Tennis: Kein Aufschlag in Tokio
15. Juli 2021Kennen Sie Maria Camila Osorio? Selbst regelmäßigen Beobachtern der Tennis-Szene ist der Name der jungen kolumbianischen Spielerin nicht so vertraut. Bei den Championships in Wimbledon hat sie sich jüngst durch die Qualifikation gekämpft und dann bis zur dritten Runde durchgehalten. Dann war für die 19-Jährige aus Cucuta in Kolumbien Endstation. Immerhin - sie ist inzwischen Nummer 80 in der Welt.
Doch in Tokio bei den Olympischen Spielen soll die junge Frau ein Stück Geschichte schreiben, jedenfalls wenn man der International Tennis Federation ITF folgt. "History maker!" kündigte die ITF stolz auf ihrem Twitter-Kanal an - mit Blick auf das jugendliche Alter der Spielerin und den Umstand, dass es noch nie eine jüngere Athletin in dieser Sportart aus Kolumbien bei Olympischen Spielen gegeben habe. Aha.
Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass die talentierte Maria Osario beim Olympischen Turnier in Tokio nicht die Massen elektrisieren wird. Schon deshalb, weil gar keine Massen in den Ariake Tennis Park strömen werden. Die Spiele finden ohne Zuschauer statt, die japanischen Gastgeber haben dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nicht den Gefallen getan, generös über die Corona-Infektionszahlen hinwegzusehen, wie das neulich in London und Budapest zur Fußball-Europameisterschaft geschah.
Der Tennis-Wettbewerb steht ohnehin unter keinem so guten Stern. Die Superstars Serena Williams und Rafael Nadal hatten ohnehin schon abgesagt, Simona Halep und Dominic Thiem auch, verletzungsbedingt. Nun könnte man die Frage aufwerfen, ob es den Tennis-Profis immer dann schlechter geht, wenn sie für ihr Land aufschlagen sollen - aber im Fall von Thiem ist es zum Beispiel so, dass er demnächst im Zuge seiner Reha erstmals überhaupt den Schläger wieder halten darf. Das Leben eines Tennis-Profis ist auch ein ständiges Verhandeln mit dem strapazierten Körper. Und daher hat auch die Absage von Roger Federer (39) nicht überrascht (das Knie, immer noch!), selbst wenn er sie als ehemaliger Fahnenträger der Schweiz auf Twitter mit einem aufmunternden Kommentar für die Landsleute versah. "Hopp Schwiz!"
Für das deutsche Team will Alexander Zverev in die japanische Hauptstadt fliegen. Angelique Kerber dagegen hat sich dazu entschieden, nicht nach Tokio zu fliegen. "Die Entscheidung ist mir unendlich schwer gefallen", schrieb die Nummer 22 der Welt in den sozialen Netzwerken. Sie müsse sich
eingestehen, dass ihr "Körper nach den Strapazen der letzten Wochen dringend Ruhe benötigt", begründete die 33-Jährige ihren Schritt.
Europa, Asien, USA, dann wieder Asien?
Denn das Olympische Turnier ist für die Tennis-Berufsspieler und Einzelunternehmer auf den Zirkus-Reisen der Association of Tennis Professionals (ATP) bei den Männern und der Women's Tennis Association (WTA) ohnehin eine eher nachrangige Veranstaltung. Hohe Preis- oder Antrittsgelder gibt es nicht, das Interesse der Sponsoren hält sich - vom Sonderfall des japanischen Tennis-Stars Naomi Osaka einmal abgesehen - in gewissen Grenzen. In London 2012 war das etwas anders, aber da wurde ja auch auf dem Rasen von Wimbledon gespielt, wie schön! Ansonsten: Die Punkte für die Weltrangliste gibt es andernorts, und dann ist da noch die Frage, ob man sich vor der nächsten USA-Tour, die im Spätsommer ansteht, der strapaziösen und auch risikoreichen Reise nach Japan unterziehen soll. Die britische Spielerin Johanna Konta hat nach einem positiven Covid-19-Test für Tokio gestrichen. Werden die Spiele in Japan trotz solch frühzeitiger Kontrollen zum Superspreader-Event?
Das alles wird auch dem gerade frisch gekrönten Wimbledon-Sieger Novak Djokovic durch den Kopf gehen. Er hatte - auf der einen Seite - zu Beginn der Pandemie keine allzu große Angst vor dem Virus erkennen lassen und sich durch sein Verhalten auch als Turnier-Mitveranstalter bei der Adria-Tour 2020 schwere Kritik eingehandelt. So etwas stört den Serben in aller Regel nur bedingt. Djokovic hat - auf der anderen Seite - nach Siegen in Melbourne, Paris und London in diesem Jahr die große Chance auf den "Golden Slam" - sofern er auch bei den US Open in New York gewinnen kann. Dies wäre für Djokovic ein Triumph in einer härteren Währung im Vergleich zu einer olympischen Medaille. Beim Abschied aus der britischen Hauptstadt vor einigen Tagen sprach Djokovic von einer 50:50-Entscheidung, ob er zu den Olympischen Spielen fährt. Nun hat er sich durchgerungen - er wird in Tokio antreten.