Nigers Junta: Ein Jahr planlos gegen Islamisten
25. Juli 2024Einen Tag lang herrschte große Verwirrung in Nigers Hauptstadt Niamey. Der amtierende Präsident Mohamed Bazoum in der Gewalt von Militärs, die Straßen zu seiner Residenz verriegelt - aber es werde verhandelt, hieß es. In den späten Abendstunden des 26. Juli 2023 gab es dann Gewissheit: "Wir, die Kräfte der Verteidigung und Sicherheit, vereint im Nationalen Rat zur Rettung des Vaterlandes, haben entschieden, dem Regime, das ihr kennt, ein Ende zu setzen", verkündete Oberst-Major Amadou Abdramane im nationalen Fernsehen. Als Grund nannte er die Verschlechterung der Sicherheitslage und eine schlechte Regierungsführung. Präsident Bazoum war nach zweieinhalb Jahren gestürzt.
Erst gab es Unklarheit, wer nun die Führung im Nationalrat CNSP innehatte, was zu Spekulationen um mögliche Rivalitäten führte. Erst zwei Tage später wurde der General Abdourahamane Tiani als Übergangspräsident gekürt. Ein Jahr später herrsche so etwas wie ein Gleichgewicht in der Junta, erklärt die Ornella Moderan, assoziierte Forscherin am niederländischen Institut für Internationale Beziehungen (Clingendael Institute), im Gespräch mit der DW. Interne Spannungen seien aber ein typisches Merkmal von Junta-Regierungen - und hätten bisweilen auch ihr Gutes: "In manchen Fällen ermöglichen sie ein gewisses Gleichgewicht. So wird vermieden, dass einzelne Juntavertreter sich zu sehr dem Größenwahn hingeben."
Was nach dem Putsch kam
Mit dem Putsch zog Niger gleich mit den Nachbarländern Mali und Burkina Faso, die bereits unter Militärregierungen standen. Für die internationale Gemeinschaft bedeutete das den Verlust eines weiteren Partners in der ohnehin fragilen Sahel-Region.
Es folgten weitere Debatten um den Verbleib von internationalen Truppen, meist aus dem globalen Norden, wie es sie schon in den Nachbarländern gegeben hatte - und teils erbitterte Auseinandersetzungen mit der westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS. Diese verhängte Sanktionen über die Putschisten - doch statt die Rückkehr zur Verfassungsmäßigkeit zu erwirken, musste der Staatenbund mit ansehen, wie die drei Sahel-Staaten der Reihe nach austraten und schließlich ihr eigenes Bündnis, die Allianz der Sahelstaaten AES, ins Leben riefen.
Waren die Putschisten erfolgreich?
Ein Jahr später gehen die Meinungen auseinander, was die Junta in Niamey tatsächlich erreicht hat. Fakt ist: Der islamistische Terrorismus stellt weiter eine große Bedrohung dar. Glaubt man dem nigrischen Sicherheitsanalysten Abdoul Moumouni Abass, so ist die Bilanz dennoch positiv. Ja, es gebe Bedrohungen, Soldaten würden überfallen, sagt Abdoulmoumouni der DW. "Aber wenn man bedenkt, dass die Feinde oft aus dem Hinterhalt agieren, zeigt das, dass ihre Stärke im offenen Kampf bezwungen ist. Ohne die Sanktionen wären die Ergebnisse im Anti-Terror-Kampf besser als in den vorangegangenen Jahren."
Ein Sicherheitsberater des ehemaligen Präsidenten Bazoum ist ganz anderer Meinung: Moussa Moumouni weist darauf hin, dass es viele Rückschläge gegeben habe. "In Bezug auf die Sicherheitslage hat sich die Situation verschlimmert. Seit dem 26. Juli 2023 haben wir mehr als 780 Sicherheitskräfte im Kampf verloren. In den zwei Jahren und vier Monaten unter Bazoum waren es 57 Sicherheitskräfte. Gott allein weiß, wie viele Menschen aus der Zivilbevölkerung getötet wurden."
Es fehlt an Strategien
Als Vertrauter des ehemaligen Präsidenten überrascht die Position Mounmounis nicht. Doch auch zahlreiche unabhängige Experten sehen die Bilanz der Militärregierung bedenklich. So Ornella Moderan, Forscherin beim Clingendael Institute für internationale Beziehungen in Den Haag.
Was es brauche, sei eine umfassende Strategie, sagt Moderan. "Niger hatte angefangen, so eine Strategie umzusetzen. Der Putsch hat dieser Strategie ein Ende bereitet, die neben dem militärischen Ansatz auch politische, entwicklungspolitische und wirtschaftliche Dimensionen hatte."
Niger stellt seine internationalen Beziehungen neu auf
"Die Beziehungen mit der ECOWAS sind sehr schlecht", sagt Ornella Moderan. Das gehe zurück auf die Zeit nach der Machtübernahme, als der Regionalblock nicht nur Sanktionen über das Land verhängte, sondern auch offen über eine militärische Intervention nachdachte. Tatsächlich hatte der Austritt aus der ECOWAS deutliche wirtschaftliche Folgen für das Binnenland - das zeigte sich zuletzt etwa, als das benachbarte Benin die Ausfuhr nigrischen Öls nach China blockierte.
Heute stütze sich das Land vor allem auf das Bündnis mit den beiden anderen abtrünnigen Sahel-Staaten Mali und Burkina Faso, führt Moderan aus. Im Rahmen dieses Bündnisses beobachtet sie eine "kollektive Dynamik" in Richtung Russland - die aber im Niger nicht ganz so stark ausgeprägt sei wie bei den Nachbarn. Auch eine private türkische Sicherheitsfirma mache zunehmend von sich reden. Alles in allem habe der Niger damit einen neuen, weniger traditionellen Kurs bei der Partnerwahl eingeschlagen - bei dem die Werte der ehemals wichtigen westlichen Partner in den Hintergrund rückten.
Übergang ohne Ende
Wie es weitergeht, darüber gibt es wenig Pläne. Gleich nach der Machtübernahme kündigte Abdourahamane Tiani eine Übergangszeit von drei Jahren an, um die Rückkehr zu einer demokratischen Regierung einzuleiten. Ein Jahr später ist davon keine Rede mehr. "Kein einziges Organ des Übergangs besitzt Macht. Es gibt nur den CNSP", sagt Expertin Moderan. "Das ist wirklich eine quasi-exklusive Militärverwaltung." Manche Gesprächspartner sagten der DW, sie hätten Angst, öffentlich über den Übergang zu reden.
Offen äußerte sich hingegen Maman Wada von Transparency International. "Die Frage nach den Wahlen stört die militärische Führung", sagt Wada der DW. "Sehr oft kommt es vor, dass diejenigen, die darüber reden, entführt oder gerichtlich verfolgt werden. Sie können nicht ungestraft über die Wahlen reden." Unterdessen ist der ehemalige Präsident Mohamed Bazoum weiter in Haft. Die Frage über seinen weiteren Verbleib, heißt es, sei ein weiterer Punkt, über den im Niger ein Jahr nach dem Putsch weiter Uneinigkeit bestehe.
Mitarbeit: Gazali Abdou (Niamey), Georges Ibrahim Tounkara