Twitter schaltet Journalisten-Accounts wieder frei
17. Dezember 2022Twitter hat mehrere gesperrte Accounts von US-Journalisten wieder freigeschaltet. Unternehmenschef Elon Musk kündigte den Schritt unter Verweis auf eine Umfrage unter Nutzern des Online-Netzwerks an, bei der sich eine Mehrheit der knapp 3,7 Millionen Teilnehmer für ein sofortiges Ende der Sperren ausgesprochen hatte.
Es geht um die Twitter-Konten prominenter Journalisten etwa von der "New York Times", der "Washington Post" und dem Sender CNN. Sie konnten am Samstagmorgen deutscher Zeit wieder aufgerufen werden.
Nach Angaben der "Washington Post" gab es vor der Sperre keine Vorwarnung zu dem Schritt. Zuvor war ein anderer Account blockiert worden, der das Privatflugzeug von Twitter-Eigner Elon Musk verfolgte. Einige der jetzt gesperrten Journalisten hatten darüber berichtet.
Musk hat in mehreren Tweets von einem Verstoß gegen die Twitter-Nutzungsbedingungen und einer Gefahr für sich und seine Familie durch die Flugdaten gesprochen. "Sie haben meinen exakten Echtzeit-Standort gepostet, im Grunde die Koordinaten für ein Attentat", schrieb Musk. Die Journalisten hätten gegen das Verbot der Weitergabe persönlicher Informationen – das sogenannte Doxxing - verstoßen, schrieb Musk. "Für 'Journalisten' gelten die gleichen Doxxing-Regeln wie für alle anderen."
Ein Student hatte das Konto @elonjet angelegt, das mit Hilfe eines automatisierten Computerbots in Echtzeit frei zugängliche Informationen zu Bewegungen von Musks Privatjet wiedergegeben hatte. Musk drohte mit rechtlichen Schritten gegen den Betreiber, da sein Sohn von einem "verrückten Stalker" verfolgt worden sei. "Mich den ganzen Tag lang zu kritisieren ist völlig in Ordnung, aber meinen Standort in Echtzeit zu veröffentlichen und meine Familie zu gefährden, ist es nicht", twitterte Musk.
Protest auch von der EU
"Nach bisherigem Kenntnisstand haben die Journalisten keine persönlichen Daten weitergeben", schreibt der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Schweiger von der Universität Hohenheim der Deutschen Welle. "Sie haben höchstens @elonjet und den dortigen Daten durch ihre Berichte mehr Publizität und Verbreitung verschafft. Aber das reicht als Grund für ihre Sperrung nicht aus, zumal @elonjet bereits aus Twitter entfernt wurde - und das durchaus zurecht."
Hendrik Zörner, Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbandes, DJV, spricht gegenüber der DW von einem "reinen Willkürakt" Musks gegen kritische Twitter-Nutzer: "Das sind klare Verstöße gegen die Presse- und Meinungsfreiheit. Und das ist immerhin ein Grundrecht." Musk sei aber "offensichtlich dabei, auf der Plattform nur noch diejenigen zu dulden, die sich nicht kritisch mit ihm und mit seinem Unternehmen auseinandersetzen".
Das Berliner Auswärtige Amt twitterte Screenshots der gesperrten Accounts und schrieb dazu: "#Pressefreiheit darf nicht nach Belieben ein- und ausgeschaltet werden." EU-Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova drohte Musks Unternehmen langfristig Sanktionen der Europäischen Union an.
Kritiker halten Musk für unglaubwürdig
Unklar ist noch, ob alle Journalisten, deren Konten gesperrt wurden, über @elonjet berichtet haben. Die betroffenen Medien reagierten jedenfalls empört, hatten den Schritt aber offenbar auch kommen sehen: "Die impulsive und ungerechtfertigte Sperrung einer Reihe von Reportern, darunter Donie O'Sullivan von CNN, ist besorgniserregend, aber nicht überraschend", schrieb etwa CNN. Sally Buzbee, Chefredakteurin der "Washington Post", sagte, die Sperrung untergrabe Musks Behauptungen, Twitter als Plattform der freien Meinungsäußerung zu betreiben.
Der Multimilliardär Elon Musk hat seit der Übernahme von Twitter das Spitzenmanagement und rund die Hälfte der Belegschaft entlassen und gesperrte Konten wie das des früheren US-Präsidenten Donald Trump wieder freigeschaltet. Kritiker befürchten, dass unter Musks Führung auf Twitter Hassbotschaften und Falschinformationen zunehmen könnten.
Bisher kaum Alternativen zu Twitter
Und eben, dass Kritiker von Elon Musk nicht mehr zu Wort kommen. Hendrik Zörner jedenfalls meint: "Twitter ist nicht mehr das, was es mal war, nämlich ein Kommunikationsmittel, auf dem alle Meinungen vertreten waren." Auch Wolfgang Schweiger findet: "Twitter ist im gegenwärtigen Zustand sicher keine Plattform mehr, die man als Journalist nutzen und bedienen sollte."
Er macht aber auf ein großes Dilemma aufmerksam, wenn er hinzufügt: "Es fehlt schlichtweg eine vergleichbar reichweitenstarke Alternative. Insofern überrascht es nicht, dass bisher nur wenige Twitter verlassen haben." Twitter war bisher nicht nur bei Journalisten, sondern auch bei Politikern ausgesprochen beliebt.
Hendrik Zörner vom Deutschen Journalistenverband hofft, dass sich längerfristig Alternativen zu Twitter durchsetzen werden. Noch sei das aber nicht der Fall. "Auf jeden Fall ist klar, auf Dauer, wenn sich an Musks Haltung nichts ändert, kann Twitter nicht mehr die Heimat von Journalisten und Politikern werden."