Deutschlands Zukunftsstrategie für die Sahelzone
18. Januar 2024Die Sahelzone ist für Deutschland von großer Bedeutung - warum, formulierte Außenministerin Baerbock 2023 so: "Ob wir es wollen oder nicht: Was im Sahel passiert, geht uns etwas an." Was sie damit meinte: Die Gefahr, dass in den Sahelstaaten vermehrt islamistische Terroristen ausgebildet werden. Die wachsende Zahl an Menschen, die vor Dürre und Perspektivlosigkeit nach Europa fliehen. Die Notwendigkeit, ein Gegengewicht zum steigenden Einfluss Russlands zu bilden.
Beispiel Mali: Das Militärregime, das sich im Mai 2021 an die Macht geputscht hatte, setzt eher auf die Zusammenarbeit mit Russland als auf europäische Partner. Heute unterstützen russische Wagner-Söldner die malische Armee, die gegen islamistische Terroristen und Separatisten kämpft. Nicht nur die ehemalige Kolonialmacht Frankreich musste das Land verlassen - auch die gesamte UN-Friedensmission MINUSMA wurde auf Drängen der Machthaber beendet. Nach mehr als zehn Jahren kehrten die letzten deutschen Bundeswehr-Soldaten Ende 2023 aus Mali zurück.
Nach den Ereignissen in Mali setzte Deutschland auf neue Partner in der Region. Doch in Niger, im Mai 2023 von Verteidigungsminister Pistorius noch als "verlässlicher Partner" bezeichnet, putschte Ende Juli ebenfalls das Militär. Die deutsche Entwicklungshilfe wurde eingefroren. Im Dezember verkündete Niger, die militärische und zivile EU-Mission solle enden. Am selben Tag empfing Junta-Chef Abdourahamane Tiani russische Militärs und vereinbarte eine enge Zusammenarbeit.
Neuausrichtung: Deutschland verschiebt Schwerpunkte im Sahel
"Die ursprüngliche europäische Sicherheitsstrategie für den Sahel ist gescheitert", konstatiert Malte Lierl von der deutschen Denkfabrik GIGA Institut für Afrika-Studien. Trotzdem gehe es jetzt nicht um einen kompletten Rückzug, sondern um eine Neuausrichtung des Engagements.
Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit sei Deutschland bereits seit den 1960er-Jahren im Sahel aktiv, sagt Julian Bergmann, Experte für EU-Afrika-Beziehungen beim German Institute of Development and Sustainability (IDOS). Nach dem Prinzip "regierungsfern, aber bevölkerungsnah" habe man Kooperationen aufgebaut mit lokalen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.
Bergmann sieht ausreichend Spielräume, dieses Engagement weiter auszubauen. So könnten Jobs in Landwirtschaft, Bauwesen und Infrastruktur geschaffen werden und soziale Sicherungssysteme gestärkt werden. "Man kennt die Partner, mit denen man dort zusammenarbeiten kann, und weiß auch, wie man das jetzt weiter intensiviert."
Fokus auf lokale und zivilgesellschaftliche Akteure
Bisher habe sich Deutschland "zu sehr auf eine Partnerschaft mit Regierungen verlassen, deren Rückhalt in der Bevölkerung längst geschwunden war", sagt GIGA-Experte Malte Lierl. Diese seien in gewisser Weise Teil des Problems geworden. Für die Zukunft solle man daraus lernen, vorher sicherzustellen, dass politische Vorhaben auch von den Gesellschaften vor Ort getragen werden. "Das bedeutet auch, dass man seine Politik gegenüber den Gesellschaften rechtfertigen muss und offen sein muss für Kritik. Das hat in der Vergangenheit nicht stattgefunden."
"Pragmatische Kooperation" mit den Militärregierungen
Mit Blick auf Mali geht Julian Bergmann davon aus, dass die Militärregierung nicht die volle Kontrolle ausübt auf alles, was in dem Land passiert. Trotzdem: Ganz ohne Einwilligung der Machthaber funktioniert das deutsche Engagement im Sahel nicht.
Daher müsse man mit den Militärregierungen im Dialog bleiben und "pragmatische Wege der Kooperation" finden, die im gegenseitigen Interesse sind, so Bergmann. Im Dezember 2023 war Verteidigungsminister Pistorius in Niger. Konkret wird darüber verhandelt, ob der deutsche Luftwaffenstützpunkt in Niamey erhalten bleiben kann, beide Seiten überlegen, gemeinsam ein Krankenhaus zu bauen, Arbeitsgruppen mit der nigrischen Militärregierung loten die Möglichkeit weiterer Kooperationen aus.
"Sahel Plus":
Die gesamte Region im Blick behalten
Zur Neuausrichtung deutscher Sahel-Politik gehöre es auch, noch stärker die gesamte Region in den Fokus zu nehmen, erklärt Julian Bergmann. Mit der Initiative "Sahel Plus" intensiviere die Bundesregierung dementsprechend die Zusammenarbeit mit Anrainerstaaten wie Senegal, Elfenbeinküste, Ghana, Togo und Benin.
"Denn die Terrorgruppen der Region machen nicht an Landesgrenzen halt", hieß es dazu in einer gemeinsamen Erklärung vom Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungsministerium vom Mai 2023. Die deutsche Entwicklungsministerin Svenja Schulze ist seit Juli 2023 auch Präsidentin der Sahel-Allianz.
"Anstatt sich in der Region nur auf einen einzigen Staat zu konzentrieren, ist es die bessere Strategie, auf verschiedene Partner zu setzen und zu schauen, was mit wem möglich ist - mit einzelnen Staaten, aber auch mit Regionalorganisationen", so Bergmann. Dementsprechend müsse auch die Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Union und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS intensiviert werden.
Gemeinsame europäische Strategie als Gegengewicht zu Russland
Russland habe das Vakuum genutzt, das durch das Scheitern der Europäischen Sicherheitsstrategie im Sahel entstanden sei, sagt Malte Lierl. "Wann immer Demokratien zusammenbrechen oder Putschisten die Macht ergreifen, ist Russland schnell da. Es kann den Machthabern etwas anbieten, was für sie sehr attraktiv ist: Söldner, Waffen vielleicht, Bestechungsgelder, Propaganda, Desinformationskampagnen. Aber darüber hinaus - für die Gesellschaft - hat Russland eigentlich nicht viel zu bieten."
Es mache keinen Sinn, sich mit Russland auf eine Art Bieterwettstreit um die Gunst der Putschisten einzulassen, so Lierl. Für die Europäische Union sollte die Schlussfolgerung sein, sich langfristig aufzustellen und auf das zu hören, was in den Gesellschaften von einer Partnerschaft erwartet wird.
"Europa ist ein sehr verlässlicher Partner und muss sich nicht verstecken", sagt Julian Bergmann. Es hätte vor allem dann eine Chance, wenn es "spürbar positive Veränderungen und Perspektiven für die Bevölkerung in der Region herbeiführen kann." Die neue sicherheits- und verteidigungspolitische EU-Mission im Golf von Guinea sei zu Recht mit einer Zusammenarbeit im Bereich Rechtsstaatlichkeit und Wahrung von Menschenrechten verbunden. "Ich denke, das ist der Weg, den Europa gehen sollte. Man sollte nicht seine eigenen Werte unterminieren oder verraten."
Auch Malte Lierl ist optimistisch: "Der lange Atem zahlt sich aus."