Proteste wegen Dürre im Iran
21. Juli 2021Seit Mitte Juli kommt es immer wieder zu Protesten in der Provinz Chusestan. Dürre und Wasserknappheit treiben die verzweifelten Menschen auf die Straßen. Sie sind wütend auf die Regierung und deren mangelhaftes Wassermanagement. Laut offiziellen Angaben sind bei den Protesten bislang vier Männer und ein Polizist ums Leben gekommen. "Unbekannte Krawallmacher haben sie erschossen, um Unruhe zu stiften", behaupten die Behörden.
Die Angst der Regierung vor einer Ausweitung der Proteste ist groß. Das Internet wurde wiederholt abgeschaltet, um die Kommunikation der Demonstranten untereinander zu stören. Zugleich soll damit die Verbreitung von Bildern und Videos von Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften verhindert werden.
Trotzdem haben sich die Proteste auf weitere Provinzen ausgeweitet. Am 23.Juli ist ein 20-jähriger Demonstrant in der Stadt Aligoudarz in der westlichen Provinz Lorestan ums Leben gekommen. Laut Amnesty International haben die Sicherheitskräfte bis zum 23.Juli in sieben Städten des Irans mindesten acht Menschen mit scharfen Munitionen getötet.
Nach Chusestan würden zusätzliche Sicherheitskräfte geschickt, berichten Journalisten vor Ort. Auch eine Delegation mit Vertretern der Innen-, Energie- und Landwirtschaftsministerien wurden in die Provinz entsandt. Sie sollen in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden "rasch" für eine Lösung der Probleme sorgen, sagte der Stabschef des Präsidialamtes, Mahmud Waesi, der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA.
Staudammbau verschärft Probleme
"Das Problem der Wasserknappheit und ihre Bedrohung für die nationale Sicherheit ist seit mehr als 30 Jahren bekannt", sagt der Umweltexperte Nik Kowsar im Gespräch mit der Deutschen Welle. Kowsar lebt derzeit in Washington D.C. Seit den 1990er Jahren recherchiert und schreibt er kritische Beiträge über das Wassermanagement im Iran und die Pläne der Regierung für die Förderung des Wirtschaftswachstums durch den Bau von Staudämmen.
Laut offiziellen Angaben hat der Iran in den letzten 40 Jahren die Zahl seiner Staudämme in etwa verzehnfacht, auf inzwischen 192. "Die Regierung sucht nach schnellen Lösungen, die kurzfristig Erfolge versprechen. Kritische Stimmen sind nicht erwünscht und werden ignoriert. Zum Beispiel, dass man in einem trocknen Land wie dem Iran grundsätzlich keine großen Staudämme bauen sollte, weil zu viel Wasser der Stauseen verdunstet."
Laut dem Leiter des iranischen Wetterdienstes waren die Monate von Oktober 2020 bis Mitte Juni 2021 die trockensten Monate in den vergangenen 53 Jahren. Die Durchschnittstemperatur im Iran sei im vergangenen halben Jahrhundert um zwei Grad gestiegen.
Die Regenmenge dagegen ist in den vergangenen 20 Jahren um bis zu 20 Prozent gesunken. Trotzdem hat das Energieministerium im selben Zeitraum vier neue Staudämme allein am Karun errichten lassen.
Der Karun ist der einzige schiffbare Fluss des Iran, theoretisch. Jetzt ist der größte Fluss des Landes ausgetrocknet. Wenn der Wind weht, wirbelt er aus dem 500 Meter breiten Flussbett mitten in der 1,3 Millionen Einwohner zählenden Stadt Ahwaz Staub auf. Ahwaz liegt etwa 200 Kilometer landeinwärts vom Nordufer des Persischen Golfs entfernt. Die ganze Provinz Chusestan ist ausgetrocknet, eine Region, die einst wegen ihres Wasserreichtums vor 3000 Jahren die Quelle der persischen Kultur war.
Um die akute Wasserknappheit in Chusestan zu lindern, wurden jetzt zusätzliche Abflüsse der zwei großen Staudämme Kharkhe und Dez geöffnet, berichtete die Nachrichtenagentur ISNA unter Berufung auf den Energieausschuss des Parlaments am Dienstag.
Damit soll der Wasserpegel in den Flüssen der Provinz angehoben werden. Dort leiden Landwirte und ihr Vieh unter der seit Wochen anhaltenden Dürre mit Temperaturen von bis zu 50 Grad.
Immenser Wasserbrauch der Landwirtschaft
Der aktuelle Wassermangel sei auch die Folge eines falschen Verständnisses von Entwicklung und Fortschritt in der Landwirtschaft, kritisieren Umweltexperten. Die Regierung setzt - auch wegen der Sanktionen und des Drucks von außen – weiterhin auf größtmögliche Selbstversorgung.
Entsprechend fördert sie die Landwirtschaft und lässt die Übernutzung der Wasservorräte durch Tiefbrunnen zu. In der Provinz Chusestan wird traditionell Reis und Zuckerohr angebaut, beides bedingt großen Wasserverbrauch. 90 Prozent des gesamten Wasserverbrauches im Iran gehen auf das Konto der Landwirtschaft.
"Es gibt keinen Plan für eine systematische Entwicklung, bei der die Wasserressourcen des Landes erhöht und gleichzeitig der Verbrauch reguliert und optimiert wird. Und das, obwohl die Probleme seit knapp 30 Jahren bekannt sind", kritisiert Ali Nazemi von der Concordia-Universität im kanadischen Montreal.
In einem wissenschaftlichen Beitrag, der Ende April auf der Webseite "Scientific Reports" des Magazins "Nature" veröffentlicht wurde, zeigen Nazemi und seine Kollegen auf, wie stark in den vergangenen 14 Jahren die Grundwasser-Reserven des Irans zurückgegangen sind: 76 Prozent der Fläche des Irans leiden demnach unter der exzessiven Ausbeutung der Grundwasservorräte, vor allem durch die Landwirtschaft.
Manche Regionen im Süden und Osten des Landes, die als trocken oder sehr trocken gelten, drohen auf Dauer unbewohnbar zu werden, warnen Experten seit Jahren. Millionen Iraner könnten zu Binnenflüchtlingen werden.