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Neil Young verlässt Spotify

Brenda Haas | Maria John Sánchez
27. Januar 2022

Neil Young lässt seine Musik beim Streamingdienst entfernen aus Protest gegen Joe Rogan. Der US-Comedian soll in seinem Podcast Corona verharmlosen.

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Musiker Neil Young
"Sie können Rogan oder Young haben. Nicht beide", schrieb Neil Young in seinem StatementBild: Rebecca Cabage/Invision/AP/picture alliance

"Spotify ist zu einem Ort geworden, wo lebensbedrohliche Falschinformationen über Covid-19 verbreitet werden. Lügen werden hier gegen Geld verkauft". Neil Young lässt den Worten auf seiner Website Taten folgen und lässt all seine Songs auf der Streaming-Plattform Spotify entfernen. Und das obwohl der kanadisch-amerikanische Sänger damit, laut eigenen Angaben, 60 Prozent seiner Streaming-Einnahmen verliert. 

Young hatte Spotify bereits Anfang der Woche aufgefordert, den Podcast des umstrittenen US-Podcasters Joe Rogan zu entfernen, da dieser Falschinformationen über das Coronavirus verbreite. In einem inzwischen gelöschten Text an seinen Manager und sein Plattenlabel erklärte Young: "Sie können Rogan oder Young haben. Nicht beide". 

Der kanadisch-amerikanische Sänger lenkt damit die Aufmerksamkeit auf ein bis dato wenig diskutiertes Thema: Desinformation auf Podcast-Streaming-Plattformen wie Spotify. Young wirft Spotify vor, dass die von ihnen verbreiteten Falschinformationen über Impfstoffe "möglicherweise den Tod derjenigen zur Folge habe, die diesen von ihnen verbreiteten Desinformationen Glauben schenken".

links: Porträt von Neil Young, rechts: Porträt von Joe Rogan.
Verhärtete Fronten: Sänger Neil Young (links) und Podcaster Joe Rogan (rechts)Bild: AP Photo/picture alliance

"Eine Bedrohung für die Gesundheit der Bevölkerung"

Neil Young ist nicht der Erste, der Joe Rogan und Spotify kritisiert. Anfang diesen Monats schrieb eine Gruppe von mehr als 270 Wissenschaftlern, Ärzten und Krankenpflegern einen offenen Brief an Spotify. Darin forderten sie den Streaming-Riesen dazu auf, seine Hörer vor einigen der Ansichten und (Falsch-)Informationen zu warnen, die Rogan und einige seiner medizinisch ausgebildeten Gäste verbreiteten. So behauptete der Kardiologe Dr. Peter McCullough in dem Podcast, dass die Corona-Impfstoffe "experimentell" seien und die Pandemie "geplant" sei.

In einer anderen Folgen des Rogan-Podcasts wurde die Wirksamkeit der Corona-Impfstoffe in Frage gestellt, jungen Menschen von einer Impfung abgeraten und behauptet, dass Krankenhäuser zu ihrem finanziellen Vorteil fälschlicherweise Corona-Todesfälle diagnostizierten.

"Mit geschätzten 11 Millionen Zuhörern pro Folge ist JRE [The Joe Rogan Experience], das ausschließlich von Spotify angeboten wird, der größte Podcast der Welt und hat einen enormen Einfluss", heißt es in dem Brief, der inzwischen mehr als 1000 Unterschriften hat und auch in den Sozialen Netzwerken rege geteilt wurde.

Katrine Wallace, Epidemiologin an der Fakultät für öffentliche Gesundheit der Universität Illinois Chicago und Mitunterzeichnerin des Briefes, sagte dem Musikmagazin Rolling Stone, sie halte Rogan mit seiner Anti-Impf-Ideologie für eine "Gefahr für die öffentliche Gesundheit". In dem Podcast würden Randtheorien präsentiert, die nicht wissenschaftlich untermauert seien, wodurch man als Zuhörer den Eindruck gewinne, dass das Thema zwei Seiten habe. "Das ist aber nicht der Fall. Alles spricht dafür, dass der Impfstoff wirkt und sicher ist", stellt Wallace klar. 

In dem offen Brief wird nicht gefordert, den Podcast selbst zu verbieten, aber der Streamingdienst solle seine Geschäftspolitik überarbeiten: "Obwohl Spotify die Verantwortung hat, die Verbreitung von Falschinformationen auf seiner Plattform einzudämmen, hat das Unternehmen derzeit dazu keine Richtlinien etabliert."

Podcasts: eine lohnende Investition

Spotify, das als reiner Streaming-Dienst für Musik begonnen hatte, startete 2018 mit Podcasts und hat seitdem stark in diesen Sektor investiert. Ein wichtiger Grund sei, dass dort Exklusivrechte viel leichter zu bekommen seien als im Musikgeschäft: "Im Musikbereich wollen Musiker und Labels eine breite Distribution und auch die Konsumenten wollen, dass die Musik auf allen Plattformen verfügbar ist", sagt Jürgen Seitz, Medienwissenschaftler an der Hochschule der Medien in Stuttgart, gegenüber der DW.

Das schwedische Unternehmen habe erkannt, dass es sich – Netflix hat es vorgemacht – von der Konkurrenz abheben könne, indem es exklusive Inhalte für Nutzer produziere und lizenziere, so Seitz weiter. Spotify habe zahlreiche Podcast-Dienste wie Gimlet oder Podz für mehr als eine halbe Million Dollar (rund 447.000 Euro) aufgekauft und Verträge mit Podcastern abgeschlossen, "und so wanderten Podcasts aus dem freien Internet in das Abo von Spotify", erklärt Seitz.

Teil dieser Strategie war auch der Kauf von bereits bestehenden Podcasts: 2020 sicherte sich Spotify die Exklusivrechte an "The Joe Rogan Experience" (JRE) des gleichnamigen US-amerikanischen Stand-Up-Comedians und TV-Stars, für den das Unternehmen Schätzungen zufolge stolze 100 Millionen Dollar (rund 90 Millionen Euro) zahlte. Im Jahr drauf - 2021 - war JRE der weltweit beliebteste Podcast von Spotify.

Spotifys Dilemma: Musik oder Podcasts? 

Jürgen Seitz zufolge habe schon von vorneherein Unsicherheit darüber geherrscht, ob die Übernahme des Podcasts ein kluger Schritt seitens Spotify gewesen sei. "Schon damals war klar, dass Joe Rogen unter anderem mit sehr kontroversen Inhalten bekannt geworden ist", so Seitz.

Und wenn Musiker wie Young dann damit drohen, ihr Material von der Plattform zurückzuziehen, könnte sich das als kostspieliges Dilemma erweisen. Zwar ist Spotify gut im Geschäft, kann aber beispielsweise nicht mit den großen Playern im Videobereich wie Netflix mithalten. Dazu fielen zu viele Abgaben an die Musik-Labels an, so Seitz weiter. Zudem stehe Spotify in einem hartem Wettbewerb mit YouTube und Apple.

"Und wenn jetzt noch hinzukommt, dass man Musikern vielleicht entgegenkommen muss, ihnen mehr Geld zahlen muss dafür, dass sie eben nicht aussteigen und man gleichzeitig beim Podcast-Angebot gewisse Folgen sperren muss, dann ist das durchaus eine kritische Situation für Spotify", erklärt Jürgen Seitz.

Zeit für eine genaue Prüfung?

Während Plattformen wie Facebook und Twitter über Richtlinien für die Verbreitung von Falschinformationen verfügen, wurden Audio-Streaming-Dienste bisher noch nicht so genau unter die Lupe genommen. Dabei könnten über Audioinhalte leicht Falschinformationen verbreitet werden, wie die US-amerikanische Wissenschaftlerin Valerie Wirtschafter in einem Interview mit dem US-amerikanischen Rundfunkproduzenten NPR konstatiert: "Der Podcaster ist in deinem Ohr. In dieser Hinsicht ist es eine einzigartige Beziehung. Er gewinnt ein gewissen Maß an Autorität und Glaubwürdigkeit bei den Zuhörern."

Spotify Logo
Spotify ist die größte Streaming-Plattform für PodcastsBild: Fabian Sommer/dpa/picture alliance

Nicht nur Spotify, auch andere große Podcast-Plattformen sind im Umgang mit Falschinformationen noch nicht wirklich konkret geworden. Apple Podcasts - einer der größten Konkurrenten Spotifys - schreibt in seinen Richtlinien zwar, dass "Inhalte, die schädliche oder gefährliche Folgen haben können" nicht erlaubt seien. Zum konkreten Umgang mit Fake News und Desinformationen ist jedoch nichts formuliert.

Die Richtlinien von Google Podcasts, das in den USA und Europa ebenfalls zu den Top-Podcast-Anbietern gehört, enthalten indes einen kleinen Abschnitt zum Thema Falschinformationen im Wahlkampf. Darin heißt es: "Sollten Informationen zu Wahlen nicht mehr aktuell sein oder aus nutzergenerierten Quellen stammen, werden sie möglicherweise entfernt". Konkretere Informationen gibt es jedoch nicht. 

Spotify hat Episoden vom Rogan-Podcast in der Vergangenheit entfernt

Zurück zu Spotify: das Unternehmen hat in der Vergangenheit wiederholt Inhalte entfernt, die es als gefährlich oder fehlerhaft einstufte - darunter auch Inhalte über Corona. Laut einem Bericht der Digital Music News aus dem Jahr 2021 hat Spotify sogar 42 Folgen des Rogan-Podcasts entfernt, in denen Gäste mit kontroversen Ansichten zu hören waren. Dazu gehörten der Verschwörungstheoretiker David Seaman und der Komiker Chris D'Elia, der im Juni 2020 beschuldigt wurde, minderjährige Mädchen sexuell belästigt zu haben.

Im August 2021 wurde der Gründer und CEO von Spotify, Daniel Ek, im investigativen Axios Re:cap-Podcast gefragt, ob Spotify die redaktionelle Verantwortung für seine Podcasts, einschließlich dem von Rogan, trage. Ek antwortete, das Unternehmen habe keine Pläne, weitere Rogan-Episoden herunterzunehmen und fügte an: "Wir haben auch viele sehr gut bezahlte Rapper auf Spotify, die jedes Jahr Dutzende von Millionen Dollar, wenn nicht mehr, mit Spotify verdienen. Und wir schreiben ihnen auch nicht vor, was sie in ihren Songs verbreiten", so Ek weiter.

Bild von Daniel Ek
Der Kopf hinter dem schwedischen Streamingdienst: Spotify-Gründer und Leiter Daniel EkBild: Vesa Moilanen/Lehtikuva/dpa/picture alliance

Kurz zuvor, im Mai 2021, hat das Unternehmen indes den Song "Little Seed Big Tree" des ehemaligen Stone-Roses-Frontmann Ian Brown entfernt. Darin singt Brown darüber, dass Menschen Microchips mithilfe der Impfstoffe eingesetzt würden. Im Januar diesen Jahres wurde auch der Podcast des ehemaligen Starkochs und Verschwörungstheoretiker Pete Evans runtergenommen, da er Falschinformationen über Corona enthielt.

Auf eine Anfrage der DW antwortete das Unternehmen mit einer offiziellen Erklärung: "Wir wollen, dass alle Musik- und Audioinhalte der Welt für Spotify-Nutzer verfügbar sind. Das bringt eine große Verantwortung mit sich, wenn es darum geht, ein Gleichgewicht zwischen der Sicherheit der Hörer und der Freiheit der Urheber herzustellen. Wir verfügen über detaillierte Inhaltsrichtlinien und haben seit Beginn der Pandemie über 20.000 Podcast-Episoden mit Bezug zu COVID-19 entfernt. Wir bedauern Neils Entscheidung, seine Musik von Spotify zu entfernen, hoffen aber, ihn bald wieder begrüßen zu können."

Spotify bestätigte am Mittwoch (26.01), dass man dabei sei, Youngs Songs zu entfernen, darunter Hits wie "Heart of Gold", "Harvest Moon" und "Old Man". Ob andere Musiker Youngs Beispiel folgen werden, bleibt abzuwarten. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Artikels sind Youngs Songs immer noch auf Spotify Deutschland zu hören, ebenso wie Rogans Podcast.

Maria John Sánchez Autorin