Der Gute-Laune-Bürgermeister von Rio
4. August 2016"Guten Tag, wie geht's", sagt Eduardo Paes zur Begrüßung auf Deutsch, und ein schelmisches Lächeln blitzt auf in seinem Gesicht - nicht zum letzten Mal an diesem Nachmittag. Der Bürgermeister von Rio de Janeiro kommt rund eine Stunde zu spät zum vereinbarten Interview, wichtige Termine haben ihn aufgehalten, natürlich ging es um Olympia, naja, und dann noch der Verkehr in der Stadt, wie immer halt. Jetzt nimmt er Platz in seinem Büro im 14. Stock der Stadtpräfektur. Locker sitzendes, weißes Hemd, die Ärmel hochgekrempelt - kein Zweifel, hier sitzt ein Macher. Smart wirkt er, eloquent, ein bisschen schlitzohrig - ein echter "Carioca" eben, wie die Einwohner Rios genannt werden. Und diese Eigenschaften weiß Eduardo Paes für sich zu nutzen. Gerade jetzt, wo die Stadt eine Negativschlagzeile nach der anderen produziert. "Ich bedauere, dass das Bild meiner Stadt international zuletzt gelitten hat. Aber wir sind in Brasilien, Verhältnisse wie in Deutschland darf man da nicht erwarten", sagt Paes und lächelt die Misere einfach weg.
Dauerkrise in Rio
Dabei gäbe es für den 46-Jährigen genügend Gründe, dass ihm die Gesichtszüge entgleiten. Der Bundesstaat Rio de Janeiro ist pleite, wie im Juni der Gouverneur, Francisco Donelles, erstaunlich offen zugab. Drogengangs beherrschen noch immer die meisten Favelas an den Hügeln der Stadt, trotz eines groß angelegten Befriedungsprogramms. Polizeigewalt ist an der Tagesordnung. Dazu die Umweltproblematik: Die Guanabara-Bucht, in der die Segelwettbewerbe der Spiele stattfinden sollen, ist von Fäkalien und Schwermetallen verseucht. Die Verkehrssituation ist seit Jahrzehnten eine Katastrophe.
Sinnbild des Ganzen ist ein Küstenradweg, der extra für Olympia gebaut wurde und eines der Prestigeobjekte sein sollte. Er brach Ende April kurz nach der Eröffnung teilweise in sich zusammen, zwei Menschen starben. Eine starke Welle hatte ein Teilstück aus dem Radweg herausgehoben. "Das war ein Projekt der Stadtverwaltung, und insofern fühle ich mich verantwortlich", gibt Paes zu, um dann hinzuzufügen: "Aber ich bin auch kein Ingenieur". Dass sich ein deutscher Bürgermeister nach einer solchen Tragödie ganz sicher gegen Rücktrittsforderungen wehren müsste - Paes quittiert das mit einem schelmischen Lächeln, legt den Kopf etwas beiseite und sagt: "Na, dann habe ich ja Glück, dass ich nicht in Deutschland bin." Und mal wieder hat er die Lacher auf seiner Seite.
Olympia 2016: Das Paes-Projekt
An den Wänden in seinem Büro hängen Zeitungsartikel, daneben ein Plakat mit der Aufschrift: "Rio dankt der Präfektur von Paes." In der Ecke lehnt ein Surfbrett mit seinem Konterfei, das ultimative Utensil des Sunnyboys, als der er sich gibt. Überall hängen Fotos, die den Bürgermeister selbst zeigen: mit seinem politischen Ziehvater, dem ehemaligen Präsidenten Lula da Silva, mit brasilianischen Kindern, oder auch als Sambatänzer im Karneval, wo Paes als Trommler unterwegs ist. Ein Lebemann, dem auch die größte Krise kaum die gute Laune verhageln kann.
Die Accessoires vermitteln den Eindruck, als säße hier der offizielle Eduardo-Paes-Fanclub, und er selbst sei der erste Vorsitzende. Darunter eine Figur, die die Olympische Fackel hält. Unverkennbar Paes in klein. So sieht er sich wohl selbst am liebsten: als Überbringer des Olympischen Feuers, der kurz nach seinem Amtsantritt 2009 die Spiele in die Stadt holte. Olympia ist sein Projekt, und das verteidigt er.
Investitionen durch private Partner - und Freunde
Besonders stolz ist er darauf, wenig öffentliches Geld in die Hand genommen zu haben. Öffentlich-private Partnerschaft lautet sein Zauberwort. "Wir haben uns Privatleute gesucht, die investieren wollten - und ich muss sagen, im Gegensatz zu London 2012 ist uns das ganz gut gelungen", sagt Paes. Weit über die Hälfte der rund 10 Milliarden Euro, die die Spiele gekostet haben sollen, wurden so akquiriert. Die meisten Infrastrukturprojekte entstanden im Reichen-Stadtteil Barra da Tijuca weit draußen im Westen der Stadt. Hier steht der Olympiapark, hierher führt auch eine neue Metrolinie. Dass es ausgerechnet der Stadtteil ist, in dem Paes vor 25 Jahren als Ortsvorsteher das politische Handwerk erlernte, sehen viele Kritiker als Ausdruck des typischen Rio-Klüngels. Der größte Investor ist der 91-jährige Bauunternehmer und Großgrundbesitzer Carlos Carvalho, auch sonst ein gern gesehener Berater und Freund des Bürgermeisters. Man darf davon ausgehen, dass Bürgermeister und Baumogul wissen, was sie aneinander haben - nichts Ungewöhnliches im Übrigen in der brasilianischen Politkultur.
Den Vorwurf allerdings, dass durch die Investitionen in Barra vor allem die Oberschicht von Olympia profitiert, will Paes so nicht stehen lassen. Wild gestikulierend und mit dem für ihn typischen "Was wollen Sie eigentlich"-Blick sagt er: "Machen Sie doch eine Umfrage! Sie werden sehen: 80 Prozent der Bevölkerung sind für die Spiele!" Angst vor Protesten der ärmeren Bevölkerung, wie es sie vor der Fußball-WM 2014 gab, hat er nicht: "Ich versuche, alles korrekt durchzuführen - da gibt's dann auch keine Proteste".
Dann verweist er auf das, was er als das "Vermächtnis der Spiele" bezeichnet: Das neue Hafenviertel, das er aufwendig hat revitalisieren lassen. Neue Parks, neue Museen. Die Metrolinie, dazu das neue Schnellbussystem BRT. "Der größte Teil des Vermächtnisses kommt den Ärmsten zugute. Wer bitte fährt denn in den Bussen? Doch nicht die Reichen. Schon jetzt haben alle etwas von Olympia", so Paes.
"Ich habe eine deutsche Seele"
Paes hat sein politisches Schicksal mit dem Erfolg der Spiele verbunden, gewollt oder ungewollt. Ende des Jahres tritt er als Bürgermeister ab, und dass er nach Höherem strebt, gilt in Brasilien als offenes Geheimnis - auch, wenn er es leugnet. "Ich, Präsident? Niemals!" Mit Meinungsumschwüngen ist bei Paes allerdings zu rechnen: So wechselte er unter anderem fünfmal in seiner Laufbahn die Partei.
Statt 2018 Präsident zu werden, wolle er lieber für einige Zeit nach Deutschland gehen, wo er schon früher oft war. Seine Kinder besuchen bereits die deutsche Schule in Rio. "Man sagt mir nach, ich hätte eine deutsche Seele, weil ich so diszipliniert bin. Ich bewundere Deutschland."
Vorher freut er sich aber auf "seine" Spiele - besonders den Hürdenlauf. Denn im Überspringen von Barrieren habe er ja inzwischen Erfahrung, sagt er. Und hat mal wieder die Lacher auf seiner Seite.