Ost und West eint mehr, als sie trennt
7. November 2019Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 ist das wohl markanteste Datum der jüngeren deutschen Geschichte. In dieser Nacht öffnete sich die Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR. Eine Grenze, die jahrzehntelang von der Ostseite aus mit Mauern, Zäunen, Stacheldraht und Selbstschussanlagen fast unüberwindbar gesichert worden war. 30 Jahre ist das nun her.
Kurz vor dem Jubiläum am Samstag ziehen Ost- wie Westdeutsche für ihre eigene Entwicklung ein positives Fazit: Im aktuellen ARD-Deutschlandtrend, den das Meinungsforschungsinstitut infratest dimap durchgeführt hat, geben jeweils sechs von zehn Befragten in Ost und West an, die Vereinigung habe ihnen persönlich Vorteile gebracht. Nur jeder Siebte sieht sich als Folge der Vereinigung mit Nachteilen konfrontiert.
Dennoch ist die innerdeutsche Stimmung im Jahr 2019 nicht ungetrübt. So vertreten drei von vier Ostdeutschen (77 Prozent) die Auffassung, die Lebensleistung ehemaliger DDR-Bürger würde im vereinigten Deutschland nicht ausreichend wertgeschätzt. Ein Urteil, das immerhin auch jeder zweite Westdeutsche (49 Prozent) teilt. Einig ist man sich in Ost (83 Prozent) und West (78 Prozent), dass Kultur und Mentalität in beiden Teilen Deutschlands auch drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall unterschiedlich sind.
Für die Zukunft ist man sich allerdings sicher: Für heute geborene Kinder wird es künftig keine Rolle mehr spielen, ob sie aus dem Osten oder aus dem Westen stammen. Eine Ansicht, die 77 Prozent der Westdeutschen und auch 69 Prozent der Ostdeutschen vertreten.
Waren Schule in der DDR besser?
Danach befragt, was im heutigen Deutschland besser ist als damals in der DDR, wird an erster Stelle die Reisefreiheit genannt. Auch bei den beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten, der Meinungsfreiheit, mit Blick auf die Wirtschaft und das Gesundheitssystem wird die Situation im heutigen Deutschland besser beurteilt.
Umgekehrt ist es bei der frühkindlichen Betreuung und dem sozialen Zusammenhalt. Dort gibt es in Ost wie in West das Gefühl, die heutige Bundesrepublik bliebe hinter der früheren DDR zurück. Eine deutlich entgegengesetzte Perspektive auf die DDR nehmen Ost und West allein beim Thema Schule ein: Während die Ostdeutschen die Situation an den heutigen Schulen als schlechter empfinden, urteilen die Westdeutschen gegenteilig.
Jeder sechste Wessi war noch nie im Osten
Auch wenn man sich in Ost und West bestehender Unterschiede in Kultur und Mentalität bewusst ist, versteht man sich nicht in erster Linie als West- oder Ostdeutscher, sondern vor allem als Deutscher. Dies gilt für 80 Prozent im Westteil, aber auch für 59 Prozent im Osten. 36 Prozent der Bürger zwischen Ostsee und Thüringer Wald sehen sich allerdings auch drei Jahrzehnte nach dem Mauerfall vorrangig als Ostdeutsche. Dem stehen in den alten Ländern 16 Prozent gegenüber, die sich in erster Linie als Westdeutsche fühlen.
Allerdings ist zu bedenken, dass diese Umfrage, wenn man sie vergleichend in Nord- und Süddeutschland durchführen würde, ebenfalls Unterschiede hervorbringen würde. Die Erfahrung zeigt, dass Verständnis füreinander wächst, wenn man sich kennt. Doch 30 Jahre nach dem Mauerfall hat ein beachtlicher Teil der Westdeutschen den deutschen Osten noch nicht gesehen.
17 Prozent der Westdeutschen geben an, privat bislang weder in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, noch in Sachsen-Anhalt, Sachsen oder Thüringen gewesen zu sein. In den neuen Ländern findet sich dagegen kaum jemand, der noch nie im Westen war. Jeder zweite Ostdeutsche (48 Prozent) berichtet von mehr als zehn Besuchen im Westteil. Eine ähnliche Häufigkeit kann im Westen nur jeder Fünfte (22 Prozent) aufweisen.
Keine guten Noten für die Regierung
Wie üblich, hat infratest-dimap im aktuellen Deutschlandtrend auch die politische Stimmung im Land abgefragt. Anlass war die Halbzeitbilanz, die die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD in dieser Woche für ihre Arbeit gezogen hat. Während Kanzlerin Angela Merkel und ihre Minister sich gute Noten geben, sind die Bundesbürger hiervon nicht überzeugt. Unverändert zum Vormonat äußert sich nur ein knappes Drittel (32 Prozent) zufrieden, während zwei Drittel (67 Prozent) Kritik üben.
Der positiven Bewertung der Koalition folgen lediglich die Anhänger der Schwesterparteien CDU und CSU. In den Reihen der anderen Anhängerschaften überwiegt dagegen die Kritik.
Annegret Kramp-Karrenbauer unbeliebt wie nie
Das zeigt sich auch mit Blick auf die Zufriedenheit mit den Politikern. Kanzlerin Angela Merkel kommt mit 49 Prozent auf den für sie niedrigsten Wert seit November vergangenen Jahres. Ihre Nachfolgerin im Amt der CDU-Vorsitzenden, Annegret Kramp-Karrenbauer, fällt im aktuellen Deutschlandtrend auf ihren bisher tiefsten Wert. Nur noch 18 Prozent der Befragten sind mit ihrer Arbeit als Parteivorsitzende und Verteidigungsministerin zufrieden. Das sind noch einmal fünf Prozent weniger als im vergangenen Monat.
Entsprechend schwer fällt es Kramp-Karrenbauer aktuell, als mögliche Kanzlerkandidatin der Unionsparteien zu überzeugen. Nur knapp jeder Fünfte Befragte votiert für sie. Bei den Parteianhängern von CDU und CSU sind es 31 Prozent. Eine Kanzlerkandidatur des früheren CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz würden mit 42 Prozent mehr als doppelt so viele Bundesbürger befürworten. Bei den Parteianhängern der Union wären es sogar 50 Prozent.
GroKo hat keine Mehrheit mehr
Der Ausgang der Thüringenwahl und die neu entfachte Diskussion um die CDU-Parteiführung prägen die aktuelle bundespolitische Stimmung.
Wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die Union nur auf 26 Prozent. Das sind zwei Prozentpunkte weniger als im Oktober. Die SPD käme auf 14 Prozent. Die Regierungskoalition hätte also weiterhin keine Mehrheit mehr. Auch die Grünen verlieren. Sie kämen auf 22 Prozent - für sie der niedrigste Wert im ARD-Deutschlandtrend seit Mai dieses Jahres. Die AfD bliebe mit 14 Prozent auf einer Höhe mit der SPD. Während die Linke derzeit neun Prozent in Aussicht hätte, könnte die FDP mit acht Prozent rechnen.