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Politik

Wasser als Waffe in Nordsyrien?

25. März 2020

Im nordsyrischen Kurdengebiet wird das Wasser in Zeiten von Corona knapp. Dschihadistische Milizen im türkisch kontrolliertem Gebiet sollen das wichtigste Wasserwerk der ganzen Region abgestellt haben.

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Symbolbild Syrien Wasserwerk
Bild: Imago/EST&OST

Anfang der Woche wurde der erste Corona-Fall in Syrien offiziell bestätigt. Ausgerechnet jetzt wird in den kurdisch verwalteten Gebieten Nordsyriens das Wasser knapp. Der Grund: Das wichtigste Wasserwerk für die Versorgung von rund einer halben Million Menschen liefert nicht mehr.

Das hat wohl weniger technische als vielmehr politische Gründe. Denn das rund zehn Kilometer östlich von Serekaniye (arabisch: Ras al Ain) gelegene Pumpwerk Alouk steht unter Kontrolle der Türkei und mit ihr verbündeter Milizen.

Es versorgt aber die unter kurdischer Selbstverwaltung stehenden Gebiete Nordsyriens und ist der Türkei ein Dorn im Auge. Deshalb hatte sie auch im vergangen Oktober in einer ausgerechnet "Operation Friedensquelle" genannten Invasion Teile des syrischen Kurdengebietes entlang der türkischen Grenze besetzt. Wodurch eben auch das Wasserwerk Alouk in türkische Hände fiel.

Wasserunterbrechung kommt zu einem fatalen Zeitpunkt

Fest steht: Seit letztem Samstag (21.3.) kommt von Alouk kein Wasser mehr. Das bestätigt Misty Buswell vom International Rescue Committee, IRC, gegenüber der Deutschen Welle. Bereits seit vergangenem Oktober, schreibt die IRC-Regionaldirektorin für den Nahen Osten, sei es immer wieder zu Lieferunterbrechungen gekommen.

Angesichts der ersten Corona-Fälle in Syrien aber, fährt Buswell in ihrem schriftlichen Statement fort, "hätte die neuerliche Wasserunterbrechung zu keinem schlimmeren Zeitpunkt kommen können".

Besondere Sorgen macht sich Buswell um die Menschen in den Flüchtlingslagern der Kurdenregion. Allein im ebenfalls von der Versorgungsunterbrechung betroffenen Lager Al-Hol leben aktuell 67.000 Menschen auf engstem Raum. Die hygienischen Bedingungen in diesem wie auch in anderen Lagern seien ohnehin schon schlecht.

Syrien, Al-Hasakeh: Flüchtlingslager  Al-Hol
Menschenschlangen winden sich durch die provisorischen Strassen des Lagers Al-HolBild: Getty Images/AFP/F. Senna

Bei abgeschnittener Wasserversorgung werde es für die Menschen aber unmöglich, einfachste Gesundheitsmaßnahmen wie das Waschen der Hände zu befolgen. "Sollte Corona die Lager erreichen, wird die Krankheit sich dort wie ein Lauffeuer verbreiten", warnt die IRC Regionaldirektorin aus ihrem Büro im jordanischen Amman. 

Letzte Hoffnung Feuerwehrfahrzeuge

Die kurdische Regionalverwaltung versucht, die Wasserversorgung mit Tanklastwagen aufrechtzuerhalten. Zuweilen würden dafür auch Feuerwehrfahrzeuge eingesetzt, berichtet Michael Wilk der Deutschen Welle. Der Arzt aus Wiesbaden leistet seit Jahren regelmäßig medizinische Hilfe in der selbstverwalteten Kurdenregion.

Gerade erst habe er mit dem Chef des kurdischen Roten Halbmondes in der Rojava genannten Region gesprochen, erzählt Wilk. Der sei mit "seinen Kräften am Ende und völlig fertig", berichtet der deutsche Mediziner.

Die medizinische Versorgung sei auch mit fließendem Wasser schon schwierig. Die Ärzte könnten nur eine Basisversorgung für die Region bereitstellen. Für Intensivmedizin, weiß Wilk aus eigener Erfahrung, fehlt es an Geräten. Corona-Fälle könnten derzeit nur an Symptomen erkannt werden.

Labore für die Auswertung von Tests gebe es allein in der syrischen Hauptstadt Damaskus. Dass in dieser prekären Lage die Seuchenprophylaxe durch eine unterbrochene Wasserversorgung weiter erschwert wird, empört Wilk.

Kurden werden erneut allein gelassen

Der Arzt erinnert daran, dass es gerade ein Jahr her ist, dass kurdische Milizen den sogenannten Islamischen Staat in seinem letzten Zufluchtsort Baghouz besiegt haben.

Ein Kampf, bei dem die Kurden mit über 11.000 Gefallenen einen hohen Blutzoll bezahlt haben. Gedankt wurde ihnen ihr Einsatz nicht, kritisiert Wilk. Stattdessen "ließe man die Kurden erneut hängen".

Nordsyrien - Arzt Michael Wilk behandelt verletzte
Der Arzt Michael Wilk behandelt verletzte in NordsyrienBild: M. Wilk

Dazu kommt: Der Islamische Staat ist nicht endgültig besiegt. Aus der internen Propaganda des IS geht hervor, dass man sogar plant, die Pandemie für eigene Zwecke zu nutzen. 

"Alles, was die prekäre Lage in den Kurdengebieten verschärft, bestärkt die Islamisten", bestätigt Michael Wilk.

Machtkampf in Nordsyrien verschärft die Lage der Zivilbevölkerung

Erst Anfang März habe es einen Aufstand in einem Gefängnis in Hasakeh gegeben, in dem 5.000 IS-Kämpfer von kurdischen Milizen bewacht werden, berichtet Felix Anton der DW in einem Chat. Der Deutsche lebt als Internationaler Freiwilliger seit zwei Jahren im nordsyrischen Kurdengebiet.

Anton erinnert auch an die rund 10.000 ausländischen IS-Frauen im Lager Al-Hol – wo auch deutsche IS-Familien inhaftiert sind. Auch dort könne es bei Verschlimmerung der Lage zu Aufständen zu kommen.

Laut Kamal Sido von der Gesellschaft für bedrohte Völker, GfbV, könnten sogar bis zu einer Million Menschen von der Kappung der Wasserversorgung betroffen sein. Im Gespräch mit der DW stellt der GfbV-Nahostexperte klar, wer seiner Meinung nach für die Verschärfung der Lage zu verantworten hat: die Türkei.

Deren Vorgehen zeige, "dass ihr jedes Mittel recht ist, um ihre Macht in Nordsyrien zu festigen und die autonome Selbstverwaltung der dort lebenden Zivilbevölkerung zu bekämpfen. Mit dieser Politik tritt die Türkei das humanitäre Völkerrecht mit Füßen."

Matthias von Hein
Matthias von Hein Autor mit Fokus auf Hintergrundrecherchen zu Krisen, Konflikten und Geostrategie.@matvhein