker - Lukaschenko. Die Schicksale von Unternehmen und politischen Karrieren hängen von ihm ab, nicht von Leaks, Skandalen oder Beihilfe zu Verbrechen und Betrug", konstatiert er.