Netflix und die Nation: Osaka bei Olympia
13. Juli 2021Nun auch das noch: Eine Barbie-Puppe, die ihren Tennis-Dress der Australian Open 2020 trägt und einen Wuschelkopf hat. So wie Naomi Osaka selbst, wenn sie die Haare offen trägt. Weiß, dünn, makellos - und insoweit auch ziemlich unnatürlich: So konnte man in früheren Zeiten das Wesen dieses Spielzeugs beschreiben. Dass die Tennisspielerin Naomi Osaka einen Monat vor Beginn der Olympischen Spiele in ihrem japanischen Heimatland der Barbie ihren Ruhm leiht, treibt diese Geschichte hier geradezu auf die Spitze. Dabei fängt die Story doch gerade erst an.
Wer immer sich mit der Karriere von Naomi Osaka beschäftigt, dem fällt sofort der 8. September 2018 ein. Jener fatale Tag, als Osaka zwar das Endspiel der US Open gewann, in souveräner Art übrigens. Aber an dem auch ein Großteil der mehr als 23.000 Zuschauer pfiffen und buhten, weil sie die andere Frau siegen sehen wollten - die auch noch einen Eklat gegen den Schiedsrichter provozierte: Serena Williams. Osaka hatte zwar gewonnen, ihren ersten Major-Titel, aber sie weinte und sah bei der Siegerehrung aus wie ein armes, reiches Mädchen.
Serena! Eigentlich eine Unart, Sportlerinnen und Sportler immer beim Vornamen zu nennen. Aber im Zusammenhang mit den großen Figuren dieses Sports hat es sich eingebürgert. Serena eben. Oder Roger und Rafa! Wer auf die Homepage von Osaka geht (die US-amerikanische, nicht die japanische, denn sie hat für jede Zeitzone und Sprache eine eigene), der sieht, dass ihre cleveren Vermarkter des Konzerns IMG das nun ganz ähnlich anlegen: Naomi steht da, gleich oben. Auch darunter, in großen Lettern: NAOMI. Mehr nicht. Die Profisportlerin trägt dazu das Outfit von Louis Vuitton, denn sie ist das junge neue Gesicht der französischen Modemarke. Das Gesicht der US-amerikanischen Jeansmarke Levi's ist sie übrigens auch. Auf dem Tennisplatz trägt sie selbstredend Nike, am Handgelenk Tag Heuer, ziemlich teuer, in den Ohren Kopfhörer von Beats. Sorry an alle Sponsoren, die hier nicht erwähnt wurden. Die Magazine "The New Yorker" und "Sportico" bezifferten ihren Umsatz im zurückliegenden Jahr auf mehr als 50 Millionen Dollar. Damit sei sie die bestverdienende weibliche Athletin in der Geschichte. Sie hat zweimal die Australian Open, zweimal die US Open gewonnen. Sie ist die zweite der Weltrangliste. Sie ist erst 23. Jung. Sorry, Serena!
Wie es ihr wirklich geht? Who knows ...
"I'll see you when I see you." So hatte sie sich im Juni von ihren Fans auf Twitter verabschiedet, als sie wegen des Drucks und ihrer Depressionen nicht mehr mit Journalisten auf den Pressekonferenzten bei den French Open in Paris reden wollte. Und von Depressionen sprach, die sie quälten. Wir sehen uns - wenn ich das will, sollte das wohl bedeuten. Nur wenige wissen, wie es der jungen Frau tatsächlich geht.
Zu dem Zeitpunkt muss schon klar gewesen sein, wann die Mehrzahl ihrer Anhänger wieder etwas von Naomi zu sehen bekommen würden. "Only on Netflix - 16. Juli", kündigt nun der Streaming-Dienst eine Naomi-Osaka-Dokumentation an, die den Weg des jungen Mädchens an die Spitze ihres Sports beschreibt, in der hier üblichen Held*innen-Saga-Tonalität.
Die japanische Mutter Tamaki Osaka ist zu sehen, die Überstunden gemacht und im Auto geschlafen habe, um die Töchter durchzukriegen. Der aus Haiti stammende Vater Leonard Francois, der ihr den Stolz seiner Herkunft mitgegeben und der sich durchgesetzt habe gegen die vielen Vorurteile, dass es die Tochter niemals weit bringen werde. Und Naomi Osaka selbst, die sich dem Rassismus entgegenstellt. In den USA und anderswo. Und damit schließt sich der Kreis zu den Olympischen Spielen.
Cover-Lady der Vogue
Denn in Japan erwartet man, dass Naomi zu einem der Gesichter der Spiele wird. Gerade ist sie auf dem Cover der japanischen Vogue, der Mode-Bibel, die sich so sehr weltweit um mehr Diversität bemüht. Ob sie sogar die Fahne in Tokio trägt? "I'll see you when I see you." Für die in der west-japanischen Stadt Osaka geborene junge Frau wäre das die ultimative Aufgabe. Und Genugtuung zugleich. Ihr Großvater, so geht die Saga, habe ihre Mutter verstoßen, nachdem diese einen Mann mit dunkler Hautfarbe geheiratet hatte.
Was bin ich?
Es gibt im japanischen ein häßliches Wort: "Hafu". Ein Halber. Halb-Japaner, Halb-Ausländer. Keiner von uns. Rassistisch.
Viel zu lange, erzählt Naomi der Netflix-Regisseurin und Dokumentarfilmerin Garrett Bradley, sei ihr Wert an ihren sportlichen Erfolgen bemessen worden. Dabei gehe es doch auch um die Frage: "Was bin ich, wenn ich keine gute Tennisspielerin bin?" Der Satz klingt nach. Wenn die Tage von Tokio vorbei sind, wird man es ein bisschen mehr wissen.