Olympische Spiele, na und?
12. Juli 2016Die gute Nachricht zuerst: Die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro finden statt. Alle wichtigen Sportstätten sind fertig gestellt, das Sicherheitskonzept steht, knapp ein Viertel der 4,3 Millionen Eintrittskarten sind verkauft.
10.500 Athleten werden sich vom 5. bis 21. August rund um den Zuckerhut in 28 verschiedenen Sportarten messen. Über 500.000 Besucher werden sie dabei vor Ort anfeuern, und rund vier Milliarden Zuschauer werden das Sportereignis weltweit auf dem Fernseher verfolgen.
Die schlechte Nachricht: Brasilien hat die meisten seiner Verpflichtungen gegenüber dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) nicht erfüllt. So wird die neue U-Bahn-Linie, die Tausende von Besuchern vom Stadtzentrum in den Olympiapark transportieren soll, voraussichtlich nur eingeschränkt und im Testbetrieb verkehren.
Bitte nicht hinschauen!
Auch die Säuberung der malerischen Bucht von Guanabara, mit dem Zuckerhut ein Wahrzeichen Rios, bleibt aus. Mittlerweile wird zwar immerhin knapp die Hälfte der Abwässer der neun Millionen Anwohner behandelt, die in die Bucht fließen. Eigentlich sollten es aber 80 Prozent sein.
Damit nicht genug: Auch die Lagune von Jacarepagua, an dessen Ufern der Olympiapark liegt, gleicht einer Latrine. Und die Lagune "Rodrigo de Freitas" inmitten der vornehmen Südzone der Stadt, wo die Ruderwettkämpfe ausgetragen werden, droht ebenfalls umzukippen.
"Wir zeigen uns nicht von unserer besten Seite", räumt Rios Oberbürgermeister Eduardo Paes gegenüber der britischen Zeitung "Guardian" ein. Angesichts der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Krise Brasiliens sei es für das Land eher ungünstig, gerade jetzt im Fokus der Weltöffentlichkeit zu stehen.
Augen zu und durch
Die Liste der Probleme scheint unendlich zu sein: Verkehrschaos, Finanzkollaps, Zika-Virus und Zwangsumsiedlungen. Doch je größer der Druck, so scheint es, desto größer die Gelassenheit. Knapp drei Wochen vor Beginn der Spiele macht sich eine gewisse Zuversicht in Rio breit. Die Defizite sind benannt, jetzt gilt es, das Beste aus der schwierigen Lage zu machen.
"Es gibt keine Olympischen Spiele ohne Probleme", erklärt Lamartine Pereira da Costa, Professor für Sportmanagement an der Universität von Rio de Janeiro und Mitarbeiter des Forschungsprogramms vom IOC. "Seit dem Gigantismus der Spiele 2000 in Sydney kämpfen alle Austragungsorte mit Problemen."
Da Costa erinnert an die Drohung des Komitees im Jahr 2004, Athen wegen der Verzögerung beim Bau der Sportstätten die Spiele zu entziehen. Vier Jahre später drohte Peking dasselbe Schicksal, allerdings aus einem anderen Grund: Die hohe Luftverschmutzung galt als unzumutbar für die Sportler.
Die Bevölkerung habe sich mittlerweile an die Kritik im Vorfeld von internationalen Großereignissen gewöhnt, meint Lamartine da Costa. "Auch bei der WM, bei den panamerikanischen Spielen 2007 und beim Weltjugendtag 2013 in Rio gab es im Vorfeld Probleme und Proteste. Doch irgendwann konzentrieren sich die Leute auf das Ereignis."
Brasilianisches Krisenmanagement
"Die Brasilianer werden alles daran setzen, dass die Olympischen Spiele gut stattfinden können, und das werden sie auch schaffen", meint Stephan Jentgens, Geschäftsführer des bischöflichen Hilfswerkes für Lateinamerika Adveniat. Die Kirche in Rio habe sich allerdings zur Aufgabe gesetzt, im Vorfeld der Spiele die Rechte benachteiligter Bevölkerungsschichten zu stärken.
So finanziert Adveniat über die Erzdiözese von Rio sportliche Aktivitäten in Rios Armenvierteln. Die Erzdiözese Rio de Janeiro engagiert sich auch beim rechtlichen Beistand für Bewohner, die durch Baumaßnahmen vertrieben wurden. Zum Beispiel in der "Vila Autódromo", wo zahlreiche Häuser wegen der Nähe zum Olympiapark geräumt und abgerissen wurden. Jentgens: "Der letzte, der hier aus der Vila Autódromo geht, ist die katholische Kirche. Solange dort noch Menschen leben, bleibt auch die Kirche da."
Der Streit um angemessene Entschädigungen für die Bewohner der "Vila Autódromo" befeuert die allgemeine Debatte über die Kostenexplosion bei der Finanzierung der Spiele. Das ursprünglich 2009 angesetzte Budget in Höhe von umgerechnet 7,8 Milliarden Euro ist mittlerweile auf rund 10 Milliarden Euro gestiegen.
Politisches Duell im Maracana?
Knapp zwei Drittel davon fließen in den Ausbau der städtischen Infrastruktur von Rio, der Rest verteilt sich auf die Ausgaben des Organisationskomitees sowie den Bau und Umbau von Wettkampfstätten. Zum Vergleich: In Athen beliefen sich die Kosten für die Olympischen Spiele auf 11,2 Milliarden Euro, und in London summierten sie sich auf rund 13,5 Milliarden Euro.
Angesichts der Rezession in Brasilien und der sinkenden Einnahmen aus der Erdölförderung, die den Bundesstaat Rio de Janeiro besonders hart treffen, zog Gouverneur Fransisco Dornelles am 17. Juni die Notbremse und rief den finanziellen Notstand aus. In der Hauptstadt Brasilia erklärte man sich daraufhin bereit, dem Bundesland mit einem Kredit auszuhelfen.
Auf eine solche Lösung in letzter Minute hofft auch Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff - allerdings auf politischer Ebene. Rousseff, die im Mai vorläufig ihres Amtes enthoben wurde, weiß noch nicht, ob und wenn ja, in welcher Funktion, sie an der Eröffnungsfeier am 5. August teilnehmen wird.
Sicher ist nur eins: Die politische Krise, die Brasilien lähmt, wird bis dahin nicht gelöst sein. Es bleibt die Frage: Kann Rousseff es ertragen, wenn nicht sie, sondern ihr politischer Gegenspieler und Vize Michael Temer in ihrem Beisein die Spiele eröffnet? Oder zieht sie es vor, aus politischen Gründen der Zeremonie fernzubleiben?