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Wasser: Kriegsgrund oder Friedenschance?

Ruby Russell
7. April 2022

Staudammprojekte sollen Betreiberländern Strom und Wasser liefern. Oft zum Ärger der Nachbarstaaten. Dabei könnte das Teilen knapper Wasserressourcen Kooperation statt Konflikte fördern - auch in Zeiten des Klimawandels.

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BG Staudämme und Folgen | Wasserkraftwerk Jinghong China
Bild: Yang Zheng/Imaginechina/picture alliance

Kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine meldete Russland, seine Armee habe einen Staudamm am Nord-Krim-Kanal bombardiert. Diesen Damm hatte die Ukraine nach der russischen Annexion der Krim 2014 errichtet und der Halbinsel auf diese Weise regelrecht den Hahn abgedreht: Die lebenswichtige Wasserversorgung des besetzten Gebietes war damit blockiert, massiver Wassermangel die Folge.

Zwar wird der Krieg in der Ukraine nicht um die Wasserversorgung der Krim geführt. Doch der Damm sei ein Beispiel, wie die Macht über das Wasser als politisches Druckmittel eingesetzt werde, sagt Ashok Swain, Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der schwedischen Universität Uppsala und ehemaliger UNESCO-Lehrstuhlinhaber für internationale Wasserkooperation.

Dass Wasser seit Jahrtausenden Auslöser von Konflikten ist und teils sogar als Waffe eingesetzt wird, zeigt eine Untersuchung des gemeinnützigen Pacific Institute aus den USA, das seit mehr als 30 Jahren zur globalen Süßwasserversorgung forscht.

Gemeinsame Wasserressourcen können aber auch eine Chance für Zusammenarbeit sein. Selbst auf der Krim, so Ashok, hätte die internationale Gemeinschaft, wenn sie Russland und die Ukraine in die Lösung der humanitären Wasserfrage einbezogen hätte, beiden Staaten "ein Forum bieten können, um zu verhandeln und Lösungen zu suchen - für das Wasserproblem aber auch für andere Probleme".

Wasser aus Lesotho: Wer zahlt die Zeche?

Wasser - Anlass für Spannungen weltweit

Etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung lebt an Flüssen, die internationale Grenzen überschreiten. Darunter sind auch Gebiete, die wegen des Klimawandels unter zunehmenden Dürreperioden leiden. Die Frage nach der gerechten Aufteilung der lebenswichtigen Wasserressourcen führt weltweit zu großen Spannungen.

Im Februar wurde der Grand Ethiopian Renaissance Dam, GERD, am Blauen Nil in Betrieb genommen. Der größte Staudamm Afrikas soll mit seinen Wasserkraftwerken Äthiopien mit Strom versorgen. Ägypten und der Sudan haben sich lange gegen den Bau des Nil-Staudammes gewehrt. Die Anrainer fürchten, dass der Damm zu viel Wasser zurückhalten könnte, welches den Staaten flussabwärts dann für die Bewässerung der landwirtschaftlichen Anbauflächen fehlen würde.

Eine Person schöpft mit der Hand Wasser aus dem Mekong in Thailand
Chinesische Staudämme haben dazu geführt, dass der Mekong in Thailand und Kambodscha weniger Wasser führtBild: LILLIAN SUWANRUMPHA/AFP

Chinas Staudämme entlang des Mekong-Flusses werden für Dürren in Thailand und Kambodscha verantwortlich gemacht. Und die Spannungen zwischen den Rivalen Indien und Pakistan nehmen wegen des gemeinsamen Wassers im Einzugsgebiet des Indus zu.

Echte Wasserkonflikte oder Ablenkungsmanöver?

Die Online-Plattform Water Peace and Security, die unter anderem vom IHE Delft World Resources Institute betrieben wird, zeigt eine Karte unseres Planeten, auf der all die Stellen markiert sind, an denen die Spannungen um das Wasser in Gewalt umzuschlagen drohen.

Scott Moore hat in einem Buch Konflikte rund um das Thema Wasser untersucht. Es sagt: Die Ursachen für solche Unruhen seien eher innenpolitisch zu suchen statt in zwischenstaatlichen Konflikten.

Laut Moore eskalieren internationale Spannungen im Zusammenhang mit Wasser eher selten zu einem ausgewachsenen Konflikt. Und wenn Streitigkeiten aufflammten, dann sei Wasser oft nur ein Stellvertreter für andere Probleme. "Geopolitische Spannungen oder wirtschaftliche Streitigkeiten werden auf das Wasser übertragen."

So könnten am Mekong ganz unterschiedliche Faktoren zu niedrigen Wasserständen in den Anrainerstaaten flussabwärts führen. Die betroffenen Staaten führten das Problem jedoch auf massiven Bau von Staudämmen durch die Chinesen zurück. "Die Nachbarländer sind zunehmend besorgt über die Folgen von Chinas wachsender Macht, und ich denke, das spiegelt sich auch in der Wasserproblematik wider", so Moore. 

Wie die Dürre im Nahen Osten die Politik bestimmt

Die Wasserknappheit im Iran hat seit vergangenem Sommer Proteste ausgelöst, die als "Aufstand der Durstigen" bezeichnet werden. Gleichzeitig sind die Spannungen in den langjährigen Streitigkeiten mit dem Nachbarstaat Afghanistan über den dortigen Kamal-Khan-Staudamm flussaufwärts am Helmand-Fluss wieder aufgeflammt.

Susanne Schmeier ist Honorar-Professorin für Wasserrecht und Wasserdiplomatie am IHE in Delft in den Niederlanden, einem UNESCO-Institut, das sich weltweit um die Bildung und Ausbildung rund um die Themen Wasser und Wasserversorgung kümmert. Viele Beschuldigungen, etwa dass Nachbarländer Wasser horten würden, seien vielfach bequeme Strategien, um von nationalen Problemen wie hohen Wasserpreisen oder ineffizienter Wasserinfrastruktur abzulenken, sagt Schmeier.

Menschen stehen in Rauchschaden auf und unter einer Brücke über einen trockengefallenen Fluss in Isfahan, Iran
Proteste gegen Wasserknappheit in Isfahan Bild: IRNA

"Immer wenn der Iran mit starken Wasserkrisen im eigenen Land konfrontiert ist, etwa mit Protesten von Landwirten oder Konflikten zwischen Stadtbewohnern und Landwirten", erklärt Schmeier, "gibt es gleichzeitig immer viele Äußerungen iranischer Politiker gegenüber Afghanistan, die sagen: Wir wollen unseren gerechten Anteil am Fluss."

Und während der Iran seinen flussaufwärts gelegenen Nachbarn beschuldigt, Wasser zu horten, baut er selbst Staudämme, wie am Helmand und anderen Flüssen, einschließlich eines Nebenflusses des Tigris, der weiter in den Irak fließt. Der Irak wiederum hat selbst Probleme mit Wasserknappheit.

Das unter der Dürre leidende Land macht sowohl den Iran als auch die Türkei für seinen Wassermangel verantwortlich. Die Türkei hat am Tigris und am Euphrat Staudämme gebaut. Der Irak und auch Syrien behaupten nun, dass diese Dämme sie stromabwärts regelrecht auf dem Trockenen sitzen lassen.

Der Klimawandel verschärft die Spannungen

Beim Bau des Atatürk-Damms in den 1980er Jahren hatte sich die Türkei verpflichtet, 500 Kubikmeter Euphrat-Wasser pro Sekunde über den Damm in das benachbarte Syrien abzugeben. Die Türkei macht nun den Klimawandel dafür verantwortlich, dass die Wassermenge derzeit deutlich geringer ist. Die syrischen Kurden auf der anderen Seite der Grenze sind dagegen der Ansicht, dass die Türkei die Wassermengen drosselt, um so Druck auf die Kurdengebiete auszuüben.

Laut Swain sind auch die Spannungen um den äthiopischen Mega-Staudamm GERD auf eine Gemengelage geopolitischer und klimatischer Faktoren zurückzuführen. Theoretisch könnte der Damm für beide Seiten von Vorteil sein: Die stromabwärts gelegenen Länder Ägypten und Sudan könnten den billigen Strom nutzen. Gleichzeitig könnte der Damm zur Regulierung des Nils genutzt werden, um Überschwemmungen zu vermeiden, die in den vergangenen Jahren große Gebiete im Sudan zerstörten.

Dennoch bleibt die Frage, was passiert, wenn Äthiopien in mehreren aufeinanderfolgenden Trockenjahren Wasser zurückhält, um das Reservoir ausreichend zu füllen. "Das ist der Grund, warum diese Angst aufkommt - es ist der Klimawandel", sagt Swain.

Politikum Wasser

Die internationale Zusammenarbeit bei der Bewirtschaftung des Nils könnte einfacher sein, wenn die Staaten flussauf- und -abwärts nicht zu unterschiedlichen geopolitischen Lagern gehören würden. "Die Welt hat sich in zwei Lager geteilt - Äthiopien wird von China und Russland unterstützt", sagt Swain, "während Ägypten und der Sudan eher dem Westen zugeneigt sind."

In der Ukraine, so meint Mehmet Altingoz, der an der US-amerikanischen Universität von Delaware über grenzüberschreitendes Management forscht, hätte eine Einigung auf die humanitäre Frage der Wasserversorgung der Krim dazu beitragen können, die Spannungen entlang genau dieser Kluft zu verringern.

"Die NATO und der Westen haben eine Gelegenheit verpasst, die Spannungen in der Region abzubauen - sie hätten die Ukraine ermutigen sollen, einen Weg zu finden, wie sie die Krim mit Wasser mitversorgen können", heißt es in einem Artikel, den er kürzlich mitverfasst hat.

"Es ist nicht schwer, in Umweltfragen zusammenzuarbeiten", so Altingoz zur DW. Seine eigenen Recherchen beziehen sich in erster Line auf die Türkei und Armenien. Die beiden Länder unterhalten keine diplomatischen Beziehungen. Sie sind aber gemeinsame Eigentümer eines Staudamms aus der Sowjetzeit, der an ihrer Grenze liegt.

Jeden Monat, so Altingoz, treffe sich ein technischer Ausschuss, der sich aus Mitgliedern der rivalisierenden Nationen zusammensetzt, um zu entscheiden, wie das Wasser aufgeteilt werden soll. "Es gibt in dieser Frage eine umfassende Zusammenarbeit. Und wir haben festgestellt, dass sich dadurch die Beziehungen vor Ort insgesamt verbessert haben."

Kooperation statt Konflikt

Nach Angaben der Vereinten Nationen wurden seit 1948 fast 300 internationale Wasserabkommen unterzeichnet. Die allermeisten von ihnen machen kaum Schlagzeilen.

"Es gibt weitaus mehr Fälle und Beispiele für die Zusammenarbeit im Bereich gemeinsamer Wasserressourcen als Fälle und Beispiele für Konflikte", sagt Moore mit Blick auf die internationalen Abkommen.

Obwohl es zwischen Indien und Pakistan regelmäßig zu Spannungen wegen des Wassers kommt, haben die rivalisierenden Nationen im Rahmen des Indus-Wasservertrags, der in den 1960-er Jahre unterzeichnet wurde, zusammengearbeitet, berichtet Susanne Schmeier vom IHE. Das sei sogar dann der Fall gewesen, als die Spannungen zunahmen. "Indien und Pakistan haben sich im Rahmen des Vertrags immer wieder getroffen, selbst als sie am Rande eines Atomkriegs standen."

Blick über grüne Hügel auf eine Donauschleife in Ungarn
Mit 19 Ländern, die sich ihr Einzugsgebiet teilen, war die Donau im Laufe der Jahrhunderte sowohl eine Quelle der Spannung als auch der Zusammenarbeit Bild: Volker Preußer/imago images

Sie verweist auch auf den Stabilitätspakt, der nach dem Krieg in den 1990-er Jahren zur Befriedung des Balkans beigetragen hat. Das gemeinsame Wasser der Donau war Ausgangspunkt für die Zusammenarbeit der Balkanstaaten.

"Sie handelten ein Abkommen aus, gründeten eine Organisation von Flussanrainern und rückten so näher zusammen. Das hatte auch Auswirkungen auf den Handel, die Beseitigung der Hinterlassenschaften des Krieges und viele weitere Bereiche”, so Schmeier.

Eine Adaption aus dem Englischen von Tabea Mergenthaler und Jeannette Cwienk